Nicht alle Fähigkeiten eines CSU-Generalsekretärs sind grundsätzlich erstrebenswert. Manche aber helfen für die gesamte Politikerlaufbahn, und sei es, banale Botschaften mit Bedeutung aufzuladen. Seit einem halben Jahr ist Andreas Scheuer Verkehrsminister, doch er hat nichts verlernt. Am Samstag um 12.22 Uhr verkündet er mit großer Geste: "Wir können nach Europa melden: Manfred Weber ist von seiner Heimat nominiert." Sollte Europa auf diese Nachricht gewartet haben, so wird es davon wenig überrascht gewesen sein. Einstimmig haben die niederbayerischen Delegierten Weber zu ihrem Spitzenkandidaten gewählt. Viel wichtiger für den 46-Jährigen ist aber die Frage: Werden ihn auch seine Parteifreunde aus der EVP-Fraktion aufstellen, deren Chef er ist?
Erst drei Tage vorher hatte Weber erklärt, dass er Europas Konservative als Spitzenkandidat in die Europawahl 2019 führen will. Der Termin in Essenbach bei Landshut ist daher das, was man ein Heimspiel nennt. Eigentlich will die Niederbayern-CSU mit ihrem Bezirksparteitag die entscheidende Runde im Landtagswahlkampf einläuten, Ministerpräsident Markus Söder ist gekommen, er will die Basis motivieren. Star des Tages ist aber Weber, auch wenn er sich um Zurückhaltung bemüht. Schon eine Minute nach seiner Rede geht er von der Bühne, würgt den Applaus ab. Zuvor hat er mit bemerkenswerter Klarheit seinen Machtanspruch formuliert.
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Eigentlich wollte Ministerpräsident Söder die finalen Wochen vor der Landtagswahl allein mit bayerischen Themen besetzen. Stattdessen wird über Chemnitz, Merkel und Flüchtlinge debattiert.
Ein Zauderer sei dieser Weber, hieß es in der CSU oft. Am Samstag ist davon nichts zu spüren. "Ich will Führung übernehmen und im Anschluss Kommissionspräsident werden", europäischer Regierungschef also, ein Akteur auf der politischen Weltbühne. "Ich trau's mir zu", ruft Weber in den donnernden Beifall. Den Vorwurf, es mangele ihm an Erfahrung, greift er offensiv auf. Ein Drittel aller europäischen Regierungschefs seien vorher nicht Minister gewesen. "Was ist denn das für eine Elitendiskussion? Das entscheiden nicht irgendwelche Zirkel, sondern die Menschen."
"Stück für Stück" will Weber europaweite Unterstützung einsammeln, die von Angela Merkel, dem Österreicher Sebastian Kurz und niederländischen Christdemokraten hat er vorerst. Und auch die des derzeit mächtigsten Parteifreunds, der - obwohl wie Scheuer einst ebenfalls Generalsekretär - auch die Kunst der Untertreibung beherrscht. "Wir kennen uns lange, haben eine spannende gemeinsame Geschichte", sagt Markus Söder. Die Zuhörer lachen, jeder in der Halle weiß: Kaum zwei CSU-Größen sind vom Typus gegensätzlicher als Weber und Söder, kaum welche haben sich mehr bekämpft. Nun sagt Söder: "Wir wünschen dir alles Gute und werden dir helfen, diese Aufgabe zu schultern."
Söder braucht Weber als liberalen Kopf
Es sind Momente wie diese, in denen die "legendäre Geschlossenheit" der CSU, die sich viele in der Partei sehnlich wünschen, erkennbar wird. Scheuer, Weber und Söder loben und danken am Samstag einander eifrig. Dabei hat jeder jeden in der Vergangenheit schon mal stoppen wollen. Söder wollte Weber als Chef der Jungen Union verhindern. Scheuer kämpfte gegen Söders Ambitionen auf das Amt des Ministerpräsidenten. Weber bevorzugte weder Scheuer als seinen Nachfolger als niederbayerischer CSU-Chef noch Söder als Ministerpräsidenten. Gemeinsam haben sie: Keiner hat es geschafft, den anderen aufzuhalten. Nun haken sie sich unter.
Söder braucht Weber als liberalen Kopf, er hilft ihm zu zeigen, dass die CSU vielleicht doch breiter aufgestellt ist. Auch der Glanz einer europäischen Spitzenkandidatur soll auf die Wahlkämpfer in Bayern abfärben. Niederbayern ist einer der wichtigsten Bezirke für die CSU, hier wurden stets Stimmverluste aus Großstädten kompensiert. Doch Freie Wähler und AfD machen der Partei hier besonders zu schaffen.
Die Zweckgemeinschaft Söder/Weber funktioniert in diesen Tagen erstaunlich gut. Drei Parallelen zieht Weber zwischen Europa- und Landtagswahl: den Stolz auf das Erreichte, einen Plan für einen Zukunftsentwurf ("der Markus hat schon einen starken vorgelegt") und den Kampf gegen Extremisten und Populisten. Klarer als Parteichef Horst Seehofer distanzieren sich Söder und Weber von den Vorfällen in Chemnitz. Die AfD habe an der Seite von Neonazis ihr wahres Gesicht gezeigt, sagt Weber. "Purer Hass" werde da vertreten, findet Söder. Die Delegierten beklatschen ihn nach seiner Rede im Stehen, auch das gab es selten in Weber-Land.
Söder hätte sich offenbar sogar vorstellen können, dass Weber und er nach der CSU-Vorstandssitzung an diesem Montag gemeinsam mit Seehofer auftreten. Der Markus sei in der Wahl seiner Unterstützer nicht mehr wählerisch, scherzte ein Niederbayer. Doch die Parteizentrale hatte andere Pläne. Der Montag gehöre mit Blick auf den Parteitag am nächsten Wochenende allein Söder, dem Spitzenkandidaten. Weber wird es verkraften. Er folgt jetzt Angela Merkels Einladung nach Berlin und präsentiert sich auf der Bundesbühne.