Protest gegen US-Präsident:"Das Problem ist größer als Trump"

Lesezeit: 6 min

Dass Millionen gegen den US-Präsidenten protestieren, liegt an Pionieren wie Occupy Wall Street, sagt Autorin Sarah Jaffe. Wieso die Zweifel am Kapitalismus wachsen und Geschichtsvergessenheit so gefährlich ist.

Interview von Matthias Kolb, New York

Sarah Jaffe berichtet seit Jahren über Protestbewegungen wie die Tea Party, Occupy Wall Street oder Black Lives Matter. Die 36-Jährige war dabei, als Arbeiter für höhere Löhne streikten und Aktivisten versuchten, die Dakota-Pipeline bei Standing Rock zu verhindern. Ihr Buch "Necessary Trouble. Americans in Revolt" macht klar, dass während der Amtszeit von Barack Obama permanent demonstriert wurde. Die erfahrenen Aktivisten sollen nun der "Trump Resistance" helfen, den Widerstand gegen den umstrittenen Präsidenten vier Jahre lang aufrecht zu erhalten.

SZ: Im Rest der Welt sind viele überrascht, dass seit der Vereidigung von Donald Trump Millionen Amerikaner protestieren. Wundert Sie das auch?

Sarah Jaffe: Dass die Menschen gegen Trump auf die Straße gehen, überrascht mich nicht. Allerdings sind die Proteste viel schneller viel größer geworden als ich das erwartet habe: Sie finden in allen Ecken des Landes statt und es beteiligen sich Leute, die früher dachten, dass es genügt, alle vier Jahre wählen zu gehen. Millionen Liberale sind schockiert, dass sie die Gesellschaft so falsch eingeschätzt haben.

Die Wut vieler Wähler auf die Politiker in Washington war eigentlich unübersehbar.

Ich denke oft an eine Grafik aus dem Vorwahlkampf. Es war ein Flow-Chart und oben stand: 'Is shit broken?', also etwa 'Ist unser System kaputt?' Wer mit Nein antwortet, wird gefragt: "Sind Frauen Menschen?" Wenn du zustimmst, ist Hillary Clinton deine Kandidatin, ansonsten der moderate Republikaner John Kasich. Wer glaubt, dass unser System nicht mehr zu retten ist, muss als nächstes den Schuldigen benennen. Sind es die Reichen, dann stimmst du für Bernie Sanders. Wenn es aber Einwanderer, Muslime und Black Lives Matter sind, dann geht es noch um deine Religiösität. Gläubige Christen wählen Ted Cruz, alle anderen sind Trump-Fans. Das war natürlich ein Witz, aber er beschreibt Politik in Amerika sehr gut.

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Bei großen Demos wie dem "Women's March" trifft man viele, die aus Überzeugung für Clinton gestimmt haben und bisher recht zufrieden waren mit dem System.

Dass Hunderttausende für Frauenrechte oder gegen das geplante Einreiseverbot für Muslime demonstrierten, liegt daran, dass sich auch jene Leute, beteiligen, die die obige Frage mit "Nein" beantwortet haben - die also das System nicht für kaputt hielten. Sie merken, dass sie falsch lagen. Zudem haben sie ein schlechtes Gewissen und sind zutiefst beunruhigt wegen Trump.

Im den USA gibt es mehr als 4500 Gruppen, die sich am "Indivisible Guide" orientieren. Dieser Ratgeber nennt die konservative Tea Party als Vorbild und gibt konkrete Tipps, wie man Abgeordnete etwa durch kontinuierliche Anrufe unter Druck setzen kann...

... was in der Diskussion stets vergessen wird: Die Tea Party hat 2008/2009 die Strategien der Linken genau studiert. Sie haben Autoren wie Saul Alinsky gelesen, der als community organizer Taktiken entwickelt hat, um auf sich aufmerksam zu machen. Es ist bizarr: Heute übernimmt die Linke die Strategien der Tea Party, die diese von der Linken geklaut hat. Das zeigt, wie weit die Partei der Demokraten in die Mitte gerückt ist, dass sie so etwas vergisst. Aber egal, die gescheiterte Abschaffung von Obamacare hat gezeigt, dass die Rezepte wirken. Die Zerrissenheit unter den Republikanern wird effektiv ausgenutzt.

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Ihr Buch "Necessary Trouble" ist eine Alternativgeschichte zur Amtszeit von Barack Obama, in der ununterbrochen protestiert wurde. Welche Protestbewegungen sind jenseits von Occupy Wall Street und Black Lives Matter noch wichtig?

Die Kampagne "Organization United for Respect at Walmart" (OUR Walmart) hat durch dezentrale Streiks beim Supermarkt-Giganten höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen durchgesetzt. Es gibt nun mehr Transparenz bei den Dienstplänen. Die Aktivisten von OUR Walmart waren nicht nur durch Smartphones gut vernetzt - die permanente Berichterstattung erhöhte den Druck. Ein Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde ist das Ziel von "Fight For 15". Deren Leute versuchen, Stadträte und Abgeordnete in den Bundesstaaten zu überzeugen. In Seattle oder Los Angeles waren sie erfolgreich, New York zieht bald nach.

Welche Rollen spielen solche Gruppen im Widerstand gegen Trump?

Alle kämpfen zusammen, weil sie wissen, dass es nur Trump nutzt, wenn sie sich auseinander dividieren lassen. Jede Bewegung bildet Aktivisten aus, vernetzt diese via Social Media und sammelt Kontaktdaten, damit zur nächsten Aktion noch mehr Leute kommen. Die Solidarität ist groß, weil jede Gruppe das nächste Opfer sein könnte. Also verteidigen Latinos und Homosexuelle die Rechte von Muslimen.

Wenn es kein Impeachment gibt, bleibt Trump vier Jahre im Amt. Reicht die Ausdauer für diese lange Zeit?

Ich sehe keine Anzeichen, dass das Engagement der Aktivisten nachlässt. Seit Occupy bin ich überzeugt, dass die Amerikaner erst zur Ruhe kommen, wenn es ihnen materiell deutlich besser geht und Wohlstand anders verteilt wird. Mir gefällt der Vergleich mit den Gezeitenpools am Meer. Bei jeder dieser Bewegungen kommt die große Welle, dann gibt es viele Aktivitäten wie etwa die Märsche als Solidarität mit Ferguson. Irgendwann fließt das Wasser ab, doch die Aktivisten bleiben in diesen Gezeitenpools und bereiten alles vor, um bei der nächsten Welle noch mehr Menschen zu erreichen. Wir denken heute, dass die Bürgerrechtsbewegung der Sechziger eine lineare Erfolgsgeschichte war, aber das stimmt nicht. Es gab immer wieder Rückschläge und die Taktik musste geändert und angepasst werden.

Viele junge Amerikaner berichten, wie stark sie die Occupy-Proteste geprägt haben. "We are the 99 per cent" bündelte die Überzeugung, dass Schulden nicht nur durch individuelles Versagen zu erklären sind.

Als das Occupy-Camp Ende 2011 nach drei Monaten geräumt wurde, waren alle im Zucotti Park heillos zerstritten. Doch heute muss man sagen: Was ist nicht alles passiert in dieser kurzen Zeit? Es entstanden Protest-Lager im ganzen Land und die Art, wie wir über Kapitalismus, Politik und Klasse reden, ist heute nicht mehr die gleiche. Ich werde ständig gefragt: "Was hat Occupy schon erreicht?" Gerade Leute, die nie solche Ziele hatten, mäkeln herum: "Occupy hat den Kapitalismus nicht abgeschafft." Ich entgegne dann: "Wo lebst du denn? Ein globales, hegemoniales System lässt sich doch nicht in drei Monaten durch ein Protestcamp abschaffen." So etwas braucht Zeit.

Laut Umfragen denken mehr junge Amerikaner positiv über den Sozialismus als über den Kapitalismus.

Wer verfolgt, was im Rest der Welt passiert, weiß genau, dass die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten kein Einzelfall ist. Euch Deutschen muss ich das nicht erzählen. Seit der Finanzkrise 2008 legen Rechtspopulisten überall zu - auch weil die Sozialdemokratie in der Krise steckt und die politische Mitte kollabiert. In den USA wurde Obama 2012 wegen seines Charismas wiedergewählt und hat diese Entwicklung verlangsamt, aber das Vertrauen in den Kapitalismus erodiert hier schon lange. Dass das Wort Sozialismus junge Amerikaner nicht abschreckt, ist keine Überraschung: Diese Generation wuchs nach dem Kalten Krieg auf. Sie denkt nicht an die Sowjetunion, sondern merkt, dass das aktuelle System sie im Stich lässt. Also suchen Millennials nach etwas anderem.

Welche Rolle spielt Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders für die neue Begeisterung für linke Ideen?

Das Geniale an Sanders ist, dass er kompromisslos für seine Ideen eintritt und nicht tut, als wären diese radikal. Er fordert Dinge, die in Europa normal sind - also Mutterschutz, kostenlose Hochschulbildung oder einen Mindestlohn, der zum Leben reicht. In einer TV-Debatte wurde Sanders gefragt, ob er Kapitalist sei. Er sagte: "Gehöre ich zu diesem Casino-Kapitalismus, der die Leben von Millionen ruiniert? Nein, das tue ich nicht." Clinton sagte so etwas wie: "Man muss den Kapitalismus vor sich selbst retten." Als Obama 2008 Sozialist genannt wurde, flippten alle aus und er distanzierte sich davon. Sanders steht zu seinen Überzeugungen.

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:Sanders: "Die Gier der herrschenden Klasse zerstört unser Land"

Bernie Sanders erklärt den "demokratischen Sozialismus": Der Hillary-Rivale kämpft für Mindestlöhne, Mutterschutz und kostenlose Unis. Dies sei nicht "radikal", sondern folge Ideen von Martin Luther King.

Von Matthias Kolb, Washington

Heute ist er der mit Abstand beliebteste US-Politiker, der keine Ruhe gibt.

Er diskutiert mit Kohlearbeitern in West Virginia und fragt diese, warum nur die US-Bürger kein Recht auf eine Krankenversicherung haben, während alle westlichen Industriestaaten dies garantieren. Ein Freund sagte neulich: Bernie Sanders reist quer durchs Land, als sei er eine Ein-Mann-Partei. Es stimmt, die anderen Demokraten sind abgetaucht und lassen sich nicht von der Energie dieser neuen Protestbewegung anstecken. Das ist schade, denn seit Jahren ist ihr Hauptargument nur noch: "Wählt uns, wir sind nicht so schlimm wie die Republikaner."

Für Liberale scheint es ein Schock zu sein, sich mit der Realität in den USA zu beschäftigen. Trump dämonisiert Einwanderer ohne Aufenthaltserlaubnis, aber deren Alltag war auch unter seinen Vorgängern hart.

Neulich wurde bei Twitter und Facebook ein Artikel geteilt, der beschrieb, wie eine Latina aus dem Krankenhaus geholt und dann abgeschoben wurde. Viele waren schockiert und schrieben: "Das ist doch nicht normal." Eine Freundin, die selbst ohne Dokumente im Land lebt, sagte hingegen: "Ah, die Beamten durchkämmen wieder die Krankenhäuser." Was ich meine, ist: Das hat es alles schon gegeben, wir dürfen nicht so tun, als käme Trump aus dem Nichts. Obama wurde nicht ohne Grund "deporter-in-chief" genannt. Das Problem ist größer als Trump. Deswegen trage ich auch dieses T-Shirt so gern.

Sarah Jaffe (Foto: Matthias Kolb)

Darauf steht: "Still Hate Thatcher", also etwa "Ich hasse Thatcher noch immer".

Ich trage das T-Shirt als Protest gegen diese Geschichtsvergessenheit. Margaret Thatcher hat als britische Premierministerin die Gewerkschaften geschwächt und den Einfluss des Staates zurückgedrängt. Wenn Trump alles deregulieren will, dann hat er Vorbilder. Wer darüber klagt, dass Trump das Militärbudget um zehn Prozent erhöhen will, weiß nicht, dass Reagan und Obama das Gleiche getan haben. Die aktuelle Krise wurde nicht durch Trump ausgelöst. Daran immer wieder zu erinnern, ist mir sehr wichtig. Mich stören auch Pseudo-Debatten wie etwa jene über Trumps Bildungsniveau, als eure Kanzlerin in Washington war.

Was war damals los?

In vielen Berichten wurde erwähnt, dass Merkel einen Doktortitel in Physik besitzt und nun auf Trump trifft, in dessen Tweets Rechtschreibfehler sind. Das ist doch nicht der Punkt. Ich sehe die deutsche Austeritätspolitik in der EU sehr kritisch, aber für die Beurteilung von Politik ist der Bildungshintergrund doch egal. Wenn Trump einen Doktor in Astrophysik aus Harvard hätte, blieben seine Ziele doch gleich: Er will elf Millionen Menschen deportieren, mehr Leute in Gefängnisse werfen, die Reichen noch reicher machen und den Normalbürgern die Krankenversicherung nehmen. Auch wenn sich Trump etwas gewählter ausdrücken würde, müssten wir alle protestieren.

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