Nazi-Vergangenheit:Der Chiemgau unterm Hakenkreuz

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Das Grab des frühen Nationalsozialisten und Hitler-Vertrauten Hermann Kriebel am Friedhof der Gemeinde Aschau im Chiemgau. Das kleine Hakenkreuz am Stahlhelm wurde vor einigen Wochen entfernt. (Foto: Matthias Köpf)

Der Heimat- und Geschichtsverein Aschau bemüht sich um ein eigenes Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der NS-Zeit in der Region.

Von Matthias Köpf, Aschau im Chiemgau

"Wir wollen Wege finden, wie man mit so was umgeht", sagt Natascha Mehler. Sie ist seit drei Jahren Archäologieprofessorin an der Uni Tübingen, ist Vorsitzende des Heimat- und Geschichtsvereins in ihrem Heimatort Aschau im Chiemgau - und "sowas" ist zum Beispiel dieses Grab auf dem Aschauer Friedhof. Ein gewisser Hermann Kriebel liegt dort an prominenter Stelle gleich links beim Eingang begraben, der Stein verzeichnet über dem Namen den Dienstgrad Oberst und drunter den Titel Botschafter. Ganz oben thront ein Stahlhelm mit einem kleinen Wappen, darauf bis vor zwei Wochen ein Reichsadler mit Hakenkreuz. Wer es nicht wusste, dem fiel es kaum auf. Aber manche wussten es.

Vor einer Weile zum Beispiel soll plötzlich ein Kranz von der Bundeswehr am Kriebel-Grab gelegen sein - gefälscht, wie sich herausgestellt hat, und wohl eine Provokation von Rechtsextremen, vermutet man beim Geschichtsverein. Denn Hermann Kriebel hatte schon 1923 mit Hitler den Marsch zur Münchner Feldherrnhalle angeführt und saß danach mit diesem ein Jahr in Festungshaft.

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In Anbetracht dessen hat Kriebel, seit 1930 Mitglied der NSDAP, im Nazireich zwar nicht die ganz große Karriere gemacht. Nach Jahren als Militärberater in China hat er es aber immerhin zum Leiter der Personalabteilung im Außenministerium gebracht. Botschafter war er hingegen nie, den Titel erhielt er kurz vor seinem Tod im Jahr 1941 von Hitler zum 65. Geburtstag. Trotzdem sei er für viele in Aschau immer noch "unser Botschafter", sagt Natascha Mehler.

Denn umgegangen ist man mit NS-Relikten wie dem Kriebel-Grab auch in Aschau lange Zeit zurückhaltend bis gar nicht. Wer es darauf anlegt, stößt bei den vielen Aschauern auf echtes Unwissen über das Kriebel-Grab und bei anderen auf nachdrücklich formuliertes Desinteresse. Der Gemeinderat hat 2019 beschlossen, sich nicht näher mit dem Thema zu befassen. Privatsache, lautet die allgemeine Ansicht. Die Gemeinde, auf deren Friedhof sich das Grab befindet, ließ dann im vergangenen Herbst zwei Medienberichte an sich vorüberziehen, wonach es bis vor kurzem ein Hakenkreuz auf dem Grabstein gegeben habe, das nun immerhin entfernt worden sei. Wirklich entfernen ließen es Kriebels Nachfahren aber erst kürzlich, laut Bürgermeister Simon Frank am 2. Juni dieses Jahres.

Aufs Tapet gebracht hatten das Thema vornehmlich Leute, die noch nicht ihr ganzes Leben in Aschau wohnen. Für den Geschichtsverein war das fast ein bisschen zu früh gekommen - obwohl es fast acht Jahrzehnte nach Ende der Naziherrschaft höchste Zeit gewesen wäre. Aber mit seinem ehrgeizigen Projekt zum Umgang mit der NS-Vergangenheit war der Verein noch nicht ganz so weit. Nun hat er sich aber auf die Suche nach Fördermitteln gemacht, um das Thema möglichst großräumig und professionell aufarbeiten zu lassen. Eine mit einer Doktorarbeit über die Nachkriegszeit im Priental frisch promovierte Historikerin soll die Hauptarbeit leisten.

Wenn es nach Natascha Mehler geht, dann könnte sich das Forschungsprojekt idealerweise über den ganzen "Traditionsgau" der NSDAP erstrecken, der sich weitgehend mit dem damaligen Kreis und heutigen Bezirk Oberbayern deckte. 150 000 Euro wären da wohl notwendig, schätzt Mehler. Bisher gebe es mündliche Zusagen über insgesamt etwa 20 000 Euro, auch von einigen Gemeinden in der näheren Umgebung. Mit der gerade recht klammen Gemeinde Aschau gibt es laut Bürgermeister Frank bald einen ersten Gesprächstermin.

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