Bayerisches Kabinett:"Du beschimpfst jetzt die Grünen und nicht mehr uns"

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In Harmonie vereint: Ministerpräsident Markus Söder (rechts) und sein Stellvertreter Hubert Aiwanger. (Foto: Peter Kneffel/dpa)
  • Nach einem Jahr gemeinsamer Koalition haben Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und sein Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler) eine positive Bilanz gezogen.
  • Sie wollen die Zusammenarbeit über 2023 hinaus fortsetzen. "Das ist eine Modellkoalition, sie hat auch Zukunft", findet Söder.

Von Wolfgang Wittl, München

Die Tage, als Hubert Aiwanger den Ministerpräsidenten auf den Mond schießen wollte, sind bis auf Weiteres vorbei. Aber das war ja auch noch vor der Zeit, als beide gemeinsam regierten. Als Markus Söder vor gut einem Jahr sein Raumfahrtprogramm "Bavaria One" vorstellte, warf Aiwanger ihm im Landtag nicht nur sinngemäß Größenwahn vor. Nur die Besten sollten auf den Mond fliegen, spottete Aiwanger mit Blick auf Söder. Der war damals noch Ministerpräsident auf Basis einer allein regierenden CSU, Aiwanger als Fraktionschef der Freien Wähler zählte zu seinen größten Gegenspielern. Was so ein Wahlergebnis samt Koalitionsvertrag zu ändern vermag, war am Dienstag in der Staatskanzlei zu besichtigen.

Seit einem Jahr steht das Kabinett aus CSU und Freien Wählern an der Spitze des Landes. Wer Söder und Aiwanger heute reden hört, tut sich gelegentlich schwer, beide zu unterscheiden - vom Dialekt einmal abgesehen. Man habe viel vorangebracht, sei stabiler Anker in unsicheren Zeiten, ein Gegenmodell zu den wackligen Regierungen im Bund und anderen Ländern, setze auf richtige Themen, habe den gleichen Blick auf Dinge, verstehe sich menschlich prächtig, es gebe aber noch einiges zu tun. So klingt das unentwegt. Söder und Aiwanger, die einstigen Raufbolde im politischen Bayern, sind fest entschlossen, sich lieb zu haben. Sie wissen: Streit schadet im sogenannten bürgerlichen Lager, ob man nun derselben Parteienfamilie angehört oder nicht. Sogar Söders Raumfahrtprogramm findet der Wirtschaftsminister Aiwanger inzwischen irgendwie gut. Und bei der Hightech-Agenda, "da danke ich dir, lieber Markus, dass wir so mutig waren".

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So innig ist die neue Freundschaft, dass der Ministerpräsident und sein Stellvertreter schon jetzt an eine Fortsetzung der Zusammenarbeit über die nächste Landtagswahl hinaus denken. "Dieses erste Jahr hat auf alle Fälle Lust auf mehr gemacht", versichert Aiwanger. "Das ist eine Modellkoalition, sie hat auch Zukunft" - über 2023 hinaus, findet Söder. Sätze wie diese aus dem Mund eines Ministerpräsidenten erinnern sehr an die Jahre 2008 bis 2013, als die CSU zuletzt eine Koalitionsregierung in Bayern eingehen musste. Je näher die Landtagswahl rückte, desto mehr erdrückte Horst Seehofer seinen damaligen Partner mit Komplimenten. Am Ende war die FDP so platt, dass sie weit unter den nötigen fünf Prozent durchrutschte. Aiwanger sieht keine Gefahr, dass es ihm und seinen Freien Wählern ähnlich ergehen könnte: "Ich bin überzeugt, dass uns die Koalition mehr nützt als schadet."

Tatsächlich sind die FW mit ihren vielen Bürgermeistern und Landräten besser im Freistaat verankert, als das auf die von der Bundespolitik abhängige FDP zutrifft. Trotzdem stellt sich die Frage, wer mehr profitiert von diesem Zweckbündnis. Söders Manko bei der Landtagswahl gründete nicht in einem Mangel an Einsatz, Fleiß oder Ideen, sondern in fehlendem Vertrauen. So hat er das auch für sich selbst analysiert. Konsequent strebt er deshalb seit einem Jahr ins seriöse Fach, den Ruf als Reizfigur reicht er ungeachtet aller Solidaritätsbekundungen gerne an Aiwanger weiter.

Die kritischeren Fragen richten sich am Dienstag nicht zufällig an den Wirtschaftsminister. Ob er Bayern nicht spalte, wenn er der städtischen Bevölkerung vorwerfe, sie wolle das Land "kolonialisieren"? Wie es zusammenpasse, dass die Freien Wähler am Münchner Regierungstisch allem zustimmten und dann draußen erzählten, man müsse dieser Regierung endlich auf die Füße steigen? Ja, "der Stadt-Land-Konflikt schwelt, den müssen wir wegbekommen", sagt Aiwanger. Er spricht von einer "Kluft", die es zu schließen gelte. Das gelinge allerdings besser mit einer "offenen Aussprache", anstatt Dinge zu verschweigen. Und diese ständige Kritik an der eigenen Regierung? "Dass wir nicht alle immer im Gleichschritt marschieren, ist schon in Ordnung", findet Aiwanger.

Die Freien Wähler seien aus ihrer Tradition heraus nun mal "eine sehr freie Gruppierung", sagt Söder. Die CSU sei "strukturiertes Regieren gewöhnt, die Freien Wähler sind eher so - frei". Auf dem CSU-Parteitag im Oktober hatte er Aiwanger erstmals frontal angegriffen. "Von den Entscheidungen in München kann sich keiner vom Acker machen", rief Söder unter kräftigem Beifall. Das dürfe man keinem durchgehen lassen, "auch nicht unseren Freunden von den Freien Wählern". Ach, das sei doch nur ein "kleines Scharmützel", sagt Aiwanger. Schließlich buhle man um dieselben Wähler, etwa die Landwirte. "Ich habe das nicht als Tritt ans Schienbein aufgefasst."

Überhaupt: "Ich löffle gerne Suppen aus, die ich selber mit eingebrockt habe", sagt Aiwanger. Der neue Begriff für das schwarz-orange Bündnis sei damit ja wohl gefunden, entgegnet Söder: "Suppenkoalition." Aiwanger gefällt der Begriff "Arbeitsregierung" besser und überrascht mit einer gewagten Rechnung. "Eins und eins ist nicht zwei, sondern an der Stelle drei", denn CSU und FW korrigierten und optimierten sich gegenseitig. Der größte Unterschied sei doch: "Du beschimpfst jetzt die Grünen und nicht mehr uns", sagt Söder. Aiwangers Antwort: "Genau."

© SZ vom 13.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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