Vor der Landtagswahl:Alle gegen Antisemitismus

Lesezeit: 3 min

Über das jüdische Leben in Bayern diskutierten von links: Katharina Schulze (Grüne), Markus Rinderspacher (SPD), Daisy Miranda (Freie Wähler), Ilanit Spinner (Moderatorin), Benedikt Flexeder (CSU) und Martin Hagen (FDP). (Foto: David Friedmann/VJSB)

Auf Einladung des Verbands Jüdischer Studenten diskutieren Politiker über Themen, die jüdisches Leben in Bayern betreffen. Die Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger ist eines davon.

Von Lina Krauß

"Wir haben Redebedarf", sagt Moderatorin Ilanit Spinner zu Beginn des "Political Talk" des Verbands Jüdischer Studenten in Bayern (VJSB) und des Jungen Forums München am Dienstagabend im Augustiner-Keller in München. Es gebe viele wichtige Themen, die Jüdinnen und Juden in Bayern beschäftigten, die Flugblatt-Affäre um Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger ist nur eins davon. Rund 50 Menschen, darunter viele junge Erwachsene, haben sich deshalb in dem Wirtshaus versammelt.

Die Grünen und die FDP haben ihre Spitzenkandidaten Katharina Schulze und Martin Hagen geschickt. Die SPD vertritt der Vizepräsident des bayerischen Landtags, Markus Rinderspacher. Die Podiumsteilnehmer der Regierungsparteien sind eher unbekannt. Für die CSU sitzt Benedikt Flexeder auf dem Podium, ein junger Listenkandidat aus dem Landkreis Freising. Die Freien Wähler haben die Direkt- "und damit Spitzenkandidatin" Daisy Miranda aus Neumarkt in der Oberpfalz geschickt.

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Bevor die Diskussion startet, wird ein Stimmungsbild unter den Anwesenden und den online Zuhörenden eingeholt: Welche Partei würdest du heute wählen? Das Ergebnis ist nicht vergleichbar mit aktuellen Umfragewerten wie dem BR-Bayerntrend. Im Augustiner-Keller macht die FDP das Rennen mit 32 Prozent, dicht gefolgt von den Grünen (29 Prozent). Die CSU schafft gerade noch 21 Prozent, die SPD zwölf Prozent und das Schlusslicht bilden die Freien Wähler mit sechs Prozent.

Dann müssen sich die Podiumsgäste den ersten Fragen stellen. Nur kurz dürfen sie antworten. Zu Fragen wie "Gelobtes Land Bayern oder gelobtes Land Israel?" oder "Jüdischer Bayer oder bayerischer Jude?" sind die Antworten ähnlich. Vor allem bei Zweiterem will man sich kein Urteil erlauben. Dann kommt es das erste Mal zu einer klaren Meinungsverschiedenheit. Auf die Frage, ob Ministerpräsident Markus Söder (CSU) seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger (FW) nach der Flugblatt-Affäre hätte entlassen sollen, antworten die Vertreter der Oppositionsparteien mit einem klaren Ja, die Regierungsparteien mit Nein.

Erst später ist noch einmal die Zeit, die Positionen genauer zu erläutern. Hagen beginnt und räumt ein, dass er mit dem Argument Charlotte Knoblochs, dass sich Aiwanger im Fall einer Entlassung noch stärker in der Opferrolle gesuhlt hätte, Söders Entscheidung respektieren könne. Doch Aiwanger sei "nicht geeignet zu bleiben". Grund dafür sei nicht seine Vergangenheit, sondern sein Umgang mit der Situation. Rinderspacher ist der Meinung, dass Aiwanger dem Ansehen Bayerns und der Erinnerungskultur schade. Dazu, dass Aiwangers Bruder das Flugblatt verfasst haben soll, sagt er: "Ich glaube ihm nicht." Schulze findet die Entscheidung Söders nicht nachvollziehbar. Aiwanger habe sich selbst als Opfer stilisiert und sei nicht als stellvertretener Ministerpräsident geeignet. Als "unter aller Sau" bezeichnet Flexeder das Flugblatt und den Umgang mit der Sache. Trotzdem sei die Entscheidung Söders richtig gewesen, Aiwanger im Amt zu lassen. Miranda betont noch mal dessen Distanzierung vom Flugblatt und dass am Anfang immer eine Unschuldsvermutung stehen müsse.

Niemand dürfe soziale oder materielle Gründe haben, die AfD zu wählen

Noch zwei, drei Mal kommt die Sprache kurz auf die Causa Aiwanger. Ansonsten geht es an diesem Abend viel darum, wie man in Bildung, im Digitalen und allgemein in der Gesellschaft gegen Antisemitismus vorgehen kann. Ein viel genanntes Stichwort ist in diesem Zusammenhang "Prävention". Diese müsse vom Freistaat finanziert werden und die Mittel dürften nicht gekürzt werden, sagt Miranda. Bestrafungen müssten durchgezogen werden. Man müsse hart sein, sagt auch Rinderspacher. Schulze zählt eine Reihe von konkreten Maßnahmen auf. Mehrmals betont sie, dass die Polizei besser ausgestattet werden und es eine virtuelle Polizeiwache geben müsse, bei der man Antisemitismusvorfälle im Netz einfach melden könne. Die Grünen-Politikerin spricht sich für die Schaffung einer Landesantidiskriminierungsstelle aus und dafür, dass es Beratungsangebote nicht nur in großen Städten geben dürfe.

Als es darum geht, wie man das Erstarken der AfD verhindern könne, sagt Hagen, man müsse die Probleme lösen, die die Menschen dazu bewegen, die AfD zu wählen. Auch Flexeder betont, Politiker müssten wieder "Kümmerer vor Ort sein". Das hätten sie in der Vergangenheit vernachlässigt. Miranda umgeht es, konkrete Maßnahmen zu nennen. Sie weist den zuvor gar nicht genannten Vorwurf zurück, die Freien Wähler würden Wähler im AfD-Lager fischen. In diesem Moment nimmt die Diskussion an Fahrt auf. "Man darf die AfD nicht klein machen, indem man ihre verbalen Parolen übernimmt", sagt Schulze. Rinderspacher betont, dass niemand soziale oder materielle Gründe haben dürfe, die AfD zu wählen.

"Judentum ist mehr als die Kippa und der Hanuka-Leuchter", wechselt die Moderatorin hart das Thema. Es soll an diesem Abend auch darum gehen, wie jüdische Tradition erhalten werden kann. Flexeder meint, es gebe zu wenige Berührungspunkte. "Wichtig ist, dass wir jüdisches Leben nicht nur in der Rückschau zeigen, sondern auch in Gegenwart und Zukunft", sagt Hagen und erntet dafür Applaus. Vielleicht ein Grund, warum bei einer zweiten Abstimmung am Ende, die FDP sogar 39 Prozent der Stimmen gewinnt. Für die Grünen endet der Abend mit 37 Prozent, für die CSU und die SPD mit zehn Prozent und für die Freien Wähler mit vier Prozent.

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