Bayern-Ergebnisse im Detail:Der Wahlnebel verzieht sich

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Die Auszählung der Wahlzettel brachte interessante Erkenntnisse. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Von früheren und frischen Spitzenreitern, fleißigem Wahlvolk, vergeblichen Hoffnungen und verwundenen Altlasten: Nach dem ersten Schreck oder dem ersten Jubel - je nach Partei - zeigen sich einzelne Besonderheiten der Abstimmung in Bayern.

Von Florian Fuchs, Maximilian Gerl, Matthias Köpf und Olaf Przybilla

Erst am Tag der nach Bundestagswahl zeigen sich die Details der Abstimmung: Wer richtig punkten kann und wer verliert, wo gleich fünf Abgeordnete losgeschickt werden und wie sich die Maskenaffäre auswirkt. Eine Auswahl:

Stimmenkönigin Emmi Zeulner

Der Tag danach fühlt sich zwiespältig an für Emmi Zeulner. Da ist zum einen der schmerzhafte Verlust von mehr als sieben Prozentpunkten gegenüber 2017. Da ist aber genauso das Etikett "Stimmenkönigin der CSU", das sich die 34-Jährige nun erneut anheften darf. Und das - man muss das gemessen an Zeulners eigenem Maßstab wohl so sagen - mit einem Erststimmenergebnis von lediglich 47,8 Prozent. 2013 hatten die CSU-Kandidaten landesweit noch knapp 54 Prozent der Erststimmen geholt, in neun Wahlkreisen sogar mehr als 60 Prozent.

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Freunde von dynastisch-königlichen Phänomenen haben seit jeher eine besondere Freude an Zeulner. Das resultiert zum einen daraus, dass sie 2013 in Kulmbach einem Mann mit enorm vielen Vornamen als CSU-Kandidatin nachfolgte, Karl-Theodor zu Guttenberg. Eine leibhaftige ehemalige "Korbstadtkönigin" aus Lichtenfels folge da also einem Freiherrn, witzelten politische Beobachter. Etwas gewissermaßen Königliches haftet Zeulner seitdem aber vor allem in ihrer politischen Karriere an: 2013 hatte sie auf Anhieb mit 56,9 Prozent das beste Erststimmenergebnis in Oberfranken eingefahren und war überdies die jüngste Frau, die direkt in den Bundestag gewählt wurde. Vier Jahre später wurde sie erstmals CSU-Stimmenkönigin und legte nahezu 40 Prozentpunkte zwischen sich und den SPD-Kandidaten. Auch diesmal mussten die Sozialdemokraten erkennen, dass sie gegen die examinierte Krankenpflegerin keine Chance haben. SPD-Kandidat Simon Moritz bringt das auf die einprägsame Formel: Die Wähler dächten offenbar, die CSU brauche mal "einen Denkzettel, aber nicht unbedingt Frau Zeulner".

Und Emmi Zeulner selbst? Sagt, sie sei "unendlich dankbar für das Vertrauen", das ihr die Kulmbacherinnen und Kulmbacher erneut entgegengebracht hätten. Natürlich werde sie weiter für eine Reform der Pflege kämpfen und dafür, dass "Menschen in Würde alt werden können". Die Lehren aus der Wahl? Die Kür des Kanzlerkandidaten der Union habe sie an "Hinterzimmerpolitik" erinnert, "gefühlt wie vor 100 Jahren". Das zeige: "Entweder die Partei erneuert sich - oder sie wird erneuert."

Maskenaffäre? Egal!

Glückwünsche hat Alexander Engelhard schon vor der Schließung der Wahllokale entgegen genommen. Das liegt nicht daran, dass der CSU-Kandidat im Wahlkreis Neu-Ulm überheblich oder sich seiner Sache sehr sicher gewesen wäre. Engelhard hatte schlicht Geburtstag. 49 Jahre alt wurde er am Sonntag, das Geschenk kam dann um 18 Uhr: Respektable 37,2 Prozent der Stimmen, Direktmandat - und das im Wahlkreis, den bisher Georg Nüßlein für die CSU gewonnen hatte. Die Maskenaffäre hat die Christsozialen schwer gebeutelt im Wahlkreis, zu dem auch Günzburg gehört. Engelhard war aus Sicht der CSU der perfekte Kandidat, um sich von den Vorwürfen gegen den Vorgänger abzusetzen: Er führt eine Biomühle, die seit mehr als 600 Jahren im Familienbesitz ist. Er ist Ortsobmann des Bayerischen Bauernverbands, bei der Freiwilligen Feuerwehr und die Wähler nahmen es ihm ab, dass er sich auf die Politik konzentrieren will. Engelhard verspricht offensiv, das operative Geschäft in der Mühle einem Betriebsleiter zu übergeben, seine Eventgastronomie will er nicht weiter betreiben. "Vertrauen in die CSU zurückgeben", nennt Engelhard das. Entsprechend erleichtert zeigten sich am Montag die regionalen CSU-Granden in der Heimat von Georg Nüßlein und Alfred Sauter.

Strategisch kluges Nordnürnberg

Sebastian Brehm zeiht direkt in den Bundestag ein. (Foto: Frederic Kern /Imago)

Wie in jeder Wahl seit den Neunzigerjahren lag ein Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit vorab auf dem Wahlkreis Nürnberg-Nord. Der ist stets hart umkämpft, weil es in diesem höchst heterogenen Großstadtwahlkreis Regionen gibt, die sehr schwarz, sehr rot und neuerdings auch sehr grün sind. Weshalb sich das bislang übliche Parteien-Duell zwischen SPD und CSU diesmal zu einem Triell weitete. Mit einem - so könnte man sagen - wenig sensationellen Ergebnis. Die Wähler auf der eher linken Seite des Wahlkreises wussten offenbar nicht recht, wer von den beiden Direktkandidierenden von Grünen und SPD die besseren Chancen haben würde - und tatsächlich kamen Tessa Ganserer und Gabriela Heinrich mit 22,6 respektive 21,9 Prozent ganz eng beieinander ins Ziel. Gewinner war auch dadurch - mit für die CSU äußerst bescheidenem Ergebnis - der Kandidat Sebastian Brehm, der mit 28,5 Prozent direkt in den Bundestag einzieht. Vielleicht allerdings steckte hinter ihrem Wahlverhalten ein politisch besonders kluger Plan der Nordnürnbergerinnen und Nordnürnberger. Während Brehm nicht abgesichert war auf der Landesliste, waren dies Ganserer, Heinrich und auch Katja Hessel von der FDP - auch die hat übrigens Hochburgen in Nürnberg-Nord - sehr wohl. Mit dem Ergebnis, dass dieser Wahlkreis künftig von insgesamt fünf Abgeordneten im Bundestag vertreten wird, hinzu kommt noch Martin Sichert von der AfD. Das nennt man dann wohl strategisch kluges Wählen. Eine eigene Gruppe Nürnberg-Nord im Bundestag? Hält Katja Hessel trotzdem für "eher schwierig". Schon weil die vier Abgeordneten von CSU, SPD, Grünen und FDP mit dem fünften im Bunde nicht allzu viel zu tun haben wollten.

Verkehrsminister mit Verlusten

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer kam in seinem Wahlkreis nur auf 30,7 Prozent der Erststimmen. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Der Verkehr scheint für die CSU kein echtes Gewinnerthema mehr zu sein: Alle drei einstigen oder jetzigen Bundesverkehrsminister aus ihren Reihen errangen am Sonntag zwar die Direktmandate, um die sie sich beworben hatten. Allerdings mussten sie dabei auch alle herbe Stimmenverluste hinnehmen. Der am wenigsten ehemalige Verkehrsminister unter ihnen ist Noch-Amtsinhaber Andreas Scheuer, der als Direktkandidat in Passau im Vergleich zu 2017 stolze 16,8 Prozentpunkte einbüßte und nur auf 30,7 Prozent der Erststimmen kam. Platz zwei erreichte dort Johannes Schätzl (SPD), der es am Sonntag nach langer Zitterpartie über die Liste in den Bundestag schaffte. In Weilheim kam der Verkehrsminister von 2013 bis 2017 und aktuelle Chef der CSU-Landesgruppe, Alexander Dobrindt, auf 41,9 Prozent der Erststimmen. Er verlor 6,1 Punkte und damit weniger als die CSU insgesamt. Peter Ramsauer, Bundesverkehrsminister von 2009 bis 2013, büßte in Traunstein 13,7 Prozentpunkte ein und landete bei 36,6 Prozent. Seine Gegenkandidatin, die aktuelle Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Bärbel Kofler (SPD), erreichte 17 Prozent. Zwischen Dobrindt und Scheuer hatte der damalige Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) das Verkehrsressort für einige Monate kommissarisch mitgeführt. Schmidt hatte auf eine weitere Bundestagskandidatur in seinem Wahlkreis Fürth verzichtet.

Gehörlose Kandidatin scheitert

Die gehörlose SPD-Bundestagskandidatin Heike Heubach hat den Einzug ins Parlament bei der Wahl am Sonntag knapp verpasst. Die 1979 geborene Bewerberin aus dem Augsburger Vorort Stadtbergen stand bei der bayerischen SPD auf Platz 24 der Landesliste, die Sozialdemokraten werden nach Angaben des Landeswahlleiters vom Montag aber nur 23 Listenkandidaten nach Berlin schicken können. Heubach wäre die erste gehörlose Politikerin im Bundestag überhaupt gewesen. Sie hatte im Wahlkreis Augsburg-Land kandidiert, aber gegen Amtsinhaber Hansjörg Durz (CSU) bei der Direktwahl keine Chance. Durz kam trotz starker Verluste auf 40,6 Prozent der Erststimmen, Heubach landete mit 14,5 Prozent abgeschlagen auf dem zweiten Platz. Die Chancen über die SPD-Liste in den Bundestag zu kommen, zerschlugen sich für Heubach dann in der Nacht zum Montag. Richtig traurig sei sie, wo es doch so lange gut aussah, sagt sie. Und kündigt an, es in vier Jahren noch mal probieren zu wollen. "Ich gebe nicht auf!"

Unterschiedliche Wahlbeteiligung

Bayerischer Spitzenreiter: In München-Land gaben 84,8 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab - so viele wie in keinem anderen Wahlkreis in Bayern. Dieser überbot damit sogar noch einmal seine Quote von 2017, die auch damals mit 83,9 Prozent überdurchschnittlich ausgefallen war. Am anderen Ende der Skala rangiert Nürnberg-Süd mit einer Wahlbeteiligung von 73,1 Prozent. Einzelne Wahlbezirke dort meldeten sogar nur 53 Prozent. Exakt den bayerischen Durchschnitt erzielte der Wahlkreis Weiden mit einer Wahlbeteiligung von 79,8 Prozent.

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Trotz Schwund gewonnen

Vielerorts musste die CSU Einbußen hinnehmen, doch im Oberallgäu war der Stimmenschwund für Direktkandidatin Mechthilde Wittmann beachtlich. Ein Minus von 20,7 Prozentpunkten wurde bei den Erststimmenanteilen verbucht, verglichen mit der Wahl 2017. Besonders groß fiel der Stimmenschwund im einst "schwarzen Dorf" Balderschwang aus. Früher erreichte die CSU dort bei Wahlen schon mal an die 100 Prozent; 2017 waren es dann bei den Erststimmen noch 78,35 Prozent, diesmal sogar "nur" 47,33 Prozent. Wittmann konnte trotzdem am Ende mit 29,7 Prozent die meisten Stimmen im Oberallgäu auf sich vereinen, am nächsten kam ihr noch Martin Basil Holderied von der SPD mit 15,8 Prozent. Den größten Rückgang bei den Zweitstimmenanteilen gab es für die CSU im Wahlkreis von Peter Ramsauer, in Traunstein: Sie kam dort auf 31,5 Prozent, das waren 13,1 Punkte weniger als 2017.

Schwankende Grüne

Wenn die Grünen überall so ein Ergebnis eingefahren hätten wie im Norden der Landeshauptstadt, und sei es nur annähernd - ja, dann wären die Grünen als die großen Gewinner aus der Bundestagswahl hervorgegangen. 27,5 Prozent der Zweistimmenanteile konnten sie im Wahlkreis München-Nord auf sich vereinen, so viele wie keine andere Partei. Und viel hätte auch nicht gefehlt, um der CSU zusätzlich das Direktmandat zu entreißen, nur 1,5 Prozentpunkte lag Herausforderin Doris Wagner am Ende hinter Bernhard Loos. Allerdings ging es eben für die Grünen vielerorts auch in eher bescheidene Höhen. Der grüne Niedrigpunkt liegt im Wahlkreis Schwandorf, dort reichte es bei den Zweitstimmenanteilen nur für 6,4 Prozent.

© SZ vom 28.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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