Techno gegen das Tanzverbot:Macht euch mal locker

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Freiluftclub: Schon vergangenen Mai versammelte die Techno-Organisation Ravestreamradio die Szene für eine Demo auf der Theresienwiese. (Foto: Ravestreamradio)

Sind die stillen Tage bald vorbei? Die Club-Szene kämpft mit einer Demo am Gründonnerstag gegen die bayerische Spaßbremse. Auch der Hotel- und Gaststättenverband fordert eine Lockerung.

Von Michael Zirnstein

Niemand will der bayerischen Staatsregierung vorwerfen, sie sei eine Spaßbremse. Auch CSU-Granden feiern gerne ausgelassen, selbst an stillen Tagen. Das politische Zechen mit Blasmusik am Aschermittwoch in Passau ist gute christsoziale Tradition. Und dann der eigentlich stille 13. November 2022 in der Allianz-Arena: Da spielten erstmals zwei NFL-Teams in München gegeneinander Football, 67 000 Zuschauer tobten, sangen und tanzten zu Partyhymnen wie dem Wiesnhit "Sweet Home Alabama", mittendrin Ehrengast Markus Söder. Ob der Ministerpräsident nun auch tanzte, ist nicht belegt, wohl aber zeigte er im Selfie-Rausch auf Twitter stets ein breites Grinsen. Na, ob er damit dem Volkstrauertag gerecht wurde?

Ein Jahr zuvor, als die Grünen im Bayerischen Landtag mit einem Gesetzentwurf das strenge Unterhaltungs-, vulgo Tanzverbot an den Gedenk- und Trauertagen beenden wollten, da lehnten dies Politiker der Regierungsparteien mit Verweis auf das "soziale und spirituelle Wohl der Menschen" strikt ab: Weil die Bevölkerung "nicht 365 Tage im Jahr durchballern" müsse (Norbert Dünkel, CSU); und weil man gerade am Volkstrauertag der "70 Millionen Opfer im Ersten und Zweiten Weltkrieg" und der 59 in Afghanistan gefallenen Bundeswehrsoldaten "weiterhin in Ehrfurcht und Würde gedenken" wolle (Johann Häusler, Freie Wähler).

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Daraus folgt nun nicht zwangsweise, dass man behelmten Recken aus dem Befreier-/Nato-Partner-Land USA beim Kampf um ein Lederei zujubeln muss, aber erlaubt ist das ausdrücklich: Das bayerische Feiertagsgesetz gestattet auch an den acht stillen Tagen Sportveranstaltungen, zu denen, wie eine hitzige Debatte im Landtag ergab, auch "Schlammcatchen" zählt. Und Cheerleading. Und Turniertanz. Aber von 2 Uhr bis 24 Uhr keinesfalls Bewegungen auf dem Dancefloor eines Clubs (früher: Disko). Kulturelle Veranstaltungen mit Musik sind nur erlaubt, "wenn der diesen Tagen entsprechende ernste Charakter gewahrt ist" - wer auch immer dies mit welcher Gesinnungs- oder Generationenbrille beurteilen mag.

Das sei eine "komplette Ungleichbehandlung", beschwert sich zum Beispiel Louis Grünwald, Club-Beauftragter vom Verband der Münchner Kulturveranstalter (VDMK). Auch in Augsburg fordert Sebastian Karner von der Club- und Kulturkommission "eine Liberalisierung der stillen Tage". Es geht aber nicht nur um Disko, Studentenfeten oder Techno-Raves, auch die Konzertveranstalter machten sich gar nicht mehr die Mühe, eine Einzelfallprüfung zu beantragen, ob ihr Jazz, Rock oder Pop nun "ruhig" genug sei. "Das quält uns seit Jahren", sagt auch Axel Ballreich vom Conzertbüro Franken aus Nürnberg. Früher noch gnädiger, machte die Polizei dann Anfang der 2000er ernst und brach einen Auftritt der eigentlich gar nicht so wilden Fisher Z ab: Der Strafbefehl lautete auf 5000 Euro. So stehen auch heuer in Bayern auf den Kulturkalendern am Karfreitag fast nur Passionskonzerte in den Kirchen und Klassiktempeln.

Und doch wird es Lärm und Tanz geben. Dafür sorgt Ravestreamradio. Die Techno-Freunde rufen am Gründonnerstag - obwohl als Arbeitstag doch ein stiller Tag - zu einer großen Demonstration auf der Theresienwiese (Start 16 Uhr). Sie fingen mit Partys in Kellern an, bündelten die freien DJ-Veranstalter zur "Nacht der Kollektive", bieten auf ihrer Homepage einen Kalender mit allen Raves der Stadt, ermöglichen Jugendlichen mit "Generationenraves" einen sicheren Erstkontakt in die Szene - und kämpften mit einer ersten Demo im Mai bereits um mehr Raum in München für die Club-, Sub- und Technokultur.

"Wir sind Leidtragende der stillen Tage", sagt Richi Meinl, der Versammlungsleiter. Zwar könne jeder an stillen Tagen in privaten Räumen legal oder im Wald halblegal einen Rave veranstalten, aber nicht als offizielle öffentliche Veranstaltung. Einen Halloween-Rave im 8 Below etwa lehnte das Münchner Kreisverwaltungsreferat mit Hinweis auf die Gesetzeslage an Allerheiligen ab.

Stören Tanzende in abgeschlossenen Clubräumen Christen beim Trauern? (Foto: Ravestreamradio)

Man respektiert die Gläubigen. Aber man störe doch in den abgeschlossenen Clubräumen (mit Lärmschutz) sicher keinen Christen beim Betrauern des vor über 2000 Jahren ans Kreuz geschlagenen Jesus. "In München gehören nicht einmal 35 Prozent der Bürger einem christlichen Glauben an", sagt Meinl, "und überhaupt hat Religion in einem säkularen Staat nichts in der Politik zu suchen." Darauf wolle man nun gerade vor der Landtagswahl hinweisen.

Unterstützung bekommen die Raver vom Bund für Geistesfreiheit Bayern (bfg). Das ist eine humanistische Weltanschauungsgemeinschaft, deren Vorkämpferin Assunta Tammelleo findet: "Selbstverständlich" will man Christen nicht daran hindern, "in Trauer und Stille zu gedenken", andererseits sollen die Frommen "Anders- und Nicht-Gläubige nicht - mithilfe des Freistaates - zwingen dürfen, es ihnen an einem solchen Tag gleich zu tun und in Trauer, Gebet und Beichte verfallen zu müssen". So zog der bfg nach dem Verbot seiner "Heidenspaß- und Höllenqual"-Partys vors Bundesverfassungsgericht - und bekam 2016 Recht. An Karfreitag etwa dürfte seitdem jeder tanzen, der sich mit seiner Feier ausdrücklich weltanschaulich gegen das Christentum wendet. Ob das nun im Sinne der Erfinder des Tanzverbotes ist?

Im Mittelalter gab es die Unterscheidung in "guten" und "bösen" Tanz

Zu dessen Ursprüngen hat Sanne Kurz von den Grünen für ihre Landtagsreden recherchiert. "Ubi est saltatio, ibi est diabolus. Wo der Tanz ist, ist der Teufel. Wirklich?" Die Kulturpolitikerin fand bei den frühen Christen nur Hinweise auf den Tanz als "vollkommenen Ausdruck religiöser Hingabe", der Franziskaner Astesanus de Asti lobte den Tanz als "heil- und gesundheitsfördernd", im Psalm 30,13 heißt es konkret: "Da hast du mein Klagen in Tanz verwandelt, hast mir das Trauergewand ausgezogen und mich mit Freude umgürtet." Im Mittelalter mit seinem Schwarz-Weiß-Denken gab es dann die Unterscheidung in "guten" und "bösen" Tanz.

Daran hält die CSU irgendwie fest - wie sonst nur die Niederlande, sechs von 26 Schweizer Kantonen und die Moralhüter in Afghanistan und Iran. Warum, das wollte das Kunstministerium der SZ nicht erklären, mit Verweis auf die Zuständigkeit des Innenministeriums (eventuell auch des Wirtschaftsministeriums), das sich dann auch nicht geäußert hat. Vielleicht, weil das strenge Tanzverbot gerade doch wankt, wie einige Insider gehört haben wollen?

Da kann es nicht schaden, dass der politisch bestens vernetzte Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) gerade eine günstige Gelegenheit erkennt, jetzt "auch mal wieder einen Versuch zu starten", wie der Bayern-Vorsitzende Thomas Geppert bestätigt. Ein Brief an die Staatsregierung sei schon getippt. Die Lockerung des in Bayern sehr weit gefassten Tanzverbotes, zumindest an einigen Tagen im November, am Gründonnerstag und am Karsamstag zähle zu den "Wahlprüfsteinen" der Dehoga. Als deren Auftrag versteht Geppert auch den Erhalt der Kultur, aber natürlich auch den Schutz der Mitglieder, denen an einigen Tagen ein gutes Geschäft entgeht. "Und die Rücklagen sind seit der Pandemie aufgebraucht."

Für die Argumente der Wirtschaft hat die Staatsregierung immer ein Ohr. "Aber was haben wir schon für einen Einfluss?", sagt hingegen Richi Meinl von Ravestreamradio, "wir sind nur ein paar Technokids". Es könnten aber immerhin ein paar Tausend werden, die dann von 18 Uhr an um neun Lautsprecher-Wagen herum tanzend wie eine kleine Loveparade durch München ziehen. In der Nachtgalerie geht es dann um 20 Uhr weiter, mit Musik und Reden etwa von den Stadträten David Süß (Grüne) und Thomas Lechner (Linke). Als Veteranen der Club-Welt kämpfen beide seit Jahrzehnten gegen die staatlich befohlene Stille.

Dank der Bundesgossen für Geistesfreiheit als Veranstalter dürfen 2000 Technofans dann sogar auf drei Tanzflächen ab Mitternacht mit einem "Heiden-Rave" in den Karfreitag hineintanzen. Mit Hilfe des bvg startet auch in der Keg-Bar um 24 Uhr ein "Heidenspaß-Karaoke", dort geht es am Karfreitagabend weiter. Und dann setzt man auch im Unter Deck mit Elektro, Hip Hop, House und Techno ein Zeichen "Gegen Tanzverbot und Stille Tage". Im Import Export wird unter dem Motto "Jazztify" weltanschaulich Kontra gegeben mit dem Rhabdomantic Orchestra (Afrobeat, Spiritual) und DJ Booty Carell. Und in der Nachgalerie geht der "Heiden-Rave" in seine zweite unstille Nacht mit 15 Kollektiven und ihren DJs. So groß wie noch nie, und tatsächlich ein Grund zur Freude: "Wir freuen uns riesig, dass das klappt", sagt Meinl.

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