Bayreuth:Tristan und Tristesse

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(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Schlechte Stimmung bei der Premiere gab es schon häufig am Grünen Hügel. Mal drohte die Gewerkschaft mit Streik, mal tauchte kurz vor der Eröffnung ein heikles Tattoo auf. Sexismus-Vorwürfe aber? Das ist neu.

Von Olaf Przybilla, Bayreuth

Es hätten Wagner-Festspiele im Zeichen des großen, wiedererlangten Zusammengehörigkeitsgefühls werden sollen. Wer sich dergleichen nicht vorstellen kann, ausgerechnet am traditionell zoffanfälligen Grünen Hügel, der würde im Gespräch mit Bayreuth-Mitwirkenden ins Staunen geraten. Dieses Gefühl scheint es wirklich zu geben, und das soll, so wird's am Hügel glaubhaft versichert, selten so klar geworden sein wie in der Spielzeit 2021, der Corona-Saison. Da ging vielen jenes angeblich fast familiäre Gemeinschaftsempfinden schmerzlich ab, das fränkische Opern-Sommerferienlager litt unter rigiden Covid-Beschränkungen. Umso größer war die Vorfreude auf die Premiere 2022.

Bis vergangene Woche. Da berichtete der in Bayreuth erscheinende Nordbayerische Kurier (NK) von Sexismus-Vorwürfen im Festspielhaus. Ob die Frauen, die sich der Zeitung anonym anvertraut haben, sich auch der Festspielleitung gegenüber erklären werden, bleibt abzuwarten. Katharina Wagner hofft das - und sei es, so sagt sie, dass die Betroffenen der Festspielleiterin Briefchen unter der Bürotüre zuschieben mit entsprechenden Angaben.

Katharina Wagner, künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin der Bayreuther Festspiele, will die Sexismus-Vorwürfe aufklären. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Aber selbst, wenn sie das nicht tun sollten: Die ersehnte Erleichterung, das große Aufatmen nach der Krise ist erstmal dahin. Zu spüren ist eher Beklommenheit. Immerhin hat die Festspielchefin selbst angegeben, bereits von sexistischen Attacken und Übergriffen am Hügel betroffen gewesen zu sein. Und vom ersten postviralen Hügel kann ja ohnehin keine Rede mehr sein, bei der Festspieleröffnung an diesem Montag. Im Gegenteil.

Das wissen natürlich alle, die da, flankiert von Klimaaktivisten ("Die Erde brennt, das Publikum klatscht", unterlegt vom Walkürenritt) und bei fränkischen Bratwürsten zu 7, 50 Euro einen Blick aufs einflanierende Premierenvolk werfen wollen; auf Markus Söder (nüchtern ausstaffiert wie immer), auf Thomas Gottschalk (eher nicht-nüchtern ausstaffiert wie immer) und die Bürgerin und bekennende Wagner-Enthusiastin Angela M. samt Gatten (sie kommt wie schon als Kanzlerin). Insgesamt 80 Hügel-Mitwirkende waren zuletzt vom Virus betroffen, etwa ein Dutzend ist es immer noch. Der Dirigent Pietari Inkinen hat den "Ring" abgeben müssen, der "Tristan"-Dirigent Cornelius Meister muss übernehmen, dafür dirigiert die "Tristan"-Premiere nun Markus Poschner. Ein Premierenringtausch, der schon deshalb singulär ist, weil es das in der nicht eben unspektakulären Geschichte des Hauses so jedenfalls noch nicht gegeben hat: fünf Premieren in einer Spielzeit. Also schon gar keinen solchen Ringtausch.

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Die Festspielleitung wollte vorgesorgt haben, sollte ein Virus-Ausbruch den Chor in der "Ring"-Tetralogie niederstrecken (der "Tristan" wäre da weniger anfällig, da bekäme man das einigermaßen kaschiert). Eine fünfte Premiere am Hügel? Wirkte auf manchen geradezu irrwitzig. Im Nachhinein, angesichts des Hügelgeschehens, hat sich die Entscheidung als mindestens vorausschauend erwiesen. Wenn nicht gar weise.

Und eigentlich hätten in dieser Saison natürlich ohnehin alle Augen auf jenem 33 Jahre alten Regisseur Valentin Schwarz ruhen sollen, einem der jüngsten "Ring"-Regisseure in der Festspielhistorie, noch so ein Wow-Effekt. Im Spiegel wird der mit dem Satz zitiert, man wolle "einen geilen Wagner", was die Vorfreude auf einen in normaler Betriebstemperatur zurückgekehrten Festspielbetrieb normalerweise gestärkt hätte. Seit der Enthüllung im lokalen Kurier, dem in Sachen Hügelkompetenz auch Fachblätter nur mit Mühe das Wasser reichen können, liegt auf alledem ein Grauschleier.

Zumal der lokale "NK" am Montag noch einen weiteren Tropfen Wasser für den Premierenwein bereithielt. In der "Lohengrin"-Generalprobe seien auf der Bühne die Verse "Seht da den Herzog von Brabant, zum Führer sei er euch ernannt" zu hören gewesen. In Bayreuth! Nun ist das der Originaltext und werde, so reagiert das Haus im Kurier, "an zahlreichen Häusern weltweit" so auch gesungen und übrigens in Bayreuth ebenfalls schon. An anderen Häuser wiederum wird der "Führer" mit "Schützer" ersetzt. Nun will man noch mal in sich gehen, gerade am Hügel mit seiner Historie.

Auf dem roten Teppich: Ministerpräsident Markus Söder und seine Frau Karin Baumüller-Söder, Altkanzlerin Angela Merkel und ihr Mann Joachim Sauer (von rechts). (Foto: Andreas Gebert/Reuters)
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). (Foto: Christoph Stache/AFP)
Markus Rinderspacher (SPD) und seine Lebensgefährtin Franziska Rabl. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Auch das noch also. Andererseits gab es solche Premieren-Grauschleier natürlich schon immer in Bayreuth. Man wird sich auch an so einem strahlenden Tag wie diesem Premierenmontag kaum einig mit den auf ihren heiligen Berg gepilgerten Wagnerianern, was wohl die heikelste Belastungsprobe war in all den Jahren. Und muss da nicht mal mit der ehemaligen Festspielleiterin Winifred Wagner anfangen, der Richard-Wagner-Schwiegertochter, die 1975 punktgenau zum Bayreuther Sommer dem Filmemacher Hans-Jürgen Syberberg eine Art Lebensbeichte abgelegt und darin Adolf Hitler (den sie duzte, wie sie in der Dokumentation preiszugeben nicht unterlassen wollte) als persönlichem Freund der Familie huldigte - in jenen Jahren, als der Grüne Hügel braun war.

Lange ist es her, könnte man sagen. Anderes nicht. Genau zehn Jahre sind vergangen, Katharina Wagner war da längst Hügel-Chefin, als kurz vor der Premiere des "Holländers" ein Video auftauchte, das alle Lust auf eine unbeschwerte Premiere zunichte machte. Dass eine Partie von einem Sänger gegeben werden sollte, auf dessen Haut wenige tattoofreie Areale zu finden sind, sei doch kein Problem, hatte es zunächst am Hügel geheißen - der Mann solle in Bayreuth schließlich nicht nackig singen. Es wurde dann aber doch eines, ein gewaltiges sogar, als im Fernsehen Bilder von dem Mimen als Schlagzeuger zu sehen waren - und auf dessen Haut ein Symbol, das einem Hakenkreuz zumindest nicht komplett unähnlich sah.

Ausgerechnet am Hügel. Zwei Tage vor der Premiere, traditionell am 25. Juli, erschien in der SZ damals ein Text mit der Überschrift "Der Hautverdächtige". Der Mann war seine Rolle los, keine zehn Stunden vor der Generalprobe reiste er ab. Die Stimmung war dann eher durchwachsen.

Katharina Wagner mahnt Reformen an

Drei Jahre zuvor war sie weniger abgründig, die Gefahr für einen geordneten Festspielverlauf umso größer. Wegen angemahnter Hungerlöhne hatte das technische Personal vor der Premiere mit Streik gedroht, der Verwaltungsratsvorsitzende der Festspiele musste damals erstmals im Leben einen Brief an einen Gewerkschaftsfunktionär richten. Ein Schreiben von historischem Wert, im dem der Bayreuth-Mann dem Arbeiter-Anführer erstmal grundlegende Dinge mit auf den Weg geben wollte. Etwa, dass es sich bei einer Wagner-Oper nicht um "Evita mit weniger eingängiger Musik" handele. Und überhaupt: Verdi - die Dienstleistungsgewerkschaft, nicht Giuseppe - wolle doch wohl nicht das Erbe Wagners beschädigen? Die Premiere konnte dann stattfinden.

Womit nur ein paar subjektive Höhe- und Tiefpunkte aufgezählt wären, ein ordentliches Skandalon gehört in Bayreuth eben dazu. Warum das so ist? Darüber sind sich selbst versierte Wagnerianer uneins. Einen wichtigen Hinweis freilich könnte womöglich der Autor Axel Brüggemann liefern, glühender Wagnerhörer und Freund der Wagner-Familie, der in einem SZ-Interview - wer weiß? - mal eine Rezeptur für eine geglückte Wagnerrezeption zugrunde gelegt hat: "Man soll an der Garderobe des Festspielhauses sein Gehirn abgeben." In Ungnade fällt man am Hügel mit solchen Handlungsanweisungen übrigens nicht.

Apropos Wagner-Familie. Die Sexismus-Vorwürfe drängen nun Debatten in den Hintergrund, die Katharina Wagner offenbar gerne geführt hätte in dieser Saison. Etwa die um das Ritual eines Staatsempfangs, der auch in Covid-Zeiten stattfindet; inklusive einer - ausweislich eigener Aussagen - eher widerwilligen Hügelchefin. Viel wichtiger aber: Notwendige "Reformen" bei den Festspielen mahnte Wagner dieser Tage an, eine Forderung, die angesichts des kaum überschaubaren Hügelgeflechts aus Verwaltungs- und Stiftungsrat, lokalen und nationalen Mitsprechern nur allzu gut zu verstehen ist.

Zumal 2025 ihr Vertrag endet. Sollte man sich nicht einigen, befürchten die Wagnerianerinnen und Wagnerianer in Bayreuth danach eine höchst spezielle Premiere, eine mit mehr als nur einem Grauschleier. Es drohte dann die erste Bayreuth-Saison mit einer Festspielleitung, die nicht aus der Wagner-Familie stammt.

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