Hochwasserschutz:Land unter gegen die Flut

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In der vom Inn eng umschlungenen Wasserburger Altstadt sind die Menschen Hochwasser wie das vom vergangenen August gewohnt. Vor noch deutlich höheren Fluten soll die Stadt irgendwann ein mehrere Kilometer flussaufwärts eingerichteter Flutpolder bewahren. (Foto: Uwe Lein/dpa)

Um Städte wie Wasserburg und Passau vor Hochwasser zu schützen, könnte am Inn bei Vogtareuth ein künstlicher Polder entstehen. Die Grundbesitzer und Lokalpolitiker dort sind von der Idee nicht überrascht - und schon gar nicht begeistert.

Von Matthias Köpf, Vogtareuth

Unten am Inn, da wachse der Mais am höchsten. Drei Meter und zum Teil sogar noch höher, sagt einer der Bauern im Feuerwehrhaus von Vogtareuth, einer kleinen Gemeinde am östlichen Ufer des Inns, ungefähr auf halbem Weg zwischen Rosenheim und Wasserburg. Wie hoch werden dort drunten dann der Schlamm und der Sand auf den Feldern stehen? Welche Stoffe wird das Wasser sonst noch mitbringen? Und was wird es für ihren Wald bedeuten, wenn mal ein rundes Zehntel der gesamten Gemeindefläche geflutet wird?

Das sind die Fragen, die sich etlichen Grundeigentümern und Waldbesitzern in Vogtareuth stellen und die sie jetzt hier im Feuerwehrsaal an all die Beamten und die Wissenschaftler aus München, Augsburg, Rosenheim und Kassel richten. Die stellen ihnen an dem Abend die "Innstudie" vor, die der Freistaat und sein Landesamt für Umwelt (LfU) vor zehn Jahren bei der TU München bestellt und heuer erstmals veröffentlicht haben. Vogtareuth spielt darin eine Hauptrolle. Hier könnte sich irgendwann entscheiden, ob Wasserburg und Passau und viele Orte dazwischen beim nächsten ganz großen Hochwasser in den Fluten versinken oder nicht.

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Ein Flutpolder an der Staustufe Feldkirchen in der Vogtareuther Au könnte mehr als 17 Millionen Kubikmeter Wasser aufnehmen, etwa ein Zehntel des Sylvensteinspeichers an der oberen Isar. Würde die Au bei einem extremen Hochwasser auf sechs Kilometern Länge gezielt geflutet, könnte das der Welle die Spitze nehmen und den Pegel ein paar Kilometer weiter in Wasserburg um 55 Zentimeter senken. Selbst für Passau, wo der Inn in die Donau mündet, brächte das noch 25 Zentimeter. So haben es die Wissenschaftler von der TU München und deren Kollegen aus Kassel und Wien in ihren Modellen ausgerechnet. "Feldkirchen ist vielleicht das brennendste Projekt", sagt der zuständige Referatsleiter vom LfU.

Die Forscher haben entlang den 210 bayerischen Inn-Kilometern von Oberaudorf bis Passau und an 70 Kilometern Salzach von Freilassing bis Burghausen viele mögliche Standorte ins Auge gefasst und zehn davon näher untersucht. Vogtareuth blieb ihr Favorit, gefolgt von einem knapp 63 Millionen Kubikmeter fassenden Polder bei Inzing, der aber schon kurz vor Passau läge und damit allen anderen Orten oberhalb gar nichts brächte.

(Foto: SZ-Karte/Mapcreator.io)

Die neue Innstudie sei noch keinerlei Planung, betonen das LfU und das Umweltministerium. In Vogtareuth überrascht das Ergebnis gleichwohl niemanden. Praktisch genau das Gleiche habe man ihm 2014 schon mal vorgelegt, sagt Bürgermeister Rudolf Leitmannstetter, im Jahr nach dem jüngsten großen Hochwasser an Inn und Donau vom Juni 2013. Die Schäden in Bayern waren damals auf 1,3 Milliarden Euro beziffert worden. Für einen Flutpolder Vogtareuth kursierte vor Jahren schon einmal eine grobe Kostenschätzung von rund 50 Millionen Euro.

Wie oft so eine Anlage genutzt würde, ist offen. Maßstab für gängige staatliche Hochwasserschutzmaßnahmen ist das sogenannte hundertjährliche Hochwasser, also eine Flut, wie sie statistisch alle hundert Jahre einmal vorkommt. Damit sollten alle Orte an den Flüssen auch ohne Polder zurechtkommen. Doch die Experten rechnen längst mit häufigeren Extrem-Ereignissen. Die Polder sollen Fluten entschärfen, die nach heutiger Statistik als 300- oder gar als tausendjährliche Hochwasser gelten.

Ehe so ein Polder bei Vogtareuth, Inzing oder anderswo an Inn und Salzach wirklich gebaut wird, will der Freistaat versuchen, die 15 vom österreichischen Stromkonzern Verbund betriebenen Staustufen am bayerischen Inn besser für den Hochwasserschutz zu nutzen. Wenn an deren Wehren rechtzeitig vor der Welle kontrolliert Wasser abgelassen wird, kann auch das flussabwärts einige entscheidende Zentimeter bringen - sogar deutlich mehr als an der Donau, wo das Gefälle geringer ist. Und all diese Wehre gibt es schon. "Die Infrastruktur ist da", sagt ein Vertreter des Umweltministeriums in Vogtareuth. Dagegen gebe es sonst zwar viele baureife Maßnahmen, aber nicht für alle das nötige Geld. Wie es an den Grenzflüssen Inn und Salzach weitergehen soll, müsse in den kommenden Monaten und Jahren mit den Österreichern und dem Kraftwerksbetreiber Verbund besprochen werden.

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