Unter Bayern:Ludwig Thoma nahm den heutigen Bierzelt-Wahlkampf vorweg

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Galt als begnadeter Redner, der gerne auch lateinische Sentenzen zum Besten gab: Franz Josef Strauß 1985 beim politischen Aschermittwoch der CSU in der Passauer Nibelungenhalle. (Foto: Dieter Bauer/Imago)

Wahlkampf auf Volksfesten erinnert immer mehr an einen fiktiven Landtagsabgeordneten aus der Feder des berühmten bayerischen Schriftstellers Thoma. Dieser wurde am Ende seines Lebens selbst zu einem erzreaktionären Hetzer.

Glosse von Franz Kotteder

Von bayerischen Wahlkämpfen ist man einiges gewohnt, keine Frage. Aber wenn nicht alles trügt, dann finden sie inzwischen meist auf Volksfestplätzen statt. Der Ministerpräsident treibt sich etwa zweimal täglich dort herum, wenn man den zu Unrecht so heißenden sozialen Medien glauben darf, und zwar bayernweit. Mittags auf dem Gillamoos, abends dann in Schnepfenreuth im Knoblauchsland. Und überall der gleiche Text: Häme und Spott über gendernde Veganer und eine selbstverständlich komplett unfähige Ampel. Die braucht keiner, sagt der Ministerpräsident. Er schon gar nicht, weil er hat ja seinen Freien Wähler. Welch' hübsches Paar.

Nun muss man zugeben, dass sich auch alle anderen Politiker gern volksnah geben und sich keineswegs nur in philosophischen Salons herumtreiben. Im Gegenteil. Der Trend geht eindeutig in die Richtung: Die dümmste Botschaft gewinnt. Das war früher anders. Die begabten Demagogen Franz Josef Strauß und Peter Gauweiler wollten noch zeigen, dass sie die Gescheiteren sind, zitierten Sinnsprüche auf Latein oder referierten finanzpolitische Theorien. Vorbei: Inzwischen benötigt man im Wahlkampf Aussagen, die so platt sind, dass man das eigentlich selbst mit einem IQ knapp über dem Gefrierpunkt wahrnehmen müsste. "Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland": Hier hat Friedrich Merz Unsinn prägnant auf den Punkt gebracht.

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Einigermaßen belesene Bayern fühlen sich angesichts dieser Entwicklungen bestimmt an den Schriftsteller Ludwig Thoma erinnert, dem - aufgemerkt: Latein! - immer wieder die schöne Wendung "Vox populi, vox Rindvieh" zugeschrieben wird. Aktuell denkt man, was Thoma angeht, allerdings eher an dessen fiktiven Landtagsabgeordneten Josef Filser und seinen "Briefwexel". Selbst manche Minister reden inzwischen so, wie Filser einst schrieb, und das nicht nur im Festzelt. Ob sie wissen, dass es sich bei den Filserbriefen um Satire handelte? Thoma entwickelte sich übrigens sehr in Richtung seines Filsers, wurde ein Erzreaktionär und widerlicher, antisemitischer Hetzer. Das war allerdings in seinem Fall keine Jugendsünde, sondern ganz offensichtlich Altersverblödung, die dann auch bis zu seinem Tode anhielt. Andere legen ihren Antisemitismus hingegen eines Tages ab, so heißt es - Millionen Deutsche schafften das am 8. Mai 1945 sogar innerhalb eines einzigen Tages. Besteht also noch Hoffnung?

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