Vision eines Konzeptkünstlers:Metropole der Träume

Lesezeit: 4 min

Per Anhalter ins Nirvana: der Künstler Karsten Neumann. (Foto: Hermann Drees)

Der Nürnberger Konzept- und Performancekünstler Karsten Neumann baut seit 2004 konsequent die Vision seiner Kunststadt Bethang aus, einer Verschmelzung von Nürnberg, Fürth und Erlangen - erfolgreich, wie nicht nur ein Wanderweg und ein Brunnenbuch belegen.

Von Sabine Reithmaier, Nürnberg

Ursprünglich war es nur eine Schnapsidee. Sagt jedenfalls Karsten Neumann und erzählt die Geschichte, wie er sich 2002 in Nürnberg für die Wählergemeinschaft "Die Guten" als Stadtratskandidat aufstellen ließ - "auf Listenplatz 67, fast als Schlusslicht" - und sich ein Wahlkampfprogramm ausdenken musste. Der Künstler plädierte für die Sprengung der Altstadtmauer - "das brachte mir nicht viel Freunde ein". Und forderte die Fusionierung von NürnBErg, FürTH und ErlANGen zu einer einzigen Metropole mit dem Namen Bethang.

Wählerstimmen brachte ihm sein Vorschlag nicht ein. Doch die Idee ließ ihn nicht mehr los, wurde ihm zu einer Lebensaufgabe. Seit Ende 2004 baut er seine Bethang-Vision kontinuierlich aus, hat sie in ein realutopisches Gesamtkunstwerk verwandelt. Wobei er den Begriff Utopie nicht mag, er spricht lieber von der Kunststadt, die mit knapp 760 000 Einwohnern nach Berlin, Hamburg, München und Köln zu den fünf größten Städten Deutschlands zählt.

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Bethang hat Stadtplan, Wappen, Ortsschilder, deren Untertitel sie als "Stadt der kultur und des geistes" ausweisen. Alles kleingeschrieben, Großschreibung gibt es in Bethang nur am Textanfang und bei Eigennamen. In seinem Stadtgründungsbüro denkt Neumann nicht nur über Schreibweisen nach, sondern auch über die Umbenennung von Straßen und Plätzen, die er in temporären Aktionen auch umsetzt.

Den vorhandenen Baubestand der Städte überarbeitet er fotografisch. Seine Dekonstruktionen, beispielsweise der Zeppelintribüne auf dem ehemaligen Reichsparteitaggelände, verschickt er als Ansichtskarten mit besten Grüßen aus Bethang. Eine kulinarische Spezialität der Stadt sind übrigens die "Bethangske", mit Curcuma und Zitrone gewürzte Würstchen.

Zum Glück ist Neumann ein leidenschaftlicher Performer, was wichtig ist, um immer wieder die öffentliche Aufmerksamkeit auf sein Projekt zu lenken. 2013 umrundete er in der Performance "Grenzgang" die 130 Kilometer der Stadtgrenzen. Eine Woche lang war er mit Zelt und in Bethang-Montur unterwegs. "Eigentlich illegal, aber als Künstler darf man das." Inzwischen hat der fränkische Albverein daraus einen Wanderweg mit Karte gemacht, gekennzeichnet mit dem Bethang-Wappen, und bewirbt ihn als größtes begehbares Kunstwerk. Da ist die Utopie schon ziemlich dicht an der Realität dran.

Karsten Neumann versteht seine radikale Konzeptkunst als Anregung. (Foto: Karsten Neumann)

Neumann bezeichnet seine Arbeit als radikale Konzeptkunst. "Das heißt, der Künstler kann seine Idee nicht selbst verwirklichen, selbst wenn er wollte", sagt er. "Ich rege nur an, über so etwas nachzudenken." Verwirklichen könnten die Verschmelzung nur die Ratsgremien der drei Städte. Geografisch möglich wäre die Fusionierung. Seit der letzten Gebietsreform im Jahr 1972, als die viele kleine Dörfer im Knoblauchsland ihre Selbständigkeit verloren und eingemeindet wurden, berühren sich die Stadtgrenzen. "Vorher wäre Landnahme notwendig gewesen", sagt Neumann und lacht schallend.

Wenn er aber im "Nürnberg heute"-Magazin, herausgegeben vom Amt für Kommunikation und Stadtmarketing, in einem Artikel liest, dass im Städte-Dreieck 21 Ortschaften liegen, ist Schluss mit lustig. Dann ist ein Brief an den Oberbürgermeister fällig, schließlich handelt es sich um Stadtteile, keine Ortschaften. "Ich sage doch zur Autobahn auch nicht Radweg, bloß weil es mir gerade gefällt." An falschen Begriffen reibt er sich gern. Und an Stadtverwaltungen, mit denen er bei der Realisierung seiner Projekte genug zu tun hat. Beispielsweise bei der Baumpflanzungsaktion "37 Bäume für Bethang", ganz bewusst eine Anlehnung an Joseph Beuys "7000 Eichen". Die Zahl 37 ergibt sich aus den Postleitzahlbezirken. Zehn Bäume sind inzwischen gepflanzt. "Aber das mit allen drei Verwaltungen auszuhandeln, meine Güte."

Das jüngste Projekt nahm ihn drei Jahre in Anspruch: Der Konzeptkünstler hat sämtliche 111 Brunnen der Kunststadt fotografiert, mit Ortsangaben versehen und ein Buch daraus gemacht. Keinen Kulturführer, er hält nichts von Sätzen wie "dieser künstler hat diesen oder jenen brunnen in diesem oder jenen jahr entworfen usw. Alles so schön hier." Als Postkarten taugen die "atmosphärische Allerweltsaufnahmen" (Neumann) auch nicht, sie zeigen schlicht, wie Kommunen, ihre Einwohner und Touristen mit öffentlichem Eigentum umgehen. Neumann klapperte in dem 320 Quadratkilometer großen Stadtgebiet jeden Brunnen ab. "Regen, regen, regen, strömender regen, nass bis auf die haut, radeln, radeln, radeln", schreibt er im Buch.

71 Brunnen gibt es laut offiziellen Listen in Nürnberg, 28 in Fürth und zwölf in Erlangen. Wenn er auf der Suche Anwohner nach den Brunnen fragte, immer wieder die Erfahrung, dass sie, obwohl keine 300 Meter davon entfernt ansässig, die Anlage nicht kennen. Nicht gezählt hat er, wie oft er auf das Schild "Kein Trinkwasser!" traf. Oder den Satz "Mach dich nicht nass!" hörte. Und wie oft er Müll im Brunnen fand, was sogar ihm, dem eher anarchisch veranlagten Künstler, einen "OOOOOORDnungsruf" abverlangt.

"Cinque Buddhas" heißt Karsten Neumanns Bethangleuchtobjekt aus Plastikmüll von 2020. (Foto: Karsten Neumann)

Neumann, Jahrgang 1963, hat, abgesehen von seinen ersten sechs Monaten in Würzburg, sein ganzes Leben in Nürnberg verbracht. Es könne schon sein, dass ihn manche für anstrengend oder nervig empfinden, sagt er, auch wegen der Leserbriefe und Mails, mit denen er in aktuelle Debatten eingreift. Doch er ist Auseinandersetzungen gewohnt. Geprägt habe ihn ein "Urkonflikt" mit dem Großvater, einem ehemaligen Wehrmachtsoldaten und dem Vater, einem Polizeibeamten, der kein Verständnis für den kriegsdienstverweigernden Sohn hatte. "Das hat sich nie mehr eingerenkt." Neumann blieb eine "gewisse Affinität zum Streit". Was er gut findet, denn das Austragen unterschiedlicher Meinungen ist für ihn die Grundvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie.

1983 begann er, an der Akademie in Nürnberg Kunst zu studieren, erst in der Malklasse von Ludwig Scharl. Doch als er begann, Schuhregale zu schweißen, Möbel zu bauen und Performances zu machen, - "die erste übrigens schon mit 17 im Wald mit Poncho und Rehschädel" - wurde es dem Professor zu viel. "Das Ganzheitliche an mir hat ihn überfordert." Er wechselte zu Georg Karl Pfahler, dem es egal war, was er machte. "Hauptsache, ich machte etwas." So entstanden Stahlskulpturen, Gemälde, Videoinstallationen - "ich war immer kunterbunt unterwegs."

Inzwischen hat er seine gesamte Kunst unter dem Label Bethang vereint. Auch die bunten Assemblagen und Leuchtobjekte, die er seit 2005 aus weggeworfenem Plastikmüll fertigt, lange bevor die Entsorgung von Kunststoffschrott allgemeines Thema wurde.

Was die finanzielle Seite seines Einsatzes für die Kunststadt betrifft: "Ich lebe seit fast 40 Jahren ums Existenzminimum herum." Es ist nicht leicht, immer wieder Fördergelder aufzutreiben für die einzelnen Projekte. Oder für die mittlerweile zehn Din-A5-Hefte von "Bildndn Kunst", in denen Neumann regelmäßig über Fortschritte in Bethang und seine zahlreichen Ausstellungsbeteiligungen informiert. An der Finanzierung des Brunnenbuchs haben sich sogar alle drei Städte beteiligt, ein Meilenstein in der Anerkennung von Neumanns Arbeit.

Der Künstler nimmt das gelassen hin. Er ist Buddhist. Wenn er die Verwirklichung von Bethang nicht in diesem Leben erlebt, dann eben in einem der nächsten. Da ist er sich ganz sicher.

Karsten Neumann: Ve FOUNTAIN[s| Bethang'da - kommunale brunnen in Bethang". Icon Verlag 2023

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