Bitteres Schicksal:Zerrissen zwischen fremden Ländern

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Einer syrischen Familie wird die Zusammenführung verweigert. Die Eltern dürften zu vier Kindern nach Deutschland "nachziehen", müssten aber drei Minderjährige in der Türkei zurücklassen.

Von Felicitas Amler

Es fließen Tränen in diesem Gespräch über eine Flucht aus Syrien. Tränen der Trauer und Sehnsucht bei der zehnjährigen Esraa. Und Tränen der Erschütterung und Verzweiflung bei ihrem 28 Jahre alten Schwager Hassan. Die Kleine vermisst ihre Eltern, um die sich die Unterhaltung mit der Flüchtlingshelferin Ines Lobenstein und der ehrenamtlichen Vormundin Barbara von Bullion, einer Rechtsanwältin, gerade dreht. Keiner hat so recht darauf geachtet, als von Familiennachzug, subsidiären Schutzberechtigten, Fristen, Möglichkeiten und vor allem von Ablehnung und Hindernissen die Rede war. Aber Esraa spricht gut genug Deutsch und hat sehr wohl verstanden, dass es um ihre Eltern ging, die sie seit zweieinhalb Jahren nicht mehr gesehen hat. Still und leise weint sie in sich hinein.

Hassan, der IT-Fachmann, der mit Esraas Schwester Aziza, 25, verheiratet ist, erzählt, warum sie alle im Herbst 2015 aus Aleppo geflohen sind. Er berichtet scheinbar nüchtern von Schüssen und Bomben, von Verletzten und Verstümmelten. Er habe Fotos, sagt er, die keine Zeitung drucken, kein Fernsehsender zeigen wolle. Dass er selbst Schussverletzungen hat, erzählt er nicht. Das tut Ines Lobenstein. Und sie spricht auch davon, dass der junge Mann Abend für Abend Angst habe einzuschlafen. Weil dann alle schrecklichen Bilder wieder auftauchten. "Er hat von den Kriegserlebnissen ständig schlimme Träume. Er ist schwer traumatisiert." Hassan wischt sich verstohlen ein paar Tränen aus den Augen und verlässt schließlich wortlos das Zimmer.

Aziza und Hassan haben vor drei Monaten ihr erstes Kind bekommen, eine Tochter, entbunden in der Klinik Wolfratshausen. Sie haben sie Malak genannt - Engel. Außer ihrem eigenen Kind leben zwei von Azizas Schwestern und zwei ihrer Brüder mit in der Sozialwohnung. Dass das junge Paar sich ihrer so annimmt, sei bemerkenswert, sagt Bullion: "Es ist nicht einfach mit vier Kindern und einem eigenen. Man muss ihnen das hoch anrechnen." Drei weitere minderjährige Geschwister von Aziza sind mit den Eltern noch in der Türkei. Ein Familiennachzug ist jetzt endlich möglich - teilweise. Nach derzeitiger Rechtslage dürfen die Eltern "nachziehen". Aber eben nur die Eltern. Nicht die anderen drei Minderjährigen in der Türkei. Eine Härtefallregelung wurde abgelehnt.

Das Thema Familienzusammenführung hat in den Verhandlungen für eine Große Koalition in Berlin Raum eingenommen, und seit ein paar Tagen sind sogar wieder neue Ideen für eine restriktivere Handhabung im Gespräch. Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat sie aufgebracht. Die Rechtslage ist augenblicklich so, dass für Personen, denen subsidiärer Schutz erteilt worden ist, ein Familiennachzug ausgesetzt ist. Subsidiärer Schutz wird gewährt, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung greifen und dem Flüchtling im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht. Dazu zählen die Todesstrafe, Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Lediglich wer den Status eines Flüchtlings hat, kann in Deutschland Familie nachziehen lassen. Diesen Status hat Bullion für den 13-jährigen Ahmed vor Gericht erstritten. Eine weitere Klage auf denselben Status für die beiden Mädchen, Esraa, 10, und Sanaa, 11, liege seit vergangenem Sommer bei Gericht - unbeantwortet, berichtet Bullion.

Und nun müsste sie wiederum eine Klage anstreben: gegen die Entscheidung der Deutschen Botschaft in Istanbul, dass nur die Eltern nachziehen dürfen. "Jeder, dem ich das erzähle, sagt: Das kann doch nicht sein", sagt Bullion. Kein Mensch könne sich vorstellen, warum es nicht als Härtefall angesehen werde, wenn Eltern, um zu einem Teil ihrer Kinder zu kommen, drei andere - minderjährige - zurücklassen müssten. Die Situation scheint den Unterstützern umso willkürlicher, als eine vollständige Familienzusammenführung ohne Weiteres möglich gewesen wäre, wenn der Vater von vornherein allein nach Deutschland geflohen und hier als Flüchtling anerkannt worden wäre. Aber so strategisch und überlegt geht eine Flucht eben oft nicht vor sich.

Lobenstein zitiert deutsche Politiker, die einen eingeschränkten Familiennachzug damit begründen, es bestünde die Gefahr eines "Zuzugs ins Sozialsystem". Die Flüchtlingshelferin hält das Beispiel der syrischen Familie dagegen. Die habe materiell durchaus in guten Verhältnissen gelebt: eine kleine Schuhfabrik, ein eigenes Haus in der Stadt, eins auf dem Land. "Die hatten ihr Auskommen, denen ging es gut. Niemals wären sie auf die Idee gekommen, wegen des Sozialsystems nach Deutschland zu gehen", sagt Lobenstein. Hassan schaltet sich ein: "Wir hatten ein gutes Leben in Syrien." Es sei ihnen nicht um Geld gegangen: "Wir hatten keine Chance mehr." Er schildert die Ausweglosigkeit in Aleppo, sucht nach Worten, sagt schließlich, es habe nur eine Wahl gegeben: "Tot oder Terrorist."

Die Familie ist in die Türkei geflohen. Nur für einen Teil war dann noch Geld da, um mit einem Boot nach Griechenland überzusetzen und es von dort auf dem Landweg nach Deutschland zu schaffen. In der aufgewühlten Lage, die hier damals wegen der vielen Flüchtlinge herrschte, gelangten sie über Passau, Düsseldorf, Frankfurt schließlich nach München. Ihre ersten Unterkünfte fanden sie in Königsdorf, dann in Wolfratshausen - ein Jahr zu sechst in einem Raum. Und dennoch seien die Kinder zur Schule gegangen, sagt Lobenstein, und hätten in dieser Bedrängnis gelernt und Hausaufgaben gemacht.

Die Kinder hingegen, die noch in der Türkei sind, hätten keinerlei Chance, in die Schule zu gehen, erklärt Lobenstein: "Sie müssen mit arbeiten." Und sie seien schon nicht mehr in der Schule gewesen, seit in Syrien Krieg herrsche. "Sie haben keine Zukunft."

© SZ vom 07.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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