Ehe für alle:Die Zeiten ändern sich

Familie beim Ballspiel bei Maria Eck, Siegsdorf, 60er Jahre

Klischeebild einer deutschen Familie: Vater, Mutter und Kinder beim Ballspiel bei Maria Eck, Siegsdorf, in den Sechziger Jahren.

(Foto: SZ-Photo)
  • CDU und CSU haben sich jahrzehntelang dagegen gewehrt, die Ehe für Homosexuelle zu öffnen.
  • In ihren zwölf Jahren als Kanzlerin blockierte Merkel alle Angleichungen der Lebenspartnerschaften an die Ehe - Fortschritte gab es nur durch Verfassungsgerichtsurteile.
  • Dabei gab es in der Union eine Vielzahl von Initiativen - von den "Wilden 13" bis zu Parteitagsanträgen.

Von Robert Roßmann, Berlin

Über den Politikstil von Angela Merkel gibt es Dutzende Bücher, die Analysen sind oft Hunderte Seiten lang. Dabei reichen eigentlich zwei Wörter, um ihn zu beschreiben: "Schwamm drüber". Die Kanzlerin hat sie am Montagabend beim "Brigitte-Talk" selbst benutzt, wenn auch in anderem Zusammenhang. Auf die Frage, was sie vom Vorwurf des SPD-Chefs, ihr Politikstil sei ein "Anschlag auf die Demokratie", halte, sagte Merkel gönnerhaft, sie habe Martin Schulz bislang anders erlebt. Aber der Wahlkampf sei wohl recht anstrengend, daher "Schwamm drüber".

Es war dieselbe Veranstaltung, auf der Merkel überraschend das Tor für die sogenannte Ehe für alle aufgestoßen hat. Jahrzehntelang hatte sich Merkel gegen die Öffnung der Ehe für Homosexuelle gewehrt, noch beim letzten Koalitionsausschuss Ende März erklärte sie das Thema zum "No Go". Aber jetzt auf einmal Schwamm drüber: doch kein Widerstand mehr gegen die Homo-Ehe. Es war ein eindrucksvolles Beispiel für den bis zur Konturlosigkeit flexiblen Politikstil der Kanzlerin.

Das Bundesverfassungsgericht musste Merkels Regierung jede Verbesserung aufzwingen

Mit Merkels Erklärung bei der Veranstaltung im Berliner Maxim-Gorki-Theater endet aber auch der quälende Abwehrkampf der Unionsspitze gegen die Ehe für alle. CDU und CSU hatten sich bereits gegen die Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft für Homosexuelle im Jahr 2001 gewehrt. Dass die damalige rot-grüne Bundesregierung nicht auch die steuerliche Gleichstellung durchsetzen konnte, lag am Widerstand der unionsregierten Länder im Bundesrat. Merkel sagte noch 2005, es sei zwar falsch, die "Augen davor zu verschließen, dass es Homosexualität gibt". Sie meinte sogar erklären zu müssen, dass es falsch sei, "Homosexualität als eine Art Krankheit zu betrachten".

Es müsse aber, so Merkel, hervorgehoben werden, dass "im Zentrum unseres gesellschaftlichen Leitbildes Mann und Frau, Ehe und Familie stehen und anderen Lebensformen deshalb ein vergleichbarer grundgesetzlicher Schutz nicht zukommt". Deshalb wäre "unter Unionsführung auch kein solches Gesetz über gleichgeschlechtliche Partnerschaften entstanden".

In ihren zwölf Jahren als Kanzlerin versuchte Merkel zwar nicht, die Lebenspartnerschaften wieder abzuschaffen. Aber sie blockierte deren Gleichstellung mit der Ehe. Das Bundesverfassungsgericht musste Merkels Regierung jede einzelne Verbesserung aufzwingen. Im August 2012 hatten die Karlsruher Richter etwa zunächst die Ungleichbehandlung beim Familienzuschlag für Beamte, Richter und Soldaten für verfassungswidrig erklärt. Eine Woche später entschieden sie dann auch noch, dass die Benachteiligung schwuler und lesbischer Partner bei der Grunderwerbsteuer gegen das Grundgesetz verstößt.

Merkel versuchte, die Debatte um die Homo-Ehe zu beenden

Damals begann sich in der Union ernsthafter Widerstand gegen Merkels Kurs zu organisieren. Eine Gruppe von 13 Unionsabgeordneten ("Die Wilde 13") forderte in einer gemeinsamen Erklärung die volle steuerliche Gleichstellung der Lebenspartnerschaften. Es sei "nicht akzeptabel, dass der Politik immer wieder und absehbar vom Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben werden muss", die Ungleichbehandlung abzuschaffen, schrieben sie. Die Unionsfraktion solle "nun endlich" die steuerliche Gleichstellung als "eigene politische Entscheidung" umsetzen. Bekanntester Unterzeichner des Appells war der heutige Finanz-Staatssekretär Jens Spahn. Die damalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) schloss sich dem Vorstoß an.

Merkel versuchte jedoch, die Debatte zu beenden. Sie sagte, die Koalition tue gut daran, das ausstehende Urteil des Verfassungsgerichts zur steuerlichen Gleichstellung abzuwarten. Die Regierung habe viel getan, um gleichgeschlechtliche Paare rechtlich besserzustellen, sie sei aber "zweifelnd", ob das in einer völligen steuerlichen Gleichstellung enden müsse.

Trotz dieses Stillhalte-Appells brachten die 13 Abgeordneten auf dem Bundesparteitag im Dezember 2012 einen Initiativantrag für die Gleichstellung ein. Die Abstimmung zeigte, dass es in der CDU keine breite Mehrheit mehr gegen die Gleichstellung gibt: Mehr als 40 Prozent der Delegierten unterstützten den Antrag.

Sie sei mit der traditionellen Rollenverteilung von Mann und Frau aufgewachsen

Im Februar 2013 gestand das Bundesverfassungsgericht eingetragenen Lebenspartnern dann auch das Recht auf Sukzessivadoptionen zu. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer, und die stellvertretenden CDU-Chefs Thomas Strobl, Julia Klöckner und Ursula von der Leyen nutzten das Urteil für einen Vorstoß. Grosse-Brömer sagte damals, angesichts "der klaren Tendenzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sollten wir jetzt möglichst rasch handeln und die erforderliche verfassungsrechtliche Gleichstellung auch durchführen".

Es folgte eine legendär gewordene Fraktionssitzung, in der es heftigen Widerstand gegen den Vorstoß, aber auch überraschende Unterstützer gab. Finanzminister Wolfgang Schäuble, der bis dahin als Gegner der Gleichstellung galt, sagte, die Zeiten änderten sich, deshalb solle man auch für die Konsequenzen offen sein. Als ältere Generation müsse man schon schauen, ob man Dinge nur gut finde, weil sie schon immer so waren.

Merkel war - auch wegen eines Vetos von CSU-Chef Horst Seehofer - dagegen zurückhaltender. Sie sagte damals, ihr persönlich falle eine volle Gleichstellung im Adoptions- und Steuerrecht schwer. Sie sei wie viele Abgeordnete mit der traditionellen Rollenverteilung von Mann und Frau aufgewachsen. Andererseits sei aber klar, wie Karlsruhe urteilen werde. Die CDU-Chefin appellierte deshalb an ihre Abgeordneten: "Lassen Sie uns miteinander reden und dann entscheiden." Sie bat um zehn Tage Zeit für ausgiebige Gespräche. Doch dann stoppte sie die Bewegung für mehr Gleichstellung in einer Präsidiumssitzung. Nicht einmal die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juni 2013, die Lebenspartner auch beim Ehegattensplitting gleichzustellen, konnte das ändern.

Dabei blieb es dann bis zum Brigitte-Talk an diesem Montag, bei dem Merkel die Ehe für alle zur Gewissenfrage erklärte - und damit ermöglichte, dass sie jetzt eingeführt wird. Schwamm drüber.

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