Als Anfang des Jahres durchsickerte, dass der Münchner Autokonzern BMW seine neue Hochvoltbatterie-Fabrik für die Umstellung seiner Fahrzeugflotte auf E-Mobilität im niederbayerischen Straßkirchen errichten will, geriet der sonst eher bedächtige bayerische Bauminister Christian Bernreiter (CSU) ins Schwärmen. "Das ist ein sehr starkes Signal für die gesamte Region", sagte Bernreiter, der in Niederbayern daheim ist, "aber auch für die Zukunftsfähigkeit des Freistaats." Zugleich sicherte Bernreiter BMW die volle Unterstützung der Staatsregierung zu. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) eilte an einem Freitagabend sogar höchstpersönlich aus München herbei, als BMW in Straßkirchen seine Pläne präsentierte. Das neue Werk wäre die bedeutendste Industrieansiedlung in Niederbayern seit Jahrzehnten.
Nun klingt Bernreiter sehr viel nüchterner. "Bürgerentscheide sind übliche Instrumente bayerischer Kommunalpolitik", sagt der Bauminister, der bis zu seiner Berufung ins Kabinett Landrat des Landkreises Deggendorf war. "Jetzt gilt es für einen wichtigen Baustein der industriellen Zukunft Niederbayerns mit sicheren hochwertigen Arbeitsplätzen zu werben." Aiwanger geht noch einen Schritt weiter auf Distanz. "Ich bin ein großer Freund der direkten Demokratie, wir haben als Freie Wähler schon eine Reihe Volksbegehren gemacht", teilt er mit. "Es ist gelebte Demokratie, wenn ein solch zentrales Thema für die Gemeinde mit den Bürgern intensiv diskutiert und dann darüber abgestimmt wird."
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Der Grund der neuen Zurückhaltung: Am Donnerstagabend hat der Straßkirchner Gemeinderat einstimmig erklärt, dass das Bürgerbegehren "Ja zur Erhaltung fruchtbarer Böden im Gäuboden" gegen das Großprojekt rechtlich zulässig ist. Zugleich haben die Gemeinderäte entschieden, dem Bürgerbegehren ein Ratsbegehren für die Pläne von BMW entgegenzustellen. Am Sonntag, 24. September, sollen die ungefähr 2800 Wahlberechtigten von Straßkirchen über beide Begehren abstimmen. Damit wird zumindest denkbar, was sich bisher kein Politiker und wohl auch kein Manager bei BMW vorstellen konnte: Dass die Straßkirchner Bevölkerung BMW einen Korb gibt und die Ansiedlungspläne ablehnt.
Das neue Batteriewerk ist ein zentraler Baustein in der Zukunftsstrategie von BMW. Von ihm aus sollen einmal die BMW-Werke in München, Dingolfing und Regensburg mit Hochvoltbatterien versorgt werden. Für die Fabrik hat der Konzern Ende Februar 105 Hektar Ackerland in dem bis dato sehr ländlichen Straßkirchen und seiner Nachbargemeinde Irlbach erworben. In einem ersten Abschnitt sollen etwa 60 Hektar bebaut werden, in dem Werk sollen einmal 1600 Beschäftigte arbeiten. Für die verbleibenden 45 Hektar gibt es Ausbauszenarien, aber noch keine Entscheidungen. Zugleich hat sich BMW das Vorkaufsrecht für weitere 36 Hektar Ackerland gesichert. Damit ist klar, dass sich das Batteriewerk einmal auf 140 Hektar Fläche erstrecken könnte.
Niederbayern ist BMW-Land
Niederbayern ist BMW-Land, der Autokonzern beschäftigt in seinen Werken dort nach eigenen Angaben um die 20 000 Menschen. Allein im 20-Kilometer-Umkreis von Straßkirchen und Irlbach sollen ungefähr 7500 Mitarbeiter leben. Der Straßkirchner Bürgermeister Christian Hirtreiter (CSU) hat denn auch in der Vergangenheit gerne betont, dass es in seiner Gemeinde kaum eine Familie ohne Verbindung zu BMW gebe. Schon deshalb rechnete keiner in der Region mit Widerstand gegen die Ansiedlungspläne.
Doch es gibt ihn. Die Bürgerinitiative "Lebenswerter Gäuboden" wollte sich von Anbeginn nicht damit abfinden, dass für das Projekt wertvolles Ackerland verloren geht. "Die Böden bei uns im Gäuboden zählen zu den fruchtbarsten weltweit", lautet das Credo von BI-Sprecher Thomas Spötzl. "Wir wollen unbedingt, dass sie erhalten bleiben." Der Flächenfraß ist nicht der alleinige Grund, warum Spötzl und seine Mitstreiter gegen das Großprojekt sind. Nach ihrer Überzeugung überfordert die geplante Fabrik den 3400-Einwohner-Ort Straßkirchen völlig - vom Zuzug her, der erwartet wird, aber auch vom Verkehr. Der Zuspruch zu der BI ist für viele überraschend groß. 474 Straßkirchner unterstützten das Bürgerbegehren mit ihrer Unterschrift, 280 wären für den Bürgerentscheid nötig gewesen.
Spötzls Bürgerinitiative legt großen Wert auf ihre Unabhängigkeit. Der Bund Naturschutz (BN) in Bayern unterstützt sie aber zumindest ideell. Die Organisation hat sich ebenfalls von Beginn an gegen die BMW-Pläne positioniert. "Wir sind nicht grundsätzlich gegen die Batteriefabrik", sagt BN-Chef Richard Mergner. "Aber wir akzeptieren nicht, dass dafür zig Hektar freie Landschaft zugebaut werden." Der Autokonzern solle das neue Werk auf Brachflächen an vorhandenen Standorten errichten. "Allein in Regensburg hat BMW Parkplätze in einer Größenordnung von 30 Hektar", sagt Mergner. Zugleich übt er scharfe Kritik an der Staatsregierung. Der Grund: Die Vorarbeiten für das Genehmigungsverfahren laufen schon. "Damit hat der Freistaat das übliche Verfahren auf den Kopf gestellt", sagt Mergner. "Ich hoffe, dass es bei dem Bürgerentscheid fair zugeht."
Der Autokonzern gibt sich optimistisch
Und was sagt BMW dazu, dass seine Pläne von den Straßkirchnern gestoppt werden könnten? "Wir begrüßen grundsätzlich, dass unser demokratisches politisches System die Möglichkeit eines Bürgerentscheids vorsieht", erklärt eine Unternehmenssprecherin. Der Bürgerentscheid komme nicht überraschend. Zudem begrüße man das Ratsbegehren des Straßkirchner Gemeinderats für das Projekt. Ansonsten gibt sich BMW optimistisch. Man werde weiter über das Projekt informieren und den Fortschritt in vielen Dialogen mit den Bürgern darstellen. "Wir erhalten bereits heute viel Zustimmung", erklärt die Sprecherin, "wir sind zuversichtlich, dass wir unser Projekt wie geplant realisieren können."