Debatte um Polizeigewalt in USA:"... und dann twittert Trump: 'Das sind alles nur Schläger'"

Ferguson, Missouri Marks One-Year Anniversary Of The Death Of Michael Brown

Am ersten Jahrestag des Todes von Michael Brown protestierten in Ferguson trotz starken Regens viele Menschen gegen Polizeigewalt.

(Foto: AFP)

Was bedeutet Donald Trump für die "Black Lives Matter"-Bewegung? Autor Wesley Lowery erklärt, warum eine brandgefährliche Situation entstehen könnte.

Interview von Matthias Kolb, Washington

Wesley Lowery hat für die Washington Post aus Ferguson und anderen US-Städten über Polizeibrutalität berichtet. Für seine Recherchen erhielt der 26-Jährige 2016 den Pulitzer-Preis. In seinem lesenwerten Buch "They Can't Kill Us All" berichtet er über die "Black Lives Matter"-Bewegung - und warum es so schwer ist, die US-Polizei zu reformieren.

SZ: Wieso hat der Tod von Mike Brown im August 2014 in Ferguson eine nationale Debatte ausgelöst? Auch in den Jahren zuvor waren immer wieder Afroamerikaner von Polizisten erschossen worden.

Wesley Lowery: Für mich steht Ferguson für die durchschnittliche amerikanische Kleinstadt. Vor August 2014 dachten viele: Brutale Polizisten gibt es nur in Großstädten wie New York, Chicago oder Los Angeles, wo Rodney King brutal verprügelt wurde. In den Metropolen gibt es Korruption, dort leben Verbrecher, da fallen tödliche Schüsse. Als die Proteste in Ferguson begannen, waren alle überrascht und nahmen an: "Das muss ein ultrakonservativer Ort mit extrem rassistischen Polizisten sein." Als ich in Missouri ankam, entdeckte ich eine ganz andere Geschichte.

Warum war die Wut in Ferguson so groß?

Wesley Lowery

Wesley Lowery hat für seine Recherchen 2016 den Pulitzer-Preis erhalten.

(Foto: privat)

In Gesprächen hörte ich, dass die Cops sehr aggressiv waren und Unmengen an Strafzetteln verteilten. Diese Einnahmen waren ein wichtiger Teil des Stadtbudgets und arme Afroamerikaner in alten Autos waren das Ziel. Wer die Strafe für zu schnelles Fahren nicht zahlen konnte, landete im Gefängnis. Als schließlich ein toter Teenager auf der Straße lag und die Leiche vier Stunden lang nicht abgeholt wurde, sagten die Schwarzen: "Es reicht, genug ist genug."

Die Demonstrationen wurden auch immer größer, weil Schwarze und Latinos seit Jahrzehnten die gleichen Erfahrungen gemacht haben.

Genau, die Probleme von Ferguson sind übertragbar. Ich war die vergangenen Jahre ständig unterwegs, um über "Black Lives Matter" zu berichten und jene Fälle zu recherchieren, die heute die ganze Welt kennt. In Cleveland wurde Tamir Rice erschossen. Freddie Gray starb in Baltimore, Philando Castile nahe Minneapolis. Überall versicherten Bürgermeister: "Wir sind kein zweites Ferguson, bei uns ist es anders." Mittlerweile ist klar, dass sich die Schwarzen diese Geschichten nicht ausdenken.

Die Amtszeit von Barack Obama ist zu Ende. Hätte sich der erste schwarze Präsident nicht klarer zu Wort melden müssen?

Ich glaube nicht, dass mehr Reden viel gebracht hätten. Gerade für einen schwarzen Präsidenten gilt: Alles, wozu er sich äußert, wird sofort politisiert. Weil Obama oft schwieg, wurde die Debatte nicht noch giftiger. Polizei wird in den USA lokal organisiert in 19 000 verschiedenen police departments, doch das Justizministerium hat viel getan, um Reformen in Baltimore oder Cleveland zu erzwingen. Der Report zu Ferguson dokumentiert "institutionellen Rassimus" und der gerade publizierte Bericht zu Chicago hält fest, dass Polizisten gefoltert haben und schlecht ausgebildet wurden. Solange der Kongress die Gesetze nicht ändert, kann eine Bundesregierung nicht mehr tun. Obama verdient Lob, denn solche Untersuchungen gab es kaum unter Bush oder Clinton.

Für Trump, der stets von "beautiful police" spricht, hat das wohl keine Priorität.

Donald Trump hat bisher kaum Details genannt. Er betont, dass er für 'Law and Order' steht und findet, dass die Cops zu Unrecht kritisiert werden. Weil die Regierung das nicht tut, sammelt die Washington Post in einer Datenbank alle Fälle, wenn ein Polizist jemanden erschießt. Das hält Trump für überflüssig. Aber ich denke, dass Trump sich anders verhalten wird als Obama, der stets die Proteste verteidigt hat, solange sie friedlich waren. Man kann sich leicht vorstellen, wie sich nach dem Tod eines jungen Schwarzen neue Protestierende versammeln und dann twittert Trump: "Das sind alles nur Schläger." So etwas ist brandgefährlich und kann die Situation eskalieren lassen.

"Black Lives Matter" hat keine Anführer, die Gruppen sind dezentral organisiert.

Niemand weiß, wie die Leute auf eine solche Aussage Trumps reagieren würden. Mir macht noch etwas Sorge: Was ist das für eine Botschaft aus dem Weißen Haus an die Polizei vor Ort, wenn der Präsident sagt: "Kesselt die Protestierenden ein, die haben das verdient." Wer weiß, in welchem Maß die Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht unter Trump garantiert werden. Bisher wussten die Aktivisten, dass Obama eine grundsätzliche Sympathie für ihre Proteste hatte und als schwarzer Mann die Diskriminierung im Alltag kennt. Die Kritik der Aktivisten an Obama war harsch, weil sie einen höheren Standard ansetzten: "Du bist einer von uns, du musst das doch verstehen."

Die Demonstrationen werden aber weitergehen.

Ja, die Aktivisten wollen alles tun, damit sich die Polizeiarbeit verbessert und Reformen umgesetzt werden. Eine Wortführerin, Brittany Packnett, hat mir gesagt: "Unsere Bewegung fordert, dass man aufhört uns zu töten. Solange Schwarze von der Polizei getötet werden, protestieren wir weiter."

Wie lässt sich das Verhältnis zwischen Bürgern und Polizei verbessern?

Wir müssen ehrlicher sein. Oft heißt es, dass man nur das Vertrauen der Nichtweißen in die Polizei wiederherstellen müsse. Das ist unmöglich, denn Schwarze und Latinos haben den Cops nie vertraut. Hier spielt zum einen die Geschichte eine Rolle: Es waren Polizisten, die entflohene Sklaven einfingen und später die Rassentrennung durchsetzten. Zum anderen ist die heutige Lage eine Folge politischer Entscheidungen. Ein Beispiel ist der Fall von Eric Garner in New York ...

... der Familienvater wurde von einem Polizisten gewürgt, obwohl er "I can't breathe" rief.

Zum Gerangel kam es, weil Garner angeblich einzelne Zigaretten verkauft hatte, was verboten ist. Politiker setzen solche Prioritäten in der Strafverfolgung, weil sie an die widerlegte "Theorie der zerbrochenen Fenster" glauben. Jemand wie Garner sollte für die Polizisten eine Informationsquelle sein. Er stand täglich an der Ecke und sah alles. Oder Walter Scott, der in North Charleston erschossen wurde, als er nach einer Verkehrskontrolle weglief. Es war wie in Ferguson: Der Verkehrsstopp geschah rein auf Verdacht, weil Scott ein altes Auto fuhr. Ich finde die Frage legitim: Wenn sich Polizeiarbeit auf Arme und Minderheiten konzentriert, führt das nicht automatisch zu mehreren solchen Situationen?

"Heute wird jeder Tote nachträglich angeklagt

Sie beschreiben die Unterschiede zwischen "Black Lives Matter" und den früheren Bürgerrechtlern. Die jungen Aktivisten lehnen die Theorie des "perfekten Opfers" ab.

In der civil rights-Bewegung haben die Organisationen die Fälle jener Personen gesucht, die absolute Vorbilder ohne jeden Makel waren. Rosa Parks, durch die der Bus-Boykott in Montgomerey 1955 ausgelöst und berühmt wurde, ist so ein Beispiel. Für die neue Generation spielt es keine Rolle, ob das Opfer als "schlechte Person" gelten könnte. Heute wird jeder Tote, dessen Name nach einer Schießerei in den Medien auftaucht, nachträglich angeklagt: Man durchforstet den Instagram-Account und bei Facebook nach Fotos mit Waffen. Das ist Charaktermord. "Black Lives Matter" wird von der Überzeugung angetrieben, dass jedes Opfer Anspruch auf Gerechtigkeit hat. Stets soll die Frage diskutiert werden: Wie hätte man vermeiden können, dass der Staat diesen Bürger umbringt?

Sie zitieren die Eltern von getöteten Schwarzen, die sagen: "Mein Sohn hätte es verdient, im Gefängnis zu landen. Aber er hat es nicht verdient zu sterben."

Da ist etwa Tanya Brown, die Mutter des 18-jährigen Brandon Jones, der in Cleveland einen Supermarkt überfallen hat. Sie sagt: "Mein Sohn hat etwas gemacht, das falsch war. Aber es gab keinen Grund für die Polizei, ihn sofort zu erschießen." Für "Black Lives Matter" geht es um den Wert eines jeden Lebens und sie wollen, dass sich der Staat rechtfertigen muss, wenn so etwas passiert.

Sie sind selbst Afroamerikaner und porträtieren im Buch viele Aktivisten. Hat Ihre Hautfarbe geholfen, diese Themen zu recherchieren?

Natürlich hat es geholfen, als junger Schwarzer über eine Protestbewegung zu berichten, die aus anderen jungen Schwarzen besteht. Es ist menschlich, eher jenen Leuten zu vertrauen, die einem ähnlich sind. Oft haben die Protestierenden Angst, falsch verstanden zu werden: Das Risiko ist bei jemandem wie mir natürlich geringer als bei Kollegen, die viel älter und Weiße oder Latinos sind.

Viele Afroamerikaner misstrauen den Medien. Hat Ferguson das geändert?

Wir Reporter reisen oft wie mit dem Fallschirm in Städte, wo es Probleme gibt. Es stimmt: Das Vertrauen in die landesweiten Medien ist nicht hoch, denn wir waren jahrelang nicht dort. Zudem gibt es ein Diversitätsproblem: Zu oft entscheiden ältere, weiße Männer. Wenn die Redaktion die Vielfalt der Gesellschaft nicht widerspiegelt, dann beeinflusst das die Berichte. Aber die Protestierenden sind heute nicht mehr so abhängig von Medien.

Mit Facebook Live oder Twitter können Aktivisten von überall berichten.

Weder CNN noch die New York Times wären nach Ferguson gereist, wenn es die Diskussion in den sozialen Netzwerken nicht gegeben hätte. Heute kann jeder mit einem Tweet-Storm aus 20 kurzen Nachrichten ein Narrativ schaffen, das jeder sieht. Wer hier auffällt, der schreibt bald einen Meinungsartikel für die Washington Post. Ich finde es super, dass die Medienwelt demokratischer wird, aber die Herausforderung bleibt: Wie erzählen wir berührende Geschichten, in denen alle Fakten stimmen und in denen wir die beteiligten Personen nicht in Cartoonfiguren verwandeln? Das muss unser Anspruch sein.

Polizeigewalt wird kontrovers diskutiert, eine Mehrheit der Amerikaner glaubt an einen "Krieg gegen die Polizei". Welches Feedback erhalten Sie?

Ich höre regelmäßig, dass Leser über meine Artikel sagen: "Er ist jung und schwarz, also muss er etwas gegen die Polizei haben." Es gibt bösartige Nachrichten, aber das ist nichts im Vergleich zu dem, wie manche Aktivisten bedroht werden. Im heutigen politischen Klima verfolgen viele eine bewusste Strategie: "Wenn du die Legitimität des Botschafters zerstörst, musst du dich nicht mit der Botschaft beschäftigen." Also attackieren mich viele wegen eines einzelnen Wortes in einem Tweet. Wer Angst davor hat, über die echten Probleme zu diskutieren, nutzt diese Taktik.

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