Würzburg:Ärzte in der Klemme

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Das Würzburger Seniorenheim St. Nikolaus war bundesweit eines der ersten mit zahlreichen Corona-Todesfällen. (Foto: Nicolas Armer/dpa)
  • In Würzburg werden Ärzte zwangsverpflichtet, teils müssen sie sich um mehrere Pflege- und Behindertenheime kümmern.
  • Nachdem die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) diese Vorgehensweise aufgriff, steht Würzburg im Fokus bundesweiter Kritik.

Von Florian Fuchs und Dietrich Mittler, München

Der Leiter der Führungsgruppe Katastrophenschutz hat die Zeilen unterschrieben, mit der er die Zwangsverpflichtung von Würzburger Ärzten rechtfertigt. Er wisse, dass die Ärzte am Limit arbeiten. Ihm sei bewusst, dass die Maßnahmen einen tiefen Einschnitt in den Alltag der Ärzte bedeuten. Er sehe aber keinen "anderen gangbaren Weg", um der Corona-Pandemie zu begegnen. Der Würzburger Weg bedeutet aktuell also, dass etwa eine Ärztin für fünf Pflege- und Behindertenheime zuständig ist, ein Kollege für vier solche Einrichtungen. Und dass die zwangsverpflichteten Ärzte grundsätzlich täglich Bereitschaftsdienst bis 22 Uhr und am Wochenende bis 20 Uhr haben.

"Chaotisch und unverhältnismäßig", nennt das eine betroffene Medizinerin. Nachdem die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) die Würzburger Vorgehensweise aufgriff, steht Würzburg im Fokus bundesweiter Kritik - insbesondere aber Bayerns Katastrophenschutzgesetz und seine Umsetzung im Freistaat. Auch das Gesundheitsministerium in München ist offenbar nicht gerade erfreut darüber, was aus Unterfranken zu hören ist. Maßnahmen, so betonte eine Sprecherin, sollten "möglichst im Konsens mit den niedergelassenen Ärzten" sowie den örtlichen Standesorganisationen der Ärzteschaft getroffen werden.

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Dienstverpflichtungen - so wie in Würzburg - könnten "stets nur Ultima Ratio sein, wenn die notwendige personelle Besetzung auf keine andere Weise hergestellt werden kann". Genau das aber wäre im Raum Würzburg angesichts der Ärztedichte durchaus möglich. "Dass eine Praxis mehrere Heime zugeteilt bekommt, geht nur dann, wenn die Last nicht nur auf einer Schulter liegt", sagt Markus Beier, der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbands. Wie das Gesundheitsministerium hält er Zwangsmaßnahmen nicht für sinnvoll.

Beier, Hausarzt in Erlangen, ist nun selber einer der Versorgungsärzte, die den Aufbau und den Betrieb von Coronavirus-Teststrecken sowie die ärztliche Versorgung in Altenheimen organisieren sollen. Er regele das aber im Dialog mit den Praxen. "Die durften sich freiwillig melden, dann haben wir einen Abend lang intensiv geredet, und am Ende musste ich nur zwei, drei Praxen in Heime einteilen, wo bislang kein Arzt Patienten betreute."

In Würzburg lief das nicht so: Eine Hausärztin erzählt, dass sie vom 1. April an acht Briefe der Stadt erhalten habe. Mit Zuweisungen zu fünf Heimen. Teils gingen die Schreiben doppelt raus. Verfügt wurde, dass die 34-Jährige dort nun in Zusammenarbeit mit einigen anderen eingeteilten Ärzten für die Gesundheit der Bewohner zuständig ist. Die Regelung ist die: Je zwei Ärzte sollen Heime mit weniger als 100 Bewohnern betreuen, wiederum drei sind zuständig für größere Einrichtungen.

Die Hausärztin fragt sich aber, warum nur einige wenige Ärzte diese Belastung tragen sollen. Sie selbst müsse nun oft bis spätabends in Bereitschaft stehen. Zugleich solle sie die Arbeit in ihrer Praxis nicht vernachlässigen. Hinzu komme die Verantwortung für ihre kleine Tochter. "Wie soll ich deren Betreuung bis 22 Uhr organisieren?" Viele andere Ärzte im Raum Würzburg seien nicht eingeteilt. Inzwischen ist sie ratlos: "Ich frage mich täglich, welcher Brief wohl heute in der Post sein mag: 24-Stunden-Bereitschaft?"

In Bayern hat mittlerweile jeder Landkreis und jede kreisfreie Stadt einen Versorgungsarzt ernannt, der die medizinische Versorgung während der Pandemie organisieren soll. Ihm und den Behörden ist es grundsätzlich möglich, Ärzte zur Bekämpfung von Corona zwangszuverpflichten und medizinisches Material zu beschlagnahmen. Diese Machtfülle geht weit darüber hinaus, was der Bund vorgegeben hat - und was andere Bundesländer umgesetzt haben. Nordrhein-Westfalen etwa wollte ähnliche Regelungen einführen, hat dies nach Kritik jedoch zurückgezogen. Vergangene Woche hat ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags in Teilen die Rechtmäßigkeit des bayerischen Infektionsschutzgesetzes in Zweifel gezogen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung etwa nennt den bayerischen Weg "völlig falsch". Das Gesundheitsministerium in München jedoch, so ein Sprecher, "folgt dieser Einschätzung nicht".

Gesundheitsministerin Melanie Huml plädiert für einen Konsens unter den niedergelassenen Ärzten. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Überhaupt fällt in Bayern die Kritik an der Möglichkeit zur Zwangsverpflichtung bislang eher leise aus. Selbst die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns - eigentlich zuständig für die Sicherstellung der Versorgung durch niedergelassene Ärzte - hält sich zurück. Meist arbeiten die Versorgungsärzte in enger Kooperation mit den jeweiligen Hausärzten in ihrem Kreis. Auch die betroffene Würzburger Hausärztin sagt angesichts der Corona-Krise: "Das ist eine besondere Lage, da sind besondere Maßnahmen in Ordnung." Ihr geht es um den Stil und um die inhaltliche Ausführung der Zwangseinteilungen.

Stadt und Landkreis Würzburg, die die umstrittenen Maßnahmen gemeinsam getroffen haben, verteidigen sich mit den außergewöhnlichen örtlichen Umständen. Das Seniorenheim St. Nikolaus war bundesweit eines der ersten mit zahlreichen Todesfällen. "Die drängende Lage im St. Nikolausheim erforderte schnelles Handeln, sodass eine Planung mit den Ärzten übers Wochenende quasi nicht möglich war", sagt ein Sprecher. Er verweist auf die Erfolge: Die Covid-19-Fallzahlen seien rückläufig. Die Ärzte, so der Sprecher weiter, seien nach der Nähe ihrer Praxis zum Heim ausgesucht worden. Und danach, dass sie dort schon einige Patienten haben. Auch gelte: Die Ärzte sollten sich - gerade am Wochenende - absprechen, damit nicht einzelne ständig Bereitschaft haben. Die Stadt sei aber bemüht, der Kritik nachzugehen, Unzulänglichkeiten auszubessern.

Besonders betroffene Hausärzte in Würzburg wären schon froh, wenn sie nicht für mehrere Heime gleichzeitig eingeteilt wären. Das gilt unter anderem für die 34-Jährige. Sie hofft darauf, dass sich etwas ändert. Sie will nicht fast alle sieben Tage der Woche in Bereitschaft sein. Denn: "Mich mit fünf Heimen und mit den dort eingeteilten Kollegen abzusprechen, ist schwierig."

© SZ vom 20.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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