Psychologie:Emotionaler Kapitalismus

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Wer ein Geschenk überreicht hat, ist danach etwas weniger höflich und etwas weniger treu.

(Foto: LightFieldStudios/imago/Panthermedia)

Wer andere beschenkt, gestattet sich selbst anschließend gerne egoistisches Verhalten und andere Fehltritte.

Von Sebastian Herrmann

In den schattigen Ecken des Internets existieren zahlreiche Webseiten, auf denen sich gebundene Menschen zum Sex mit anderen gebundenen Menschen verabreden können. Gemeinsam treffen sich die Suchenden dort, um zusammen fremdzugehen. In den USA heißt eines dieser Angebote ashleymadison.com, und wie eine Auswertung ergeben hat, verzeichnet diese Webseite im Monat Februar meistens den höchsten Verkehr. In keinem anderen Monat loggen sich dort so viele Nutzer auf der Suche nach einem Seitensprung ein. Wie das sein kann? In einer Studie spekulieren die Psychologen Evan Polman und Zoe Lu über einen Grund für diese jahreszeitliche Anomalie. Im Februar beschenken Liebende einander zum Valentinstag mit romantischen Aufmerksamkeiten, Blumen, Pralinen, Schmuck, das ganze Programm, und daraus speist sich offenbar eine pikante Haltung: Wer seinen Partner gerade beschenkt hat, gestattet sich selbst eher einen kleinen Fehltritt. Es muss ja nicht gleich der Seitensprung sein, aber man kann ja mal das Angebot scannen und ein bisschen flirten. Weil man durch das Geschenk ja schon Gutes getan hat und nun gegen die eigenen Standards verstoßen darf.

Die Psychologen belegen diese Vermutung mit einer Studie, die sie im Fachjournal Journal of Behavioral Decision Making publiziert haben. In Experimenten mit fast 2000 Teilnehmern demonstrieren sie, dass Schenkende nach Übergabe einer Aufmerksamkeit etwas weniger höflich, etwas weniger treu und etwas weniger altruistisch handeln. Wer schenkt, baut gewissermaßen soziales Kapital auf, das er an anderer Stelle für sich selbst wieder ausgibt: Es handelt sich quasi um emotionalen Kapitalismus.

Wer gibt, fühlt sich als guter Mensch, der Dankbarkeit verdient

Die beiden Wissenschaftler wundern sich in ihrer Publikation, dass es zu den Effekten des Schenkens auf das Erleben des Gebers recht wenig Forschung existiert. Stattdessen werde in unzähligen Studien immer wieder betont, dass das Schenken der "Zement sozialer Beziehungen" sei, wie das einmal formuliert wurde. Wer schenkt, versichert sich der Gunst der derart bedachten Menschen. Zugleich sei aber bekannt, dass selbstlose Großzügigkeiten ein "warmes Glühen" verursachten: Wer gibt, fühlt sich dabei toll, als guter Mensch, der anderen Gutes tut und Dankbarkeit verdient.

Derlei Gefühle erzeugen nun aber auch eine innere Anspruchshaltung. Aus vielen Studien ist zum Beispiel das Phänomen des "Moral Licensing" bekannt: Wer sich öffentlich (zu Recht oder Unrecht) als moralischer Mensch inszeniert, leitet daraus an anderer Stelle ab, dass er ja auch mal über die Stränge schlagen dürfe. Zum Beispiel haben auch Studien demonstriert, was täglich auf Twitter zu beobachten ist: Wer öffentlich gegen Rassismus oder Sexismus streitet, verhält sich anderen gegenüber selbst oft ziemlich garstig. Man kämpft ja schon für die gute Sache, da gibt es eben auch Verluste und Opfer, scheint die Devise zu sein.

Ähnlich verhält es sich nun auch beim Schenken, wie die Experimente von Polman und Lu nahelegen. Eine Absage-E-Mail an einen Freund fiel zum Beispiel weniger höflich aus, wenn zuvor ein Geschenk im Spiel war. Und wer einem Bekannten eine Aufmerksamkeit kaufte, entschied sich anschließend demjenigen gegenüber deutlich egoistischer. Das Gleiche ergab sich in romantischen Beziehungen: Ein bisschen zu flirten, Dating-Seiten durchzuscannen und dort auch Nachrichten zu schreiben, fanden die Probanden weniger schlimm, wenn sie ihr Gewissen zuvor mit einem Geschenk für den Partner beruhigt hatten.

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