TSV 1860:Die Hölle des Löwen

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Der TSV 1860 steuert sich selbst Richtung Abgrund. Und trotzdem halten ihm die Fans noch die Treue. Womöglich ist es Liebe.

Von Wolfgang Görl

Endlich gab es wieder was zu feiern, und die meist nicht mehr ganz so jungen Herrschaften waren auch gut drauf - aber irgendetwas trübte die Stimmung dann doch. Eine nur notdürftig kaschierte Wehmütigkeit füllte den Saal des Giesinger Bräu, ein von Trübsinn begleitetes stillschweigendes Übereinkommen, dass man schon mal bessere Tage erlebt hat. Also Prost auf die alten Zeiten, denn um die ging es ja an diesem Abend im April vergangenen Jahres, an dem ein Autorenteam um den Tausendprozent-Löwen Roman Beer der weiß-blauen Fangemeinde ihr neues Buch präsentierte.

Nicht irgendein Buch, sondern die penibel erstellte Dokumentation, wie die Fußballer des TSV 1860 im Frühjahr 1966 deutscher Meister wurden. Ein paar Spieler von damals waren zugegen, Fredi Heiß beispielsweise, Hansi Rebele oder Bernd Patzke, und die wollten gar nicht mehr aufhören zu erzählen: Wie sie während der Saison gegen den ebenso raunzigen wie tyrannischen Trainer Max Merkel revoltiert und das Training vorübergehend selbst in die Hand genommen hatten, und was für ein toller Moment es war, als sie am 28. Mai nach einem mühsamen 1:1 gegen den Hamburger SV die Meisterschale in Händen hielten.

Löwen-Fans
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Es ist hart, gegen einen Klub auszuscheiden, dessen Name so klingt wie eine Mädchen-Coverband der Sportfreunde Stiller. Was die hartgesottenen Fans denken, die immer noch ins Löwenstüberl kommen.

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Das klang so fantastisch wie die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, ja vielleicht noch fantastischer. An eine Wunderlampe mag man noch glauben, aber wie glaubwürdig ist es eigentlich, dass bei den Löwen einmal etwas nicht schief gegangen ist? Jedenfalls hatten die alten Sechzgerfans Tränen in den Augen, weil sie damals dabei waren, und die jungen, weil sie nicht dabei waren. Und allen war zum Heulen, wenn ihnen die Gegenwart in den Sinn kam. Der sonderbare Investor, das Mietverhältnis mit dem FC Bayern, die ewigen Niederlagen - Löwenfans, die Heinrich Heine kennen, gehen mit den Versen zu Bett: "Denk ich an Sechzig in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht."

"Der Triumph der Löwen" heißt das Erinnerungsbuch an glorreiche Zeiten. Die Wortverbindung Triumph und Löwen ist heute, wie es auf Altbairisch heißt, eine contradictio in adiecto, ein Widerspruch in sich. Am Mittwoch hat der TSV 1860 gegen die Sportfreunde Lotte verloren, einen Klub, dessen Name so klingt, als handle es sich um eine Mädchen-Coverband der Sportfreunde Stiller.

Es versteht sich von selbst, dass danach FC-Bayern-Anbeter und andere, die ihre Nase stets im Wind haben, kübelweise Häme auf den TSV und seine Fans gossen. Häme ist gegenwärtig eine der beliebtesten Kulturtechniken, in der Regel ist sie Spott ohne Esprit, weshalb gerade diejenigen damit auftrumpfen, die am wenigstens angekränkelt sind von des Gedankens Blässe. Man muss das aushalten, jeder Anhänger eines Klubs, der mal gegen ein unterklassiges Team verliert, bekommt es damit zu tun. Sogar den Bayern ist das schon passiert, und wäre dies ein fieser Text, würden hier die Stichworte "Weinheim" und "Vestenbergsgreuth" fallen.

Jeder, der mal Fußball gespielt hat, weiß, dass es Tage gibt, an denen die Leitformel des Weltmeisters Andi Brehme unerbittlich in Kraft tritt: "Hast du Scheiße am Fuß, hast du Scheiße am Fuß." Abgesehen davon, dass dies bei Sechzig unnatürlich häufig vorkommt, gehören Blamagen wie das Debakel von Lotte seit je zur Dramaturgie des Fußball. Was aber bei den Löwen abgeht, ist weitaus schlimmer als ein überraschendes Pokal-Aus.

Der TSV 1860, dem es gefällt, als "Münchens große Liebe" zu gelten, ist mit äußerster Hingabe dabei, diese Liebe zu verspielen. Schuld daran sind ausnahmsweise mal nicht die anderen, auch nicht die Unaussprechlichen von der Säbener Straße. Nein, das Unheil ist hausgemacht, zusammengebraut von den zahllosen Dilettanten, Größenwahnsinnigen, Wichtigtuern und Adabeis, die der Verein anzieht wie ein Magnet.

Wann die Misere losging? Vielleicht schon mit dem zum Klubheiligen erhobenen Meisterschaftspräsidenten Adalbert Wetzel, der nichts dabei fand, das Geld zum Fenster hinauszuwerfen? Oder war die Beteiligung am Bau der Fröttmaninger Arena der Sündenfall, Karl-Heinz Wildmosers Prestigeprojekt, das den TSV in die Knechtschaft der Bayern brachte und Wildmosers Sohn ins Gefängnis?

Und als die Pleite unausweichlich zu sein schien, trat ein Retter auf den Plan, der für die Löwen wie geschaffen war, sofern man dem immer plausibler werdenden Glauben anhängt, auf diesem Verein laste - warum auch immer - ein Fluch. Der jordanische Geschäftsmann Hasan Ismaik hat keine Ahnung vom Fußball, weiß nichts von München und setzt mit Vorliebe Leute ein, die ein Talent dafür haben, auf der nach oben offenen Peinlichkeitsskala immer neue Rekordhöhen zu erklimmen.

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Münchens große Liebe - das waren die Löwen tatsächlich einmal. Die Buben, die in den Sechzigerjahren Straßenfußball spielten, rauften sich darum, der Brunnenmeier, der Küppers, der Heiß oder der Grosser sein zu dürfen. Jungs, die heute im Löwentrikot auf den Bolzplatz kommen, laufen Gefahr, zur Spottfigur der vielen Knirpse in Rot zu werden.

Es ist nachgerade verwunderlich, dass es noch immer Kinder gibt, die den Löwen verfallen. Infolge der dauernden Schicksalsschläge, die sie einstecken müssen, haben sie wenigstens einen Vorteil: Sie sind gestählt für die Härte des Lebens. Das müssen sie auch sein, denn wer sich als Erwachsener zu den Löwen bekennt, muss jeden Montag mit dem Spott fertig werden, den die Arbeitskollegen nach der obligatorischen Schlappe am Wochenende in billigster Weise von sich geben.

Hört man sich um, dann werden es selbst in München immer weniger, die bereit sind, herabzusteigen in die Hölle der Löwen. Fragt man die alten Freunde, die mal links waren - und als Linker war man, die Nazi-Vergangenheit des Vereins lässig ignorierend, seinerzeit Löwe, wohingegen der FC Bayern als die Fußballabteilung der CSU galt -, fragt man also die Freunde, ob sie mitgehen würden ins Stadion zu 1860, dann sehen die einen an, als hätte man sie zur Teilnahme am Dschungelcamp eingeladen. "Auf keinen Fall", sagen sie dann. "Nicht zu diesem Chaotenklub, dessen Struktur so dubios ist wie eine karibische Briefkastenfirma, und nicht zu diesen Spielern, die den Ball misshandeln und die weg sind, kaum dass man sich ihren Namen gemerkt hat."

Ja, so kann man das sehen. Und doch gibt es Menschen, die an den Löwen hängen wie der Junkie an der Nadel: Sie wissen, dass es ihnen nicht gut tut, aber sie kommen nicht davon los. Man könnte es auch Liebe nennen. Die ist ebenfalls etwas völlig Irrationales und führt zu den seltsamsten Verbindungen. Einmal Löwe, immer Löwe - klingt gut, der Satz. Aber diese Löwen auf Lebenszeit werden selten, man sollte sie ehren für ihren Mut, lieber unterzugehen, als die Seite zu wechseln. Wer es aber nicht mehr packt, wer gewahr wird, dass die große Liebe zu diesem komischen Objekt erkaltet ist? Der hat auch recht.

Der TSV 1860, oder besser gesagt, dessen Profifußballsparte ist leider eine besonders missratene Kreatur des modernen Sportbusiness. Sechzig, der Giesinger Arbeiterverein, Münchens große Liebe, existiert nur noch als Erinnerung, die in den Köpfen seiner letzten Verehrer zum Mythos gerinnt. Aber man kann auch ein Trugbild lieben. Oft ist diese Liebe sogar haltbarer.

© SZ vom 11.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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