Regierungserklärung:Bayern ist spitze, aber worin?

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Der Klimaschutz dürfe kein "Eliteprojekt für Vermögende" sein, sagt Ministerpräsident Markus Söder bei seiner Regierungserklärung im Landtag. Das geht wohl gegen die Grünen, denn es ist nicht nur Klimakrise, sondern auch Bundestagswahlkampf. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Ministerpräsident Markus Söder erklärt Bayern zum Vorreiter beim Klimaschutz und belegt das mit Superlativen. Die Opposition allerdings kommt zu ganz anderen Ergebnissen.

Von Andreas Glas und Johann Osel, München

Es geht ums Klima an diesem Mittwoch im Landtag. Aber auch um Deutungshoheit, vielleicht sogar vor allem. Um die Frage, wo Bayern denn nun eigentlich steht in der Rangliste der klimafreundlichsten Bundesländer. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) rammt da gleich mal ein paar Pflöcke ein. "Waldland Nummer eins", "Deutscher Meister" in der Solarenergie, "Nummer eins bei Ladesäulen" für Elektroautos. Ja, gut, sagt Söder, "beim Wind können wir mehr leisten. Da liegen wir aber immer noch auf Platz acht, vor Baden-Württemberg".

Baden-Württemberg also. Das ist die Referenzgröße in Söders Regierungserklärung zum Klimaschutz, das ist nach wenigen Minuten klar. Es ist ein Auftritt, der mit Erwartungen aufgeladen ist. Die tödlichen Sturzfluten der vergangenen Tage seien ein "Warn- und Weckruf", sagt Söder zu Beginn seiner Rede im Landtag. 50 Maßnahmen wird er präsentieren, sortiert unter fünf Überschriften: erneuerbare Energien, natürliche CO₂-Speicher, Bauen, Mobilität und Forschung. Eine Milliarde Euro will er im Jahr 2022 in den Klimaschutz einzahlen, bis 2040 seien es insgesamt 22 Milliarden. Er kenne "kein Bundesland, das so viel in diese Fragen investiert".

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Ministerpräsident Markus Söder hatte hohe Erwartungen geweckt, als er seine Regierungserklärung zum Klima ankündigte. Die hat er nicht erfüllt. Was soll nun eigentlich drinstehen im neuen Klimaschutzgesetz?

Kommentar von Christian Sebald

Hier der Ministerpräsident, der Bayern als Klimaland Nummer eins zeichnet, dort die Opposition, die sich überwiegend einig ist, dass in Söders Klimaland Luft nach oben ist. Es ist ein Kräftemessen, vor allem zwischen CSU und Grünen. Der Klimaschutz, sagt Söder, dürfe kein "Eliteprojekt für Vermögende" sein - was der rhetorischen Kampflinie entspricht, auf die sich die CSU im Bundestagswahlkampf gegen die Grünen verständigt hat. "Ich glaube nicht daran, dass das Verbot das Allheilmittel für die Lösung ist", sagt er. Nicht Autos verbieten, sondern Motoren klimafreundlich machen. Nicht Flüge verbieten, sondern synthetisches Kerosin erforschen. Das sind Söders Botschaften. Niemand dürfe Klimaschutz und Wohlstand gegeneinander ausspielen. Es brauche eine "Kombination aus Haltung und Verstand".

Eine knappe Dreiviertelstunde spricht Söder. Dann ist Ludwig Hartmann dran, Fraktionschef der Grünen, die Söder wohl eher in der Kategorie "Haltung" verortet. "Ich weiß ja, dass Sie gerne Ländervergleiche machen. Das kann man machen. Aber man sollte sie dann auch ehrlich machen", sagt Hartmann in Richtung Regierungsbank, wohin Söder nun umgezogen ist. Etwa die Ladesäulen, da sei Bayern gar nicht Nummer eins. Baden-Württemberg habe pro 1000 Quadratkilometer 199 Ladepunkte, Bayern 120. Auf die Größe der Länder komme es an, sagt Hartmann, nicht auf die bloße Zahl der Ladeplätze. Später wird CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer den Deutungskampf fortsetzen. Nicht auf die Größe komme es an, sondern auf die Zahl der Autos, und da habe Baden-Württemberg weniger, weil weniger Einwohner, sagt Kreuzer. Alles andere sei Wahlkampf einer "Ein-Themen-Partei".

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Auch das ist es ja, was die Klimadebatte kompliziert macht: dass jeder immer den Rechenweg einschlägt, der die eigene Politik ins beste Licht rückt. Nur, was ist eigentlich die Klimapolitik dieser Staatsregierung? Und gibt es da überhaupt eine gemeinsame Linie? Manchmal klingt es ja, als müsse Söder in seiner eigenen CSU um Rückhalt werben. Etwa wenn er den Klimaschutz als "urkonservatives und urchristliches Anliegen" bezeichnet.

Auch über die Einigkeit mit dem Koalitionspartner war in den Tagen vor der Regierungserklärung viel gesprochen worden. Einer Erklärung, die das Fundament sein soll für ein neues bayerisches Klimaschutzgesetz. Während Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) am liebsten einen fertigen, von seinem Ministerium angeblich schon vor Wochen verfassten Gesetzentwurf präsentiert hätte, belässt es Ministerpräsident Söder am Mittwoch bei Eckdaten - und steckt das Revier großflächiger ab. Der Umweltminister habe "eine zentrale Rolle", aber letztlich betreffe der Klimaschutz auch andere Ministerien: Wirtschaft, Bau, Verkehr, Landwirtschaft. Es gehe um den "Teamgedanken", sagt Söder, "alles verzahnt gibt eine einheitliche Klimastrategie".

Ludwig Hartmann sieht das etwas anders mit der Einheitlichkeit in der Regierungskoalition - und wälzt das mit Freude aus. "Sie haben hier einen Konflikt in der eigenen Regierung", sagt der Grüne zu Söder, "das ist keine Führungsstärke." Christoph Skutella (FDP) formuliert es noch direkter: "Bayern ist Spitze, Bayern ist Vorreiter. Ich frag mich: Worin? Ich sag's Ihnen: in Widersprüchen." Es ist ja so: CSU-Ministerpräsident Söder hätte gerne eine Solarpflicht für neu errichtete Wohnhäuser, FW-Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger ist dagegen. Die FW würden die 10-H-Abstandsregel für Windräder am liebsten kippen, die CSU hält dran fest. Am Mittwoch verkündet Söder immerhin eine sanfte Lockerung der umstrittenen 10-H-Regel. Und bei der Solarenergie formuliert er etwa das Ziel, Photovoltaikanlagen auf staatlichen Dächern zu vervierfachen.

Auf innere Befindlichkeiten der Staatsregierung kommt FW-Fraktionschef Florian Streibl mit keinem Satz zu sprechen. In der Debatte nach Söders Erklärung wählt er einen übergreifenden, nahezu pathetischen Ansatz. Er spricht vom "Planeten Heimat" als "gemeinsames Haus" und dem Auftrag, dieses Haus "in seiner Schönheit und Vielfalt" zu bewahren. Eifriges Nicken beim Ministerpräsidenten, fast eine halbe Minute nickt Söder, ohne Pause. Es gelte, sagt Streibl, "neue starke Fäden in das Netz des Lebens zu schlagen" - das tue die Staatsregierung jetzt.

Für den SPD-Fraktionsvorsitzenden Florian von Brunn "reicht es nicht", was Söder in seiner Rede präsentiert. Unter anderem fehlt ihm die "klimafreundliche Mobilitätswende" und die Stärkung der Kommunen, "denn Klimaschutz wird vor Ort gemacht". Generell gehe es der SPD um die "sozial-ökologische Wende" - hier diskreditiere sich die CSU selbst, schon wegen des Wahlprogramms der Union mit Steuerentlastungen für Besserverdienende. FDP-Fraktionschef Martin Hagen findet die deutsche Klimapolitik insgesamt zu "kleinteilig, teuer und ineffizient". Söder setze "diesen Irrweg in Bayern nahtlos fort". Ein Bundesland im Alleingang bis 2040 klimaneutral zu machen, sei "reine Symbolpolitik ohne jeden Effekt auf das globale Klima". Die FDP setze auf den europäischen Emissionshandel mit festem CO₂-Limit auf alle Sektoren. AfD-Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner nennt es "schäbig", die "jüngste Tragödie" für eine Klima-Agenda zu "instrumentalisieren", sie plädiert für Atomkraft und Kohle für den Übergang.

Anders Söder, der den beschlossenen Kohleausstieg nach der Bundestagswahl neu verhandeln will. Er möchte prüfen, ob "ein Ausstieg aus der Kohle nicht schneller möglich ist". Das bisherige Ziel, das Jahr 2038, sei "unambitioniert". Söder kündigt an, sich erneut für einen Ausstieg bis 2030 einzusetzen. Und er empfiehlt den anderen Bundesländern ein Praktikum im Klimaland Bayern, konkret bei der Ökolandwirtschaft. Da, sagt Söder, liege der Freistaat, Überraschung: auf Platz eins. Alle, die in "anderen Bundesländern über unsere Landwirtschaft reden, sollten hierherkommen und ein Praktikum machen". Grünen-Fraktionschef Hartmann weiß das zu kontern: "Ich würde Ihnen eine Lehre anbieten in Baden-Württemberg, beim grünen Ministerpräsidenten."

© SZ vom 22.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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