EU-Politik:Söder hält Hof in Brüssel

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Trachtler, ein Maibaum, der Ministerpräsident im Janker, viel bayerischer kann es kaum zugehen in Brüssel. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Beim Besuch in der EU-Hauptstadt hat der Ministerpräsident das Kabinett dabei. Kommissionspräsident Juncker zeigt sich verwundert, wie schnell man in Bayern die komplexe Materie EU-Haushalt beherrsche.

Von Wolfgang Wittl, Brüssel

Kein Kreuz, weit und breit nichts zu erkennen. Nicht am Münchner Flughafen, an dem Ministerpräsident Markus Söder auf dem Weg zum Rollfeld noch schnell zwei Weißwürste verputzt. Nicht bei der Ankunft in Brüssel. Dort wartet zur Begrüßung zwar das belgische Königspaar, zumindest in Form eines hübschen Porträtfotos im Empfangsraum. Doch ein Kreuz? Nur im Flugzeug sind welche zu sehen. Aber weder hängen sie dort als Zeichen der bayerischen Kultur und Prägung, wie Söder es sich wünscht, noch weniger sind sie als religiöses Zeichen zu verstehen. Über jeder Sitzreihe blinkt eine Zigarette auf, jede ist mit einem kräftigen Kreuz durchgestrichen. Rauchen verboten. Wollte Söder die aufgeladene Kreuz-Debatte hinter sich lassen, es ist ihm gelungen.

Sieben Wochen ist Markus Söder im Amt, seine erste Auslandsreise als Ministerpräsident führt ihn in die Hauptstadt der Europäischen Union. Als Finanzminister war er in Israel, in den USA, er führte Gespräche in Griechenland und England. Jeder Aufenthalt war nicht einfach ein Besuch, jeder war eine politische Demonstration. So ist es auch in Brüssel. Söder hat sein ganzes Kabinett mitgenommen, es ist die erste Auslandsreise überhaupt eines bayerischen Ministerrats, die Botschaft ist klar: Hier sagt nicht nur einer Grüß Gott, hier hält einer Hof. Um acht Uhr morgens eröffnet Söder am Donnerstag in der Bayerischen Vertretung die Kabinettssitzung, die wichtigsten Politiker Brüssels geben sich die Klinke in die Hand: Manfred Weber, Chef der Konservativen im Europaparlament, Haushaltskommissar Günther Oettinger, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

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In seiner Regierungserklärung hat sich Söder auf Bayern konzentriert. Kein Satz zu Deutschland, keiner zu Europa. Das holt er jetzt nach. Schon Horst Seehofer hatte mit seinem Kabinett in Brüssel tagen wollen, der Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull auf Island hat es 2010 verhindert. Söder war damals Umweltminister, seine erste Kabinetts-Station als Europaminister lag bereits hinter ihm. Seitdem glaubt er zu wissen, wie sich Interessen in Brüssel durchsetzen lassen. Proaktiv müsse Politik sein, wer wartet, hat schon verloren. "Wir wollen mitmischen, mitreden, uns einbringen", sagt Söder. Und wenn sich die EU nicht zu sehr in die Angelegenheiten der europäischen Regionen einmische, "dann kommen wir gut zusammen".

Proaktive Europapolitik, das heißt für Söder in diesen Tagen: Oettingers Forderungen nach mehr deutschem Geld für Brüssel im Zaum halten, EU-Direktzahlungen für bayerische Landwirte sichern, ebenso die Strukturförderungen für Ostbayern. Es könne nicht sein, dass Deutschland künftig mehr Geld zahle und weniger zurückbekomme. Seine Worte klingen zwar nicht mehr so markig wie früher, als er nach dem Landesbank-Desaster schon mal Margaret Thatcher zitierte ("I want my money back"). Aber der Kurs ist abgesteckt: "Wir werden hart verhandeln." Einen EU-Finanzminister lehnt Söder ab, ein Schuldenschnitt kommt für ihn nicht infrage. Gleichzeitig will er bei Juncker für besseren Grenzschutz nach bayerischem Vorbild werben: Schleierfahndung im Süden und Osten Europas.

Juncker zeigt sich bedingt empfänglich für Söders Doppelstrategie aus Fordern und Umschmeicheln. Er sei verwundert, wie schnell man in Bayern die komplexe Materie EU-Haushalt beherrsche. Normal dauere es zwölf Stunden, dieses schwierige Thema zu durchdringen, sagt Juncker. In Bayern habe man es schon nach vier Stunden geschafft, sich zu äußern. Das ist eine Spitze gegen CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der die EU-Forderungen früh kritisierte hatte. Aber auch gegen Söder, der sich noch weniger Zeit gelassen hat. Auch Oettinger klingt nicht so, als würde er Söders Wünsche sofort in seine Weihnachtsliste aufnehmen. Man habe "zur Kenntnis genommen", dass die Kürzungen für Landwirte ein Problem seien. Oettinger setzt außerdem auf einen besseren Schutz der Außengrenzen, dann sei der Binnengrenzschutz - wie ihn Bayern praktiziert - "nicht mehr so notwendig". Und überhaupt, die Zahlungen: Die EU-Mittel für Digitalisierung stiegen um 60 Prozent an, für ein Forschungsland wie Bayern sei das doch eine "Win-win-Situation". Söder sagt, man sei offen für Dialog.

Im Gespräch zu bleiben - das ist die wichtigste aller politischen Gepflogenheiten in Brüssel. Und wo lässt sich besser netzwerken als in der Bayerischen Vertretung, bei Bier und Brauchtum? Gut 400 Gäste sind am Abend vor der Kabinettssitzung zum Maibaum-Aufstellen gekommen, Hendl kreisen im Grill, auf den Tischen stehen Obazda, Rettich und Brotzeitplatten. Söder zupft einmal am Hosenbund, noch ein Griff an die Krawatte, dann ab zum Foto mit den Trachtlern, Musikern und Goaßlschnoizern aus dem Landkreis Ebersberg. "So, alle mal lächeln." Umweltminister Marcel Huber, ein Mann der Tat, hat schon die Ärmel aufgekrempelt.

Es sind Abende, an denen man sich still verabredet, an denen Allianzen geschmiedet und Projekte abgeschmettert werden. Söder will, dass seine Minister öfter nach Brüssel fahren, um bayerische Interessen zu sichern. Vor 15 Jahren hat der Freistaat das heruntergekommene Anwesen für etwa 30 Millionen Euro gekauft und herrichten lassen, heute ist es ein Vielfaches mehr wert. Der damalige Europaminister Reinhold Bocklet hatte sich dafür verspotten lassen müssen ("Neuwahnstein"), am Mittwoch brachte Söder zu seinen Ehren eine Plakette an. Im Eingangsbereich gegenüber hängt ein Kreuz, wie im Hauptgebäude ein geschnitztes aus Oberammergau.

"Das Kreuz ist ein Symbol für Bayern, aber auch der Maibaum", ruft der Ebersberger Landtagsabgeordnete Thomas Huber. Er dankt Söder "für das entgegengebrachte Vertrauen", seinen Schwiegereltern für den Baum und dem Gruber Schorschi, weil er so gut auf ihn aufgepasst hat. Genau 1888 Zentimeter sei die Fichte lang, sagt Huber. 1888, wie das Dreikaiserjahr im Deutschen Reich. Ein Dreiministerpräsidentenjahr in Bayern will Söder wohl nicht erleben. So hat er sich auch für das politische Berlin eine Nachricht ausgedacht. Das Kabinett beschließt eine Bundesratsinitiative, wonach das Kindergeld neu geordnet werden soll. Der Betrag soll bei Kindern, die im EU-Ausland leben, an die dortigen Lebenshaltungskosten angepasst werden. In Brüssel macht sich die Staatsregierung für eine entsprechende EU-Rechtsänderung stark. Wenn man schon mal da ist.

© SZ vom 04.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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