Nach dem Sprung ist der Mann in der seltsam flatterhaft geschnittenen blauen Montur lange nicht mehr zu sehen. Er trägt einen Helm, das schon, doch der würde ihm wohl erst 2000 Meter tiefer etwas helfen, wenn sowieso schon das allermeiste gut gegangen ist. Die wenigen Menschen, die den Start mit eigenen Augen und Handykameras verfolgen, werden Niklas Winter frühestens in ein paar Stunden wiedersehen, doch in dem Video, das er selbst ins Netz gestellt hat, kommt jetzt ein Schnitt auf die Helmkamera. Sie zeigt, wie er die Watzmannostwand hinunterfällt.
Oder fliegt er schon? Irgendwann jedenfalls trägt ihn die Luft unter dem Stoff, der sich jetzt zwischen seinen abgespreizten Armen und Beinen spannt. Die Felsen rasen vorbei. Dann öffnet sich der Fallschirm, die Landung am Königssee läuft fast nach Plan. Mehrere Tausend Menschen haben dieses Video schon gesehen, auch Menschen in der Nationalparkverwaltung Berchtesgaden und im Landratsamt in Bad Reichenhall. Das hat deswegen mittlerweile ein Bußgeldverfahren gegen Winter eingeleitet, weil er im Nationalpark ein Fluggerät in Betrieb genommen hat.
Karriere mit Handicap:"Dann kam dieser eine Sprung"
Beim Basejumpen ist Susanne Böhme gegen einen Fels geknallt. Trotz Lähmung bringt die Unternehmerin heute wieder Fallschirme durch den TÜV - und springt selbst.
Denn im Nationalpark Berchtesgaden ist das Starten von Fluggeräten per Verordnung verboten, sagt Andreas Bratzdrum als Sprecher des Landratsamts, und laut Luftfahrtgesetz zählten Wingsuits wie der, mit dem sich Niklas Winter den Watzmann hinuntergestürzt hat, als Luftfahrzeug. "Wir müssen jetzt einfach einen Pflock setzen", sagt Bratzdrum, denn weder Winter noch sonst wer soll noch einmal auf so eine Idee kommen. Bis zum Mittwoch kann Winter noch Stellung nehmen, außerdem soll er das Video aus dem Netz nehmen, was sich wohl auf die Höhe des Bußgeldforderung auswirken würde. Der Rahmen reicht von 50 bis 2500 Euro.
Winter, der im Chiemgau aufgewachsen ist, zeigt sich von der Forderung nicht überrascht. Eigentlich habe er fast damit gerechnet. Deswegen habe er gezögert, das Video wirklich ins Netz zu stellen. Aber so ein Sprung von so einer Wand, der höchsten in den ganzen Ostalpen, sei doch was Besonderes, und er sei eben "auch stolz darauf". Denn soweit er wisse, war er der allererste, der die Ostwand auf diese Weise bezwungen hat, und da gibt ihm Bratzdrum recht, denn so etwas ist dem Landratsamt bisher auch noch nicht untergekommen. Bekannt geworden ist jedenfalls noch kein Wingsuit-Sprung vom Watzmann, obwohl es viele Extremsportler ganz genauso machen wie Winter: erst einmal ganz leise die Aktion, dann das Video ins Netz und den Beifall des Szene einsammeln.
Sein Video, von dem schon viele Kopien kursieren, kaum alle löschbar, wurde tausendfach geklickt und mit vielen Likes und mit ebenfalls vielen kritischen Kommentaren versehen, wegen des Naturschutzes etwa, oder wegen leichtfertigen Beanspruchens der Bergwacht im Notfall. Ein Star sei er mit der Sache jedenfalls nicht geworden, sagt Winter. Dazu sei die Szene in Deutschland zu klein, die Zentren lägen eher in der Schweiz und in Frankreich. Dort sind schon Dutzend Basejumper zu Tode gestürzt, doch Winter sagt, so gefährlich sei der Sport gar nicht, wenn man seine Grenzen kenne, nichts erzwinge und sich gut vorbereite.
Die Felsvorsprünge am Watzmann habe er zum Beispiel zuvor per Laser vermessen, sagt Winter, der Elektro- und Informationstechnik studiert hat, aber als Baumpfleger arbeitet, weil er lieber draußen sei. Wenn er mal von seinem Sport und dessen Vermarktung leben könnte, hätte er nichts dagegen, sagt der 31-Jährige - und ja, leben wolle schon noch länger, auch als Basejumper. 2014 habe er mit dem Fallschirmspringen und zwei Jahre später mit dem Wingsuit begonnen und seither rund 600 Sprünge absolviert. Der von der Ostwand im vergangenen Herbst sei auch schon der zweite Anlauf gewesen, beim ersten Mal habe er abgebrochen. Dass er viele Nachahmer finden wird, glaubt Winter schon deswegen nicht, weil auf den Watzmann keine Seilbahn führt.