Spahn bei "Hart aber fair":Zwei-Klassen-Medizin? Quatsch, das sind "Komfortprobleme"!

Gesundheitsminister Jens Spahn ist zu Gast in der ARD-Sendung "Hart aber fair".

Jens Spahn bei "Hart aber fair".

(Foto: Oliver Ziebe/WDR/dpa)

Das findet ein Ärztelobbyist im ARD-Talk. Der neue Gesundheitsminister Jens Spahn hat dazu überraschend wenig zu sagen.

TV-Kritik von Ruth Schneeberger

Jens Spahn ist zurzeit auf allen Kanälen präsent. Das wäre nicht das Schlechteste, wenn sich der neue Bundesgesundheitsminister denn um die ihm anvertrauten Themen kümmern würde. Die Missstände in der Pflege etwa. Doch der 37-jährige CDU-Politiker sucht sich seine Agenda selbst aus - amtsunabhängig. Und kommt lieber mit ein paar Überraschungen um die Ecke.

Seit sechs Tagen ist er nun im Amt und hat schon zwei grobe Vorstöße gewagt, die für schweren Husten sorgen. Auch in seiner eigenen Partei: Von Hartz IV, glaubte er sagen zu müssen, könne jeder leben. Den Gegnern eines Werbeverbotes für Schwangerschaftsabbrüche hielt er vor, ihnen sei im Zweifel das Leben von Tieren wichtiger als ein ungeborenes Kind. Da fühlte sich sogar die neue CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer herausgefordert und beklagte, Spahn habe unnötigerweise einen Ton gewählt, der die CDU hart und kalt erscheinen lasse.

Es träfe sich also gut, wenn der neue Bundesgesundheitsminister - zumindest in dieser Sendung - etwas Erhellendes zu seinem Geschäftsbereich, eben der Gesundheit, sagen könnte. Und ob er sich womöglich schon erste Gedanken über Verbesserungen gemacht hat; es soll im Gesundheitswesen ja einiges im Argen liegen. Das sollte er wissen. Er war lange genug gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Doch leider hat die Redaktion von Hart aber fair in die 75 Minuten Sendezeit am Montagabend gleich zwei Riesenthemen gepackt: erstens das darbende Gesundheitssystem aus Sicht der Patienten. Und dann noch die Situation der Ärzte in Deutschland. Doch obwohl Spahn als Minister nun so etwas wie der oberste Gesundheitswächter dieses Landes ist und die Sendung mit dem Titel "Warten zweiter Klasse - was bessert sich für Kassenpatienten, Herr Spahn?" quasi auf ihn zugeschnitten war, ist Spahn dann irgendwie abgemeldet.

Ein bisschen was muss er natürlich schon zu allem sagen. Er spricht etwa von "Anreizen", die er schaffen wolle, damit Kassenpatienten demnächst nicht mehr so lange auf einen Termin warten müssten. Er wolle die Ärzte anregen, Kassenpatienten genauso schnell zu versorgen wie jetzt schon die Privatpatienten. Wie das gehen soll, kann der Zuschauer nicht vernehmen, zumindest nicht von ihm.

Was Ärzte verdienen

Dafür aber vom Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dem Orthopäden Andreas Gassen. Seine bahnbrechende Idee: mehr Geld für die Ärzte. Was seinen Kollegen Christoph Lanzendörfer, Internist und Psychotherapeut, ein bisschen auf die Palme bringt: Ob man jetzt für die "armen" Ärzte den Hut rumgehen lassen solle, fragt er spöttisch. Ein Einspieler verdeutlicht, was Ärzte mit Praxis in Deutschland jetzt schon verdienen: je nach Spezialisierung 214 000 bis 373 000 Euro im Jahr, Allgemeinmediziner etwa 167 000 Euro - allerdings vor Abzug von Steuern und Sozialabgaben.

Noch mehr ist über das Spiel der Kräfte in der Ärzteschaft zu erfahren. Etwa, dass sie sich mit ihren Praxen gerne dort ansiedeln, wo viele Privatpatienten zu erwarten sind - und solche, die sich teure, aber weitgehend nutzlose Igel-Leistungen aufschwatzen lassen, wusste Gesundheitswissenschaftler Gerd Glaeske von der Uni Bremen zu erzählen. Daran habe sich auch nicht viel geändert, seit der Gesetzgeber vor einigen Jahren beschlossen hat, dass die ärztliche Überversorgung in den Großstädten beendet und die Versorgung der Landbevölkerung verbessert werden müsse. Für die Verteilung der Praxiszulassungen sind die Kassenärztlichen Vereinigungen zuständig.

Werden Sie doch bitte Selbstzahler

Immerhin: Jens Spahn weiß, dass "in Ostdeutschland" morgens um acht Uhr vor einer Augenarztpraxis die Patienten in einer 100 Meter langen Schlange stehen müssen, weil kein anderer Arzt da ist. Wie er das ändern will, auch dazu schweigt er sich aus.

Wie so oft in solchen Sendungen muss ein "echter Mensch" (O-Ton Moderator Frank Plasberg) erklären, wie die Lebensrealität aussieht: Simone Leithe aus Dresden berichtet, wie sich ihre Suche als Kassenpatientin nach einem Kinderarzt gestaltet hat: Sie konnte ihre Kinder nicht zu der vom Amt dringend empfohlenen Vorsorge-Untersuchung bringen, weil alle Ärzte in ihrer Umgebung einen "Aufnahmestopp" verhängt hatten. Bis sie "nach Anrufen in 30 Praxen" auf den Trick kam, zu behaupten, sie wäre neu zu gezogen, dann ging es auf einmal. Funktioniert hätte das auch, wenn sie Privatpatientin wäre. Ist sie aber nicht. "Ich werde nervös, wenn jemand krank wird", sagt nun die Frau, die drei Monate lang darauf warten musste, bis sie den Bescheid bekommen hat, dass eine diagnostizierte Zyste kein Krebs war.

Gesundheitsjournalistin Anette Dowideit berichtet, dass Fachärzte dringenden Kassenpatienten schon mal nahelegen, zum Selbstzahler zu werden - dann bekommen sie Termine plötzlich genauso schnell wie ein Privatpatient: Aus ein bis drei Monaten Wartezeit werden so auf wundersame Weise ein bis drei Tage. Kassenärzte-Vertreter Andreas Gassen findet dennoch, es gebe hierzulande keine Zwei-Klassen-Medizin, sondern nur "Komfortunterschiede".

Nicht nur wie ungerecht, sondern auch wie unangemessen diese Praxis ist, zeigt Internist Lanzendörfer: Kassenpatienten zahlen schließlich in der Regel höhere Beiträge als Privatversicherte. Denn zu ihrem Arbeitnehmeranteil komme ja noch der Arbeitgeberanteil hinzu, der letztlich ihrem Lohn vorenthalten werde.

Warum Privatpatienten auch oft verlieren

Im Gegensatz dazu lockten private Krankenkassen junge gesunde Privatversicherte erst mit sehr niedrigen Beiträgen und zockten sie dann im Alter bei Krankheit mit Höchstsätzen ab. Besser versorgt sind sie auch nicht automatisch. Im Vergleich zu Kassenpatienten müssen sie viele Leistungen selbst bezahlen - oder lange darum kämpfen.

Dabei bekommen Ärzte für jeden Kassenpatienten eine Pauschale von maximal 40 Euro im Quartal, heißt es in der Sendung. Egal wie oft der Patient die Hilfe des Arztes benötigt. Dass das auf Dauer nicht funktionieren kann, sieht ein Blinder mit Krückstock.

Es gäbe hier also mehr als genug zu sagen für Jens Spahn. Doch die Sendung krankt daran, dass hier zwei Themen, die mindestens je eine eigene Sendung wert gewesen wären, immer wieder vermischt werden: das Thema Gesundheitsversorgung aus Sicht der Patienten - und das Thema Entlohnung aus Sicht der Ärzte. Womöglich beschreibt diese Vermischung auch schon das Kernproblem. Das Gesundheitssystem habe eigentlich das hehre Ziel, dem Patienten zu dienen, sagt Gesundheitswissenschaftler Glaeske. Stattdessen würden inzwischen umgekehrt zu viele an Kranken verdienen.

Für Spahn hat eine Zuschauerin noch eine Einladung parat, die in der Sendung verlesen wird. Er soll doch mal in die Rettungsstelle eines Berliner Krankenhauses kommen. Dort könne er "das ganze Dilemma des Gesundheitswesens in wenigen Stunden erleben". Kassenpatienten, die keine Termine bekommen haben. Alte Menschen, die im Seniorenheim oder zu Hause nicht mehr versorgt werden können. Menschen, die auf der Straße leben und krank geworden sind. Psychiatrische Patienten. Alle landen in den Rettungsstellen. Wirkliche "Notfallpatienten" seien die wenigsten. So viel zum Vorurteil, dass Menschen mit Schnupfen die Notaufnahmen verstopfen.

Und dann muss Plasberg natürlich noch nachfragen, was aus der anderen Einladung für Spahn geworden ist, nämlich der, einen Monat lang von Hartz IV zu leben. Eine Hartz-IV-Empfängerin aus Karlsruhe hatte das jüngst per Petition gefordert, unterschrieben von inzwischen mehr als 150 000 Menschen. Die Antwort von Spahn: Er werde sich mit der Frau demnächst treffen. Da werde man sich bestimmt gut unterhalten.

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