TV-Kritik: "Anne Will":Ein Häschen namens Homburger

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Guido, immer nur Guido. Mit seiner Hartz-IV-Polemik hält Westerwelle die Republik in Rage, selbst bei Anne Will. Aber da ist ja noch Birgit Homburger.

Melanie Ahlemeier

An manchen Tagen weiß man: Es gibt keine Chance, aber nutze sie. Birgit Homburger hätte sich einen gemütlichen Sonntagabend machen können, vielleicht mit dem Tatort im Ersten, um so das wohlverdiente Wochenende ausklingen zu lassen. Doch die FDP-Fraktionsvorsitzende tat, was sie tun musste: Sie setzte sich zu ARD-Talklady Anne Will ins Fernsehstudio in Berlin-Adlershof.

Die Redaktion hatte zwar ihren Parteichef Guido Westerwelle gewollt, den Außenminister und Vizekanzler auf Hartz IV, doch der schlagzeilenfreudige Politiker wollte nicht. Nun also saß da die tapfere Birigt Homburger: Verdruckst lächelnd, hölzern argumentierend, ganzzeitlich ohne echte Perspektive. Da konnte selbst der fliederfarbene Blazer, der vermutlich frühlingshaften Optimismus und damit aufbrechende Kraft symbolisieren sollte, nichts mehr retten.

Vielmehr erinnerte Homburger an das pastellfarbene Duracel-Häschen aus der Werbung - das trommelt mit Vehemenz, kommt aber nicht vom Fleck weg.

Ein tragischer Irrläufer, mehr nicht.

Seitdem FDP-Chef Westerwelle kurz nach Bekanntwerden des Hartz-IV-Urteils des Bundesverfassungsgerichts das Stilmittel der Provokation wieder einmal für sich entdeckt und mit Beiträgen vor allem in der Axel-Springer-Presse Hartz IV beispielsweise mit "spätrömischer Dekadenz" verglich und damit die Stammtischparolen kräftig befeuerte, diskutiert die Berliner Politik Tag und Nacht die auch nach fünf Jahren immer noch heftig umstrittene Arbeitsmarktreform.

Endlich mitschnattern

Nur gut, dass nach zwei Wochen olympiabedingter TV-Pause endlich auch Anne Will mitschnattern möchte.

"Koalitionskrach um Hartz IV - Provozieren statt Regieren" hatte die Redaktion der diesmal gut präsenten Moderatorin die Sendung betitelt. Sie hätte aber auch formulieren können: "Der Zickenkrieg - Homburger und Schwesig duellieren sich".

Oder: "Alle gegen Guido". Denn mit Westerwelles qua Amt bestellter Verteidigerin Homburger nahm es zwar zunächst vor allem die blonde SPD-Aufsteigerin aus dem Osten auf, Arbeits- und Sozialministerin Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern.

Am Ende der Sendung aber waren irgendwie alle gegen Westerwelle - selbst jene Gäste, die anfangs noch Teile seines Ansinnens gestützt hatten.

Rhetorisch hundertprozentig geübt und dabei die Parteilinie mechanisch wiedergebend, nahm SPD-Vize Schwesig den Zweikampf mit Homburger auf. Nur gut, dass Moderatorin Anne Will einer Schiedsrichterin gleich zwischen den beiden Politikerinnen Platz genommen hatte.

Das Klima war aufgeladen (Schwesig über Westerwelle: "Er dreht ziemlich am Zeiger"). Wirklich abnehmen mochte man Homburger ("Das ist eine sehr soziale Politik, die wir hier machen") die vermutlich bis zum Exzess und mit Medientrainern einstudierte telegene Professionalität nicht. Ihr Lächeln gefror.

Wirklich neu war keine These der Sendung. Nach und nach arbeiteten sich alle an Westerwelle ab. Der Philosoph und Beststeller-Autor Richard David Precht ("Wir sollten der Politik deutlich weniger zutrauen als wir das bisher getan haben") setzt auf eine neue Bürgergesellschaft, die Schluss macht mit dem allgemein verbreiteten Raffke-Denken.

Der Historiker und zugleich Initiative-Neue-Soziale-Marktwirtschaft-Botschafter Arnulf Baring ("Wir haben Jahrzehnte über unsere Verhältnisse gelebt") fürchtet, es gebe keinen Ausweg mehr aus dem Schuldenstaat und der Verteilungspolitik.

Homburger will Steuern senken - als gäbe es die Schulden nicht

Und der stellvertretende Stern-Chefredakteur Hans-Ulrich Jörges ("Man muss an den Hartz-IV-Gesetzen einiges ändern") analysierte, die FDP habe innerhalb weniger Monate Wähler verloren, die nie mehr wiederkommen würden. Da schaute die gute Frau Homburger fast patzig drein.

Am Ende dann nahm selbst der anfangs mit Homburger sympathisierende Historiker Baring Abstand von Westerwelles-Hardcore-Line. Ja, es sei schon merkwürdig, dass von der FDP gar nichts zur Finanzkrise und Maßnahmen dagegen komme. Es wurde deutlich, wie gefährlich es ist, dass sich Außenminister Westerwelle auf ein Thema - Hartz IV - festlegen lässt.

Wie der marode und völlig überschuldete Sozialstaat noch zu retten ist?

Das vermochte auch nach 60 Minuten keiner der Gäste detailliert und umfassend darzulegen. Birgit Homburger erläuterte das Parteiprogramm, das den Hartz-IV-Empfängern erlauben will, mehr dazuzuverdienen.

Alle anderen sollen mit sinkenden Steuern und Abgaben bedacht werden - ganz so, als gäbe es die von Baring kritisierten Billionen-Schulden nicht. In dieser Runde hob sich vor allem Precht positiv ab.

Birgit Homburger wird mit Medientrainern weiter üben müssen. Sie ist ja noch nicht lange im Amt. Das nächste Mal aber wird vermutlich der Meister selbst erscheinen.

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