Migrationspolitik:Wer nach den Angriffen in Amberg nach der Deutungshoheit greift

Migrationspolitik: Die Sicherheitslage in Amberg ist laut Polizei gut, das habe auch die schnelle Festnahme gezeigt.

Die Sicherheitslage in Amberg ist laut Polizei gut, das habe auch die schnelle Festnahme gezeigt.

(Foto: AFP)
  • In Amberg sollen vier junge Asylbewerber am vergangenen Samstag wahllos Passanten angegriffen und verletzt haben.
  • CSU-Politiker fordern als Konsequenz härtere Abschiebegesetze.
  • Flüchtlingshelfer kritisieren das als Instrumentalisierung.

Von Elisa Britzelmeier, Amberg, Oliver Das Gupta, Seeon, Camilla Kohrs und Johann Osel

Michael Cerny ist dieser Tage ein gefragter Mann. Seit vier betrunkene junge Männer durch die Straßen von Amberg zogen und wahllos Menschen angriffen, eilt der Oberbürgermeister der idyllischen Stadt in der Oberpfalz von Termin zu Termin. Wie Cerny befindet sich auch seine Stadt im Ausnahmezustand. Medien berichten, in den sozialen Netzwerken rufen Rechte zu Selbstjustiz auf. AfD-Politiker kündigen ihren Besuch an, die NPD postet Bilder auf Facebook von einer selbsterklärten Bürgerwehr, die angeblich durch die leeren Straßen des 44 000-Einwohner-Städtchens lief, und die CSU fordert schärfere Gesetze.

"Wir haben uns so etwas in Amberg nicht vorstellen können", sagt Cerny im Heute Journal. Die Kriminalstatistik habe sich in den vergangenen Jahren positiv entwickelt, auch die Zahl der Gewalttaten sei gesunken. Die Tat sei für ihn überraschend, die vier jungen Männer waren von außerhalb nach Amberg gefahren.

Am Samstagabend hatten sie nahe dem Bahnhof zwölf Passanten verletzt, ein 17-Jähriger musste wegen einer Kopfverletzung im Krankenhaus behandelt werden. Nun sitzen sie in Untersuchungshaft. Abgeschoben werden können die Asylbewerber jedoch nicht, teilt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit.

Für einen von ihnen, einen minderjährigen Afghanen, habe das Bundesamt für Asyl und Flüchtlinge (Bamf) ein Abschiebungsverbot ausgesprochen. Man habe das Amt gebeten, das Verbot nach Möglichkeit zu widerrufen, so Herrmann. Bei zwei weiteren Tatverdächtigen handele es sich um zwei volljährige Afghanen. Ihre Asylverfahren laufen noch, damit sei eine Abschiebung derzeit rechtlich nicht möglich. Einer der beiden mache im Moment eine Ausbildung zum Koch. Ihm solle schnellstmöglich die Ausbildungserlaubnis entzogen werden. Der vierte Tatverdächtige sei ein 18-jähriger Iraner, dessen Asylantrag im Februar 2018 abgelehnt wurde. Sein Abschiebungsverfahren laufe bereits. Jedoch scheiterten Abschiebungen in den Iran häufig an fehlenden Papieren, sagt Herrmann. Ob das auch für diesen Fall gelte, teilte er nicht mit.

Für Aufregung sorgt zwischenzeitlich der Facebookpost der Nürnberger NPD zu einer vermeintlichen Bürgerwehr. Laut Polizei haben Aktionen wie die der NPD das Ziel, die Bevölkerung zu verunsichern. Die Sicherheitslage in Amberg sei gut, das habe auch die schnelle Festnahme gezeigt. Außerdem gebe es genügend Polizisten. Ob es eine aktive rechte Szene in Amberg gibt und ob schon früher über Bürgerwehren berichtet wurde, werde derzeit recherchiert.

Innenminister Herrmann sagt am Donnerstagnachmittag: "Es gibt keinen Anlass für Bürgerwehren und keinen Platz in dieser großartigen Stadt." Er ist nach Amberg gekommen, "für die Bürger in Bayern", wie er sagt, und weil er sich der Stadt besonders verbunden fühle, sein Vater kommt hierher. Er trifft sich mit seinem Parteikollegen, Oberbürgermeister Cerny, hinter verschlossenen Türen zum Kaffee. Davor aber betont er noch: "Die NPD ist eher ein Sicherheitsrisiko, als dass sie für Sicherheit sorgt."

"Dass rechte Gruppierungen jetzt ihr Süppchen kochen wollen, überrascht nicht", sagt der Innenminister. Es gebe keinen Anlass, die Taten zu beschönigen - und keinen, sie zu dramatisieren. Dem Vorwurf, dass der Vorfall in Amberg auch durch die Politik aufgebauscht werde, will Herrmann mit einer Fortsetzung der bisherigen bayerischen Sicherheitspolitik entgegentreten. Die Polizeipräsenz in Amberg will er vor allem "für das Sicherheitsgefühl" erhöhen.

"Wer das Gastrecht missbraucht, hat keine Perspektive mehr"

Trotz der angeblich entspannten Lage in Amberg sind auf der Klausurtagung der CSU-Landesgruppe in Seeon verschärfte Abschiebungsgesetze ein Thema. Bundesinnenminister Horst Seehofer spricht von "Gewaltexzessen". Man bereite Gesetzesverschärfungen in der Ausländerpolitik "völlig unabhängig von dem Vorgang in Amberg" vor. Auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder kündigt Konsequenzen an: "Wer das Gastrecht missbraucht, hat keine Perspektive mehr." Abschiebehindernisse müssten, wenn möglich, beseitigt werden.

Die CSU will ihren Ruf als Partei für Recht und Ordnung verteidigen. Wohl auch gegen die AfD, die nach der Deutungshoheit greift. Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner ist mit Kollegen in Amberg, um sich nach den "Hetzjagden", wie sie es nennt, ein Bild von der Lage zu machen und mit Bürgern zu reden. Sie fordert die "unverzügliche Abschiebung" der Tatverdächtigen und ebenfalls Rechtsverschärfungen. Der Bundestagsabgeordnete Peter Boehringer, Wahlkreis Amberg-Neumarkt, macht "willkommensbesoffene Politiker" verantwortlich für die Tat, OB Cerny warf er "Verharmlosung" vor.

Auch bei der Polizei in Amberg ist die AfD-Gruppe zu Gast und lässt sich die Kriminalstatistik erläutern. Die habe "keine besonderen Ausreißer", so Ebner-Steiner. "Das zeigt, dass das in jeder idyllischen Stadt hätte passieren können". Besorgniserregend sei die "neue Dimension."

Die CSU teilt in Seeon mit, man wende sich gegen eine Instrumentalisierung der Ereignisse durch rechte Gruppen, wie die NPD und die AfD. Dabei wird der CSU genau das vorgeworfen. Die Partei versuche, mit ihren Forderungen "aus dem Vorfall politisches Kapital zu schlagen", sagt der Sprecher des bayerischen Flüchtlingsrats Stephan Dünnwald. Die Gesetze seien in den vergangenen Jahren bereits massiv verschärft worden und mehr als ausreichend. Besonders bedenklich finde er, dass Herrmann schon jetzt fordert, einem der Verdächtigen die Ausbildungserlaubnis zu entziehen, bevor überhaupt ein Urteil gefallen ist. Als Innenminister habe Herrmann ja auch die Verfassung zu schützen. Der Ruf nach Abschiebungen erinnere sehr an das "Ausländer-Raus-Geschrei, was wir von NPD und AfD kennen", so Dünnwald weiter. "Wenn das deutsche Jugendliche gewesen wären, dann wüssten wir vermutlich von diesem Vorfall überhaupt nicht", sagt Dünnwald. Besorgt wegen der Stimmung in Amberg ist er jedoch nicht: Die Amberger kämen ihm deutlich besonnener vor als manche bayerische Spitzenpolitiker.

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