So ein Che hält ungefähr zwei Jahre, sagt Hias Kreuzeder. Dann werde er zu bleich. Inzwischen hat er schon die dritte rote Fahne mit Che-Guevara-Porträt hängen, am Zaun in Eham bei Freilassing. Der Schriftzug "Hasta la victoria siempre" schaut zu dem mehr als 250 Jahre alten Bauernhaus. Hias Kreuzeder kann ihn lesen, wenn er aus dem Küchenfenster schaut. Sonst ist die Che-Ikone längst mehr Accessoire als Botschaft, aber aus Accessoires macht sich Kreuzeder wenig. Andererseits: Das Messer, das er 1987 zur konstituierenden Sitzung mit in den Bundestag brachte und das inzwischen zum Fundus im Haus der Bayerischen Geschichte gehört, hat er auch nicht als Waffe gebraucht.
Mit seiner Lederhose, den Kniestrümpfen, dem Leinenhemd und dem Janker war der Biobauer aus dem äußersten Südosten der Republik sowieso ein Exot. Das Messer bemerkte damals keiner außer Franz Josef Strauß. Der hatte sich als Ministerpräsident noch in den Bundestag wählen lassen und sein Mandat danach zurückgegeben. Zur ersten Sitzung aber sah ihn Kreuzeder im Saal Zeitung lesen. Er habe erst dem Strauß auf die Schulter getippt und dann auf den Rehfuß, der als Messergriff aus der Lederhose ragte. Da habe er recht gegrinst, der Strauß, sagt Kreuzeder heute.
Sonst gab es wenig Einverständnis zwischen den Schwarzen und Kreuzeder, einem frühen bayerischen Grünen, der als Neuling im Bundestag gleich mit dem rhetorischen Dreschflegel gegen die "kapitalistische Zwangswirtschaft" in der Agrarpolitik zu Felde zog. Die damalige Vizepräsidentin des Bundestags, Annemarie Renger, unterbrach ihn, um die Stenografen zu fragen, ob sie folgen können. "Es tut mir leid, wenn Sie kulturellen Nachholbedarf haben. Ich verstehe Ihr Hochdeutsch auch, dann müssen Sie schauen, dass Sie Bairisch verstehen", ist von Kreuzeder auf dem Mitschnitt von damals zu hören. Er blieb auch später beim Bairisch. "Wenn ich mich aufrege, dann rede ich automatisch bairisch, und da droben hab' ich mich nur geärgert", sagt er.
Über CSUler wie den Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle sowieso: "Gell Kiechle, ich weiß schon, dass dir die kleinen Bauern im Weg umgehen", wetterte Kreuzeder mal. Später habe er die Mitschrift bekommen. "Und die kleinen Bauern stehen auf dem Weg herum", stand in dem Entwurf. Die Bundestagsverwaltung habe gedroht, ihn für das Abgeordnetenporträt von der Polizei beim Fotografen vorführen zu lassen. Und an einem warmen Tag im Mai habe ihn der Wachdienst am Abgeordnetenhochhaus wieder weggeschickt. Da bin ich halt die zwei Kilometer in mein Zimmer gegangen und hab meine Schuhe geholt", erzählt Kreuzeder. "Aber demütigen haben mich die nicht können."
Gefallen lassen hatte er sich schon als Bub nie was. Schließlich musste er sich als Zwölfjähriger mit der Mutter um neun jüngere Geschwister und den Hof kümmern, nachdem der Vater 1961 nach längerer Krankheit gestorben war. "Am 17. Juli war die Leich', und am 18. haben wir das Korn gemäht mit der Sense", erinnert sich Kreuzeder.
Drei Wochen später, die Mutter sei gerade beim Erdäpfelschälen gewesen und er habe sich ein Brot gemacht, sei dann plötzlich der Jäger in der Küchentür gestanden und habe sich aufgespielt, dass das so nicht mehr weitergehe mit dem abendlichen Fußballspielen auf der Lichtung in der Au, obwohl das doch ihre größte Freude war. In der Erinnerung des 69-Jährigen holte der zwölfjährige Kreuzeder, ein Enkel, Urenkel und Ururenkel von drei Freilassinger Bürgermeistern, das größte Messer aus der Schublade und sagte dem Jäger, er solle sich schleichen, "sonst stich i di ab". Die Mutter sekundierte: "Der hat das fei so gemeint, was er gesagt hat." Der Jäger sei dann nie wieder in der Tür gestanden.
Dem Buben wurde die achte Klasse erlassen, weil er daheim gebraucht wurde. Gelesen hat er aber immer. Sein Interesse galt Russland, seit der Vater einmal zu erzählen begonnen hatte, als ob es ein Märchen wäre: "Ich war einmal in einem Land, in einem wunderschönen Land." Das Grauen des Krieges habe der Vater ausgespart. 1993 hat Kreuzeder einen Verein mit genau den sieben Mitgliedern gegründet, die ein Verein mindestens haben muss. Er heißt "Auferstehung der freien Bauern Russlands", und das gesammelte Geld bringt Kreuzeder zwei oder dreimal im Jahr persönlich und in bar nach Russland.
Kreuzeder war zuallererst Bauer und wollte stets frei sein - kein Sklave von Zulieferern und Abnehmern, wie es die meisten Landwirte in seinen Augen sind. Dass er ein Naturschützer und auch ein Grüner geworden ist, habe sich daraus ergeben. Offenheit, Vergangenheitsbewältigung, Friedensbewegung hätten ihm zugesagt, sodass er Anfang der Achtziger nicht nur einer der ersten Biobauern weit und breit wurde, sondern auch der erste grüne Stadtrat in Freilassing. Wirklich politisiert hatte ihn der Bau der B 20 im Jahr 1978, sie führt keine hundert Meter am Hof vorbei. Zwei- oder dreimal sei er deswegen schon im kanadischen Konsulat gewesen, aber die Mutter wollte vom Auswandern nichts wissen.
Statt nach British Columbia verschlug es Kreuzeder nach Bonn: Als ihn der Kreisverband zum Bundestagskandidaten gemacht hatte, sei er zur Versammlung nach Lindau gefahren und dort ganz unverhofft zum männlichen Spitzenkandidaten gemacht worden. Er sei die ganze Nacht barfuß durch die Stadt gelaufen und habe sich gefragt, wie er das mit dem Hof machen soll. Am Ende ist ein Bruder für ein paar Jahre eingesprungen, denn 1991 flogen die Grünen wieder aus dem Bundestag. "Das war eine totale Erlösung für mich, dass ich da nicht mehr hinmuss", sagt Kreuzeder. Mit den Grünen brach er auch bald, weil er immer mehr das Gefühl gehabt habe, es gehe nur noch um die Macht. Einer wie Sepp Daxenberger wäre nach seinem Geschmack gewesen. Zu Daxenbergers Beerdigung 2010 ist Kreuzeder eine Stunde früher hin, damit er eine Stunde vor den Leuten wieder gehen kann.
Dass einer, der so geradeheraus redet und so quer denkt, irgendwann mit vielen über Kreuz liegt, darf ihn kaum wundern. Dass seine als Leserbrief formulierte Absage, für die Freien Wähler in den Freilassinger Stadtrat nachzurücken, jüngst als Generalabrechnung mit der Lokalpolitik aufgefasst wurde, nahm Kreuzeder mit Genugtuung auf. Über das Verhältnis zu seinen drei älteren Töchtern, er hat fünf Kinder mit drei Frauen, spricht er nicht so gern. Eine Tochter hätte den Hof übernehmen sollen, suchte sich aber aus seiner Sicht den falschen Mann aus. "Der Kontakt ist gleich null. Keiner kann über seinen Schatten springen, ich schon gleich gar nicht."
16 Monate schrieb er an einem Buch, am Küchentisch in Eham und im Haus in Nordnorwegen, das ihm und einem Bruder gehört. Er hat es "Widerstand eines Zwerges" genannt, ein großer Verlag wird es herausbringen. Und eines habe sich in dieser Rückschau gezeigt: "Es wäre immer ein Fehler gewesen, wenn ich über meinen Schatten gesprungen wäre."
Das Exponat wurde dem Museum der Bayerischen Geschichte in Regensburg zur Verfügung gestellt, das im Mai 2019 eröffnen soll. Näheres dazu unter www.hdbg.de