Anschläge in Deutschland:Schuld an Morden haben Mörder

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Nach dem Amoklauf in München stellen sich viele Menschen die Frage: "Warum konnte das hier passieren?"

(Foto: AFP)

Mit allen anderen Zuweisungen werden bloß Sündenböcke markiert. Und die Gesellschaft muss lernen, dass zwar viele Attentate zu verhindern sind, aber leider nicht alle.

Kommentar von Detlef Esslinger

Worauf man sich in Deutschland immer einigen kann, ist die Feststellung, wie bescheuert Donald Trump doch ist. Der Juli des Terrors neigt sich dem Ende zu, und in Erinnerung bleibt nicht, dass er Worte des Mitgefühls, gar der Solidarität geäußert hätte. Gemerkt hat man sich seine Bemerkung über "spezielle Probleme in Deutschland und Frankreich". Zumindest für Franzosen forderte er "extreme "Überprüfungen" vor einer Einreise in die USA. Alle Franzosen, womöglich auch alle Deutschen, sollen jetzt potenzielle Terroristen sein?

Das Brauchbare an der Bemerkung Trumps ist: An ihrem Beispiel lässt sich illustrieren, wie absurd jeder Generalverdacht ist. Wer so etwas äußert, mag seinen Geist zuvor für alles Mögliche eingesetzt haben, aber sicher nicht zur Analyse.

Womit schon der Bogen zu Würzburg, München und Ansbach geschlagen wäre: Es ging danach auch hierzulande recht schnell, dass die Schuld für die Attentate nicht allein bei den Tätern gesucht wurde, sondern auch bei den Nationen, aus denen sie kommen.

Ein CDU-Innenpolitiker verlangte eine "Abschiedskultur". In einem Leserbrief beklagte ein Ehepaar eine "naive Willkommenseuphorie", immerhin eine relativ milde Formulierung, gemessen an der Hysterie im Netz. Ist es nicht nur typisch Trump, sondern typisch Mensch, von einem auf alle zu schließen; zumindest wenn dieser eine einer anderen Gruppe angehört?

Schock nach der Europameisterschaft

Es ist erst drei Wochen her, dass die Fußball-EM zu Ende ging; aber es kommt einem vor, als sei es vor Jahren gewesen, dass Cristiano Ronaldo erst weinend, dann jubelnd auf dem Platz lag. Terror in Nizza, Putschversuch und Gegenputsch in der Türkei, Terror in Würzburg, Amoklauf in München, Terror in Ansbach, Terror in Saint-Étienne-du-Rouvray - kaum zu glauben, wie viel Horror neuerdings in einen einzigen halben Monat hineinpasst.

Wie sicher es in einem Staat ist, diese Frage lässt sich objektiv und subjektiv beantworten. Für das subjektive Sicherheitsgefühl vieler Menschen dürften die Taten in der Provinz besonders verheerend sein; und wahrscheinlich war genau dies das Kalkül der Attentäter. Dass Anschläge an einem Nationalfeiertag oder in Metropolen ausgeübt werden, dass Angreifer also auch auf Symbole zielen - das konnte sich jeder plausibel machen, der immer versuchte, die Logik von Terroristen irgendwie nachzuvollziehen.

Damit einherging die Annahme, so lange sicher zu sein, wie man sich von seinem Dorf nicht fortbewegt. Aber dass der IS in Deutschland in einem Regionalexpress sowie vor einer Weinstube im Fränkischen anfangen würde? Dass man in Frankreich auch in einer Kleinstadt, hinten in der Normandie, nicht mehr vor ihm sicher sein kann?

Neue Art des Terrorismus

Zwei Dinge unterscheiden heutige Terroristen von früheren: Sie trachten nicht Angehörigen der Eliten nach dem Leben (Präfekten, Politikern, Unternehmern), sondern es ist ihnen egal, wen sie töten; Hauptsache, sie töten. Und sie legen keinen Wert darauf, lebend den Tatort zu verlassen. Beides zusammen macht die Lage subjektiv und objektiv unsicherer: Ein jeder darf befürchten, Ziel zu sein, und ein Mörder, der nicht mehr davonkommen will, macht einfach so lange weiter, bis ihn selber Kugeln treffen.

Schließlich sind es Erfindungen wie Twitter und Instagram, die den Schrecken vergrößern. Früher gab es oft exakt ein Foto oder ein Nachrichtenfilmchen, das eine Tat illustrierte. Zu sehen bekam es, wer am Abend die "Tagesschau" einschaltete oder am nächsten Morgen zur Zeitung griff.

Heute kann jeder senden sowie alles live empfangen - und war es bei den Anschlägen in Paris im vergangenen November sowie vor zwei Wochen in der türkischen Putschnacht nicht so, dass man kaum zu Bett wollte, aus Sorge, bei Twitter das Ende zu verpassen?

Von Social Media emotional überfordert

Technisch beherrschen die Menschen Social Media spielend. Emotional sind sie überfordert. Die derzeit populäre Metapher, die Welt sei "aus den Fugen geraten", beschreibt weniger eine Tatsache denn ein Empfinden. Verrückter als, zum Beispiel, Anfang 1980 ist sie ja nicht. Damals war die Sowjetunion gerade in Afghanistan einmarschiert, die meisten Nato-Staaten beschlossen deshalb, Olympia in Moskau zu boykottieren.

In West-Berlin gab es einen Bombenanschlag aufs sowjetische Generalkonsulat, und in Teheran ließ der Ayatollah Chomeini die Angehörigen der US-Botschaft als Geiseln nehmen. Eine Häufung brenzliger (und zusammenhängender) Themen ist also beileibe nichts Neues - nur dass die Dosis an Öffentlichkeit vor 36 Jahren so viel geringer war. Heute hingegen beflügelt ein Attentat das nächste, es befeuert ein (unpolitischer) Amokläufer einen (politischen) Terroristen und umgekehrt. So steigt die allgemeine Erregung.

Die Frage ist, ob sie sich wieder senken lässt. Mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit - ein Begriff des Soziologen Wilhelm Heitmeyer - würde die Gesellschaft jedenfalls nicht weiterkommen. Indem sie die Schuld an den Morden bei den Syrern, den Irakern, gar den Flüchtlingen verorten würde, fiele sie schon auf die Mörderbande IS herein.

Kampf gegen Mörder verstärken

Die bräuchte nun wahrlich keine Flüchtlinge, um in Deutschland Attentate zu begehen; die gelängen ihr auch alleine. Indem sie sich dennoch unter ihnen nach benutzbaren Charakteren umschaut, offenbart sie ihre Strategie: die Menschen gegeneinander in Stellung zu bringen. Sobald einem Syrer vorgeworfen wird, Syrer zu sein, und einem hier geborenen Mahmud, dass sein Vater einst aus Iran eingewandert war, kann der IS ein Transparent mit der Aufschrift "Mission accomplished" spannen.

Es wird vorerst nur so gehen, dass der Staat seinen Kampf gegen die Mörder verstärkt, die Gesellschaft ihm dabei hilft - und zugleich lernt, dass zwar viele Attentate zu verhindern sind, aber leider nicht alle. Schuld an Morden haben Mörder; mit allen anderen Zuweisungen hingegen werden bloß Sündenböcke markiert.

Vom Politologen Herfried Münkler stammt die Forderung nach "heroischer Gelassenheit", sie wird so oft zitiert, dass sie einem schon wie eine Floskel vorkommen mag. Aber der Mann hat ja recht: Wer sich der Hysterie verweigert, sagt er, der bildet bereits eine Linie des Widerstands.

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