Nüchtern betrachtet handelt es sich um Konstruktionsgrammatik. Hinter dem sperrigen Begriff aus der Linguistik verbirgt sich aktuell jedoch ein süffiges Thema. Die beiden Sprachwissenschaftler Christina Sanchez-Stockhammer von der TU Chemnitz und Peter Uhrig von der Uni Erlangen haben es geschafft, in der englischen Sprache 546 Synonyme für "drunk", also "betrunken", zu finden. Die Studie ist im Yearbook of the German Cognitive Linguistics Association erschienen, wie das Fachblatt der deutschen Kognitionslinguisten irritierenderweise heißt. Drunkonyme suchen, ernsthaft? Oder war das nur eine Schnapsidee?
Im Videoanruf erweisen sich beide als heitere, aber nicht angeheiterte Forscher, die während ihres Studiums in England Feldforschung an der Theke nicht abgeneigt waren. "Uns hat Michael McIntyre auf die Idee gebracht", sagt Sanchez-Stockhammer. In einem seiner Programme zeigt der britische Comedian, dass im Englischen fast jedes Wort passt, wenn die Konstruktion "to be" plus ein intensivierendes Adverb wie "totally" verwendet und Begriffe mit der Endung "-ed" zum Verb gemacht werden. "I am totally carparked" oder "completely pyjamaed" sind Beispiele dafür, dass die Begriffe so weit vom Themenfeld Alkohol entfernt sein können wie der Trinker im Pub bei der "last order" vom Glas Wasser.
"Wenn jeder Begriff passt, kommt es nicht auf die Wortbedeutung an, sondern auf den Kontext", sagt Peter Uhrig. "Engländer reden offenbar gerne über ihre Trunkenheit - und sie lieben es, diesen Zustand indirekt, mit ironischer Distanz und mit Wortspielen auszudrücken." Verbal derart berauscht, verstehen Briten auch "Brahms" oder "Mozart" als sprachlichen Code, um alkoholischen Kontrollverlust anzudeuten. Es geht darum, den Begriff "pissed" zu vermeiden, der mit "besoffen" höflich umschrieben ist. Im Slang des Cockney-Dialekts hat sich "Mozart and Liszt" oder "Brahms and Liszt" verbreitet, weil sich die Komponistenpaare auf das ordinäre Unwort reimen. Mit der Zeit wurden die Wortpaare zu "Brahms" oder "Mozart" verkürzt, das Drunkonym blieb. "Im Englischen ist viel Sprachwitz und Humor dabei", sagt Sanchez-Stockhammer.
Auch im Deutschen gibt es noch Potenzial
Man muss nicht angetütert, angeschickert, hackedicht oder lattenstramm sein, um sich darauf einzupegeln, dass es im Deutschen nicht ansatzweise so viele Drunkonyme gibt wie im Englischen. Sanchez-Stockhammer und Uhrig hatten in Lexika und Datenbanken gesucht sowie Begriffe für "betrunken" ausgewertet, die Radiohörer einschickten. "Im Deutschen hatte die längste Liste 71 Begriffe", sagt die Forscherin aus Chemnitz. Viele Drunkonyme nutzen Vorsilben wie "zer-" oder "ange-", zudem sei das Themenfeld mit Variationen von "dicht", "voll" und Endungen auf "besoffen" und "betrunken" recht eng.
Womöglich sollten die Linguisten der wegweisenden Seite Beerpong.de vertrauen. Drunkonyme wie "sich den Helm lackieren", "die Rinne verzinken" oder "sich einen in die Sakristei orgeln" lappen in die Bereiche Handwerk und Kirchenmusik. Solche Wendungen zeigen ähnlich wie "sich einen hinter die Buche fichten" immerhin eine fast englisch anmutende Bedeutungsferne vom eigentlichen Tatbestand.