TTIP-Verhandlungen:Warum Arbeiter in den USA auf TTIP hoffen

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(Foto: James Fassinger/Reuters)

Europa plant bei TTIP gemeinsame Sozialstandards - auch solche, die US-Arbeitnehmer schmerzlich vermissen. Jetzt zeigen die Dokumente: Washington will nicht nachgeben.

Von Alexander Hagelüken und Alexander Mühlauer, Kansas City

In seinem Büro hat Pat Dujakovich eine Axt an die Wand gehängt. Er ist Feuerwehrmann, immer noch, auch wenn er jetzt nicht mehr jeden Tag draußen im Einsatz ist. Dujakovich, den hier alle Duke nennen, ist Präsident der Gewerkschaft AFL-CIO, zuständig für Greater Kansas City. Kein leichter Job.

Er sagt: "Ich bin Feuerwehrmann, ich habe keine Ausbildung wie die auf der anderen Seite des Tisches." Die auf der anderen Seite sind die Unternehmer, die Konzernchefs, die Amerika im Griff haben und große Hoffnungen in TTIP setzen. Wirtschaftlich jedenfalls. Auch Duke, fester Händedruck, Glatze, Schnauzbart, setzt Hoffnungen in TTIP - und zwar bei der Frage der Bezahlung. Und bei den Arbeits- und Sozialstandards. Die seien ja in Europa sehr viel höher und besser. Ja, da erwarte er sich eine "Angleichung nach oben". "Bei uns ist es immer noch legal, jemanden zu feuern, der schwul ist", sagt Duke. Das müsse man sich mal vorstellen, schimpft er - "und das im land of the free".

Die EU will Sozial- und Umweltdumping verhindern

Europa schickt sich an, Dukes Hoffnung zumindest zum Teil zu erfüllen. Die Europäer haben ambitionierte Vorschläge gemacht, um bei TTIP Sozial- und Umweltdumping zu verhindern. So will Europa mit einer eigenen Vorschrift ausschließen, dass die Vereinigten Staaten Umwelt- oder Sozialregeln abschwächen, damit ihre Unternehmen billiger in die EU exportieren können und so Marktanteile gewinnen.

Die USA sollen anerkennen, dass es unzulässig ist, auf diese Weise Exporte zu fördern oder Investitionen anzulocken. Beide Seiten sollen gemeinsam verankern, dass sie Firmen es nicht anbieten, von ihren Umwelt- oder Sozialregeln Ausnahmen zu machen. Wenn die USA dem zustimmen, könnte Europa jedes Mal einen Bruch des TTIP-Vertrags reklamieren, wenn die US-Regierung doch gezielt Standards abschwächt. Das wäre durchaus ein Druckmittel. Und dann schlägt die EU noch eine Reihe anderer Fortschritte im Sozialbereich vor.

Bisher war öffentlich nicht bekannt, wie Washington auf den europäischen Vorstoß reagiert. Die von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR frühzeitig ausgewerteten Dokumente beweisen nun erstmals: Es ist bei diesen Themen schwierig mit den Amerikanern. Die Regierung in Washington hat zwar einen Vorschlag gemacht, doch der bleibt hinter dem Niveau der Europäer zurück.

"Es sollte festgehalten werden, dass der US-Vorschlag nur manches erfasst und eindeutig nicht alle Bereiche abdeckt, die im Interesse der EU sind (und im EU-Vorschlagstext enthalten sind)", heißt es in einer internen Zusammenfassung der 12. Verhandlungsrunde, die Vertreter der EU-Kommission verfasst haben.

Warum Duke soziale Verschlechterungen befürchtet

Diese Botschaft wird nicht nur die Europäer enttäuschen, sondern auch Duke in Kansas City. Denn der erhofft sich von TTIP ein "Race to the top", also höhere Standards als vorher. Dass die Europäer Sozialdumping, also einen Wettlauf nach unten ausschließen wollen, passt genau in sein Konzept. Duke, der Feuerwehrmann, fürchtet nämlich Sozialdumping aus einer anderen Ecke: Durch TPP, das im Jahr 2015 vereinbarte US-Handelsabkommen mit elf Pazifikstaaten. Er malt sich aus, dass die Löhne der Amerikaner durch die Billigkonkurrenz aus Pazifikstaaten wie Vietnam unter Druck geraten könnten. Bei Europa hat er diese Sorge nicht.

Doch was können die Europäer wirklich gegen die US-Regierung durchsetzen? Die Brüsseler Kommission hat in den Verhandlungen einen ambitionierten Plan vorgelegt. So will sie den Vereinigten Staaten weitreichende Zusagen beim Arbeitsschutz abringen. Es geht etwa darum, dass die USA endlich Kernprinzipien der Internationalen Arbeitsorganisation ILO anerkennen. Die ILO-Abkommen verankern zum Beispiel das Recht der Arbeitnehmer, Betriebsräte zu bilden und ihre Löhne durch Gewerkschaften aushandeln zu lassen. Die Abkommen richten sich auch gegen Kinder- und Zwangsarbeit. Und sie untersagen, jemanden am Arbeitsplatz wegen seiner Hautfarbe oder seines Geschlechts zu benachteiligen.

Klingt für ein demokratisches Industrieland wie die USA selbstverständlich? Ist es aber nicht. Die Vereinigten Staaten haben nur zwei der acht betreffenden ILO-Abkommen ratifiziert.

"TTIP wird gut für uns Amerikaner sein."

Deshalb drängt die Europäische Union die Amerikaner, sich bei TTIP auf alle Grundprinzipien des Arbeitsschutzes zu verpflichten. Und das hätte mehr praktische Relevanz, als es vielleicht auf den ersten Blick scheint. Denn offiziell haben amerikanische Arbeitnehmer das Recht, Betriebsräte zu bilden oder zu streiken. US-Gewerkschafter monieren aber, gerade Gesetze der Bundesstaaten im Süden verhinderten de facto, dass sich in Fabriken Arbeitnehmervertretungen bilden. Oder dass gestreikt wird.

Solche Hürden für die Arbeitnehmer würden durch TTIP schwieriger, wenn es nach dem Willen der Europäer geht. So sollen sich die Amerikaner nach den Brüsseler Vorstellungen ausdrücklich zum Recht der Beschäftigten auf Streik bekennen.

Der EU geht es aber nicht nur um sozialen Schutz, sondern auch um Umweltstandards. So will Brüssel Washington dazu bringen, sich in TTIP zu den Kernvorstellungen internationaler Abkommen zu bekennen, die sich beispielsweise Abfällen oder Chemikalien widmen - und die die Vereinigten Staaten bisher nicht akzeptiert haben.

Die enthüllten Dokumente legen nun einigen Zweifel nahe, ob Washington den Europäern beim Arbeits- und Umweltschutz wirklich weit entgegenkommt. Die Autoren der Brüsseler Zusammenfassung der Verhandlungen notieren zuerst, dass der US-Vorschlag nicht alle Bereiche behandelt, die den Europäern wichtig sind. Dann fügen sie hinzu: "In mehreren dieser Bereiche nahm die USA eine zurückhaltende Position ein und wiederholte in der Runde ständig, dass sie sich erst intern abstimmen müsse (...)".

Das klingt ganz so, als sei es noch sehr ungewiss, inwiefern die Europäer ihre ehrgeizigen Ziele beim Sozial- und Umweltschutz erreichen. Pat Dujakovich jedenfalls, der Feuerwehrmann mit der Axt an seiner Bürowand, erhofft sich weiter viel von Europa. Duke aus Kansas City, Missouri ist sicher: "TTIP wird gut für uns Amerikaner sein."

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