Proteste gegen Rassismus in den USA:"Bitte vergesst den Namen meines Sohnes nicht"

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"Nichts hat sich geändert": Die Mutter des 1999 in New York erschossenen Amadou mit dem Bürgerrechtler Al Sharpton in Washington. (Foto: dpa)

Vor dem Kapitol in Washington erinnern die Familien von Eric Garner und Mike Brown an ihre toten Väter und Söhne. Im Zentrum steht aber der Bürgerrechtler Al Sharpton - der schwarze Pastor spaltet die Protestbewegung.

Ein Report von Matthias Kolb, Washington

Es ist der Tag, an dem die trauernden Mütter im Mittelpunkt stehen. Lesley McSpadden steht auf der Bühne vor dem Kapitol und ringt um Worte. Die Mutter des in Ferguson erschossenen schwarzen Teenagers Michael Brown ist den Tränen nahe, der Anblick der Menge überwältigt sie. "Welch ein Meer aus Menschen", ruft McSpadden. "Danke für eure Unterstützung!"

Auch Samaria Rice möchte sich bei den Tausenden Teilnehmern bedanken, die an diesem Samstag unter dem Slogan "Gerechtigkeit für alle" marschiert sind. "Ohne eure Hilfe und euren Zuspruch könnte ich nicht mal mehr stehen", sagt die Mutter von Tamir aus Cleveland, den ein Polizist erschoss, weil er eine Plastikpistole in der Hand hielt. "Mein Sohn war zwölf, fast noch ein Baby. Im Herzen ist er immer bei mir, alle Familien kennen diesen Schmerz", ruft Rice. Gwen Carr, die Mutter des auf Staten Island erwürgten Eric Garner, spricht von einem "Moment, der Geschichte machen" werde und Garners Witwe Esaw fordert: "Lasst uns stark bleiben!"

"Seit 15 Jahren hat sich nichts geändert"

Verbittert klingt Kadiatou Diallo, deren Sohn Amadou 1999 in New York erschossen wurde, als er zu seiner Geldbörse griff - die Polizisten dachten, er ziehe eine Waffe. Sie hält eine Zeitschrift hoch: " Das Bild meines Sohns war damals auf dem Titel des Time Magazine, alle sprachen über Rassismus und die Brutalität der Polizei. Nichts hat sich geändert." Bevor sie die Bühne verlässt, ruft sie: "Ich möchte mich bei dem Mann bedanken, wegen dem wir hier heute sind und der so lange für uns Schwarze kämpft: bei Reverend Al Sharpton."

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Al Sharpton verbeugt sich kurz, wie immer trägt er einen eleganten Anzug und Krawatte. Kadiatou Diallo liegt nicht falsch: Der Marsch auf der Pennsylvania Avenue mit etwa zehntausend Teilnehmern wird veranstaltet von Sharptons Organisation "National Action Network", auch in New York, Los Angeles, Boston, Chicago und San Francisco beteiligen sich zehntausende Amerikaner. Sharpton hatte sich zuletzt um die Familien von Mike Brown und Eric Garner gekümmert und ihren Anliegen Aufmerksamkeit verschafft - nicht nur in seiner täglichen TV-Talkshow "PoliticsNation" auf MSNBC.

Als Diallo ihr Loblied singt, haben Hunderte bereits das Weite gesucht - längst nicht alle wegen der Kälte. "Ich kann ihn nicht ertragen", sagt ein Student, auf dessen T-Shirt der populäre Slogan "I can't breathe" steht. Ähnlich äußert sich der 62-jährige David Saunders: "Ich unterstütze die Sache, aber ich will ihn nicht hören."

Dass Sharpton so polarisiert, liegt auch an seiner Omnipräsenz. Als er im Oktober seinen 60. Geburtstag in einem Nobelhotel feierte, sprach dort nicht nur New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio, sondern auch US-Präsident Barack Obama. Sharpton begann bereits als Vierjähriger, in Kirchen in Brooklyn zu predigen und setzt sich seit den Achtzigern für die Rechte der Schwarzen ein. Vielen gefiel damals, dass er kein Blatt vor den Mund nahm und oft sehr deutliche, mitunter rassistische Worte wählte (für Weiße verwendete er das Schimpfwort "Cracker", Juden nannte er mitunter "Diamantenhändler").

In den neunziger Jahren versuchte er vergeblich, Bürgermeister von New York City zu werden und in den US-Senat gewählt zu werden. 2004 scheiterte auch seine Präsidentschaftskandidatur für die Demokraten. Doch Sharpton blieb immer im Gespräch und thematisierte die Probleme der Afroamerikaner in seinen vielen Medienauftritten (er hat mit "Keepin it Real" auch eine eigene Radiosendung). Im November wurde bekannt, dass Sharpton mehr als 4,5 Millionen Dollar Steuerschulden hat ( mehr bei der New York Times).

Besonders kritisch wird Sharpton von jenen jungen Leuten gesehen, die seit mehr als vier Monaten in Ferguson und anderswo auf die Straßen gehen. Für sie ist der Pastor ein "Promi-Aktivist", der einfliege, wenn etwas passiere und dann schnell wieder weg sei.

"Seit Mike Brown gestorben ist, haben wir in Washington Aktionen organisiert und waren im Oktober aus Solidarität in Ferguson", erzählt eine Afroamerikanerin, die Lisa genannt werden will, weil sie für die Regierung arbeitet. Aufmerksamkeit sei gut, meint die 23-Jährige, doch niemand von Sharptons Organisation habe den Kontakt zu den jungen Leuten gesucht, um gemeinsam zu planen. Sie spricht von einem "PR-Event".

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Bevor Sharpton die Familien der von Polizisten getöteten Männer auf die Bühne holt, hält der 60-Jährige selbst eine Rede - und sie ist wie immer fulminant. Er ruft die Menge auf, sich nicht von "Provokateuren" auseinander treiben zu lassen. An diesem Nachmittag gehe es nicht um Alter und Hautfarbe: "Das ist kein schwarzer Marsch oder ein weißer Marsch. Dies ist ein Marsch von Amerikanern, damit die Rechte von anderen Amerikanern verteidigt werden."

Er verlässt sich auf seine Rhetorik

Es inspiriere ihn, wenn er weiße Kinder sehe, auf deren Schildern "Black lives matter" ("Schwarze Leben zählen") stehe, so Sharpton. Das Publikum in Washington ist bunt gemischt, Schwarze reden mit Weißen und Asiaten, und zwischen den Plakaten mit "Hands up, don't shoot" und "Stop the killer cops" ist auch eine spanische Aufschrift zu entdecken. Auf der Bühne donnert Sharpton, dass er so lange kämpfen werde, bis die Kongressabgeordneten die Gesetze änderten, damit sich Schwarze nicht länger vor der Polizei fürchten müssten.

Dass Kritiker Sharpton als "Promi-Aktivisten" bezeichnen, liegt auch daran, dass er selten über konkrete Vorschläge spricht; vieles bleibt vage. Er verlässt sich lieber auf seine Rhetorik und droht den Abgeordneten: "Ihr sollte lieber vorsichtig sein, wenn es an Weihnachten an eurer Tür klingelt. Vielleicht ist es nicht der Weihnachtsmann, sondern Reverend Al." Der Applaus ist enorm.

Die 29-jährige Dominique Wilson studiert Jura an der Howard University und ist zwiegespalten. "Wie meine Freunde bin ich genervt, dass Sharpton sofort auftaucht, wenn irgendwo etwas passiert", sagt sie. Die Generation ihrer Eltern, glaubt sie, sei weniger kritisch, weil sie wüssten, wie lange er schon kämpfe. Dominique hat trotzdem großen Respekt dafür, dass sich Sharpton für die Opfer-Familien einsetzt und Tausende Leute auf die Straßen gebracht hat: "Ich finde es sehr bewegend, dass die Familien so lange sprechen durften. Endlich hört ihnen jemand zu, das gibt ihnen sicher Kraft."

"Vergesst Walmart nicht!"

Eine der eindrucksvollsten Reden hält ein Vater: John Crawford jr. erinnert an seinen gleichnamigen Sohn, der im August in Ohio in einem Walmart erschossen wurde, als er ein Sport-Luftgewehr in der Hand hielt. Bis heute habe seine Familie keine Entschuldigung von den Walmart-Eigentümern bekommen. Leidenschaftlich ruft Crawford: "Vergesst den Namen meines Sohnes nicht. Vergesst Walmart nicht!"

Nach der letzten Ansprache strömen die Demonstranten schnell auseinander. Jene Aktivisten, die aus Ferguson angereist sind, treffen sich unterdessen mit einigen der Gruppen, die seit Tagen unter #DCFerguson in den sozialen Netzwerken zu Protesten aufrufen. Sie laufen mehrere Stunden durch das Zentrum von Washington und blockieren Kreuzungen, indem sie sich bei "Die-Ins" viereinhalb Minuten auf die Straße legen ( Hintergründe in diesem Süddeutsche.de-Artikel). Sie bilden eine Menschenkette vor dem Weißen Haus und fordern Obama auf, endlich herauszukommen. Dieser Wunsch bleibt unerfüllt, die Stimmung ist dennoch gut.

Dass Reverend Al Sharpton zu dieser Zeit schon wieder im Flugzeug sitzt, um nach New Orleans zu fliegen, wo er am Sonntag zwei Auftritte hat, sorgt bei den überzeugten Aktivisten für Spott.

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Sie fühlen sich in ihrer Meinung bestätigt und wollen beweisen, dass sie den längeren Atem haben. Lisa, die junge Aktivistin, ist sich sicher: "Wir werden so lange protestieren und den Alltag in der Stadt unterbrechen, bis sich etwas ändert. Wir haben an Thanksgiving weitergemacht, also machen wir auch an Weihnachten und Neujahr weiter."

Linktipps:

  • Ein gutes Porträt über Al Sharpton - mit vielen Details über seine Steuerschulden - erschien im November in der New York Times.
  • Einen Bericht über den Protestmarsch in New Yor, an dem 25 000 Menschen teilnahmen, finden Sie hier.
  • Die Nachrichtenagentur AP beschreibt in diesem Text, wieso das Thema Polizeigewalt und Rassismus für die potetiellen Präsidentschaftskandidaten ziemlich heikel ist.
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