Im Grunde passen alle wichtigen Botschaften zum Klimawandel auf einen Bierdeckel. Annette Menzel hat das vor kurzem beim Klimakabinett in Berlin vorgeführt. Vier Punkte habe sie für die Minister auf einen Untersetzer geschrieben, sagt die Professorin für Ökoklimatologie an der Technischen Universität München: Wir stecken mittendrin, es ist klar, dass der Mensch schuld ist, die Auswirkungen sind überall spürbar und es braucht nun schnelle, nachhaltige und große Änderungen.
"Das ist überlebenswichtig", sagt Menzel. Und damit das auch dem Letzten klar wird, steht die Professorin nun vor einer stattlichen, etwa 100 Jahre alten und voll verkabelten Rotbuche am Eiskanal in Augsburg. Der Baum überträgt fortan täglich seine Daten ins Internet: Wie wächst der Stamm, was macht der Saftfluss, wie warm werden die Blätter? Das Pilotprojekt soll Wissenschaftlern wichtige Erkenntnisse liefern und vor allem helfen, den Klimawandel zu veranschaulichen.
Vier Bäume in Bayern gehen nun online, "Baum 4.0" heißt das Programm. Augsburg, mit 7700 Hektar größter kommunaler Waldbesitzer in Bayern, macht den Anfang - München, Eichstätt und Berchtesgaden folgen. Die Stämme sind dafür mit allerhand Kabeln versehen, ein Solarpanel liefert die notwendige Energie für die Sensoren. Eine Webcam erfasst einmal pro Tag einen Teil der Krone des Baums in Augsburg, um im Frühjahr die Blattentwicklung und im Herbst die Blattverfärbung zu dokumentieren.
Das Projekt wird vom Bayerischen Wissenschaftsministerium gefördert, und ist ein Teil des Verbunds Baysics, in dem die Staatsforsten, der Alpenverein und das Bayerische Netzwerk für Klimaforschung kooperieren, um den Klimawandel "vor der Haustüre" erlebbar zu machen, wie es Menzel ausdrückt. Denn darum geht es, sagt auch Augsburgs Zweite Bürgermeisterin und Forstreferentin Eva Weber (CSU): "Wenn wir was ändern wollen, müssen wir die Bürger erreichen."
Dass die Menschheit etwas ändern muss, führt Menzel mit Fakten vor Augen: "Wenn wir so weitermachen wie bisher, ist es hier im Jahr 2100 um vier Grad wärmer als heute." Man könne nach Südfrankreich oder in den Libanon schauen, um nachzuvollziehen, welches Klima dann in Bayern herrsche. Hitzesommer wie 2003, 2015, 2018 oder auch dieses Jahr würden schon bis Mitte des Jahrhunderts Normalität. "Das vertragen unsere Bäume nicht."
Es gehe dabei schon lange nicht mehr nur um die Fichte. Wenn es in Kitzingen 45 statt 40 Grad warm sei, könne man sich vorstellen, dass die Rinde zu heiß werde. "Egal ob Esche, Buche oder Ahorn, es gibt kaum einen Baum in Bayern, dem es noch gut geht", sagt Menzel, die schon lange zu dem Thema forscht und als eine der Leitautoren den vierten Sachstandsbericht des Weltklimarats mitverfasst hat - das UN-Gremium erhielt im Jahr 2007 den Friedensnobelpreis.
Die ins Internet übertragenen Vitalwerte sollen langfristig helfen, die Einflüsse, denen die Bäume ausgesetzt sind, besser zu verstehen. Neben den vier verkabelten Bäumen sollen noch weitere hinzukommen, um die Aussagekraft der Daten zu erhöhen. Indem sie die Blatttemperatur messen, erhoffen sich die Forscher Erkenntnisse über die Verdunstung und damit über die Wasserversorgung an den Blättern.
Ein Sensor zeigt den Saftfluss, also den Wassertransport von den Wurzeln zu den Blättern. Die Bodentemperatur lässt darauf schließen, wann es Frost gibt: Bei gefrorenem Boden kann ein Baum kein Wasser aufnehmen. Und ein sogenanntes Dendrometer misst im Mikrometerbereich den Umfang des Baumes: Tagsüber verliert der Stamm etwas an Umfang, weil er Wasser verbraucht, nachts schwillt er wieder an - und langfristig sollte er natürlich wachsen.
"Wir müssen schauen, welche Baumarten mit den höheren Temperaturen zurecht kommen"
Die Standorte der Bäume sind sorgfältig gewählt: In Augsburg steht die 30 Meter hohe Rotbuche nahe am Lech. In Eichstätt im Jurakalk ist es im Boden trockener, in Berchtesgaden wird der verkabelte Baum auf 1200 Metern Höhe stehen - dort ist es kühler. Die unterschiedlichen Bedingungen machen die Daten besonders spannend. "Der Baum in Augsburg ist für den Baum in Berchtesgaden so etwas wie ein Blick in die Zukunft", sagt Menzel. Denn in ein paar Jahren wird es auf 1200 Metern Höhe genauso warm sein wie nun in Augsburg. Dies, sagt Menzel, ist auch ein Ansatz für die Rettung des deutschen Waldes: Diversität. "Wir müssen schauen, welche Baumarten mit den höheren Temperaturen zurecht kommen." Bäume aus Südfrankreich oder dem Libanon zum Beispiel, wie die Zedern.
Um die Rotbuche in Augsburg herum etwa hat die Augsburger Forstverwaltung nun auch Elsbeeren gepflanzt, die alten Eschen dort waren dem Eschentriebsterben zum Opfer gefallen. Elsbeeren sind Laubbäume, die "eigentlich vor allem in Weinbauregionen vorkommen, wo es wärmer ist", sagt der Chef der Forstverwaltung, Jürgen Kircher. Eine Reaktion auf den Klimawandel also. Kircher sieht das Projekt "Baum 4.0" als Chance, über seine Wälder etwas zu lernen. "Wenn es einem Baum nicht gut geht, sehe ich das auch so, aber durch die Daten wird es spezieller", sagt er.
Die Augsburger seien sehr sensibel, wenn es um ihre Bäume gehe, erzählt die Zweite Bürgermeisterin Eva Weber. Wenn ein Stamm gefällt werde, kämen schnell die Fragen, was da los sei. Dass Schädlinge Bäume kaputt gemacht hätten, sei oft nur für Experten sichtbar. "Durch die Daten im Internet haben die Leute nun die Möglichkeit, live über Bäume zu lernen", sagt Weber. So sieht das auch Menzel. "Ein Grad Erwärmung klingt so abstrakt", sagt sie. Wenn man aber sehe, dass Pflanzen im Frühling früher austreiben, begreife man, was Klimawandel bedeute.