Philosophie:Denker in der Krise

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Philosophie: "Klarerweise wäre die Stunde der Philosophen": Statue "Der Denker" von Auguste Rodin

"Klarerweise wäre die Stunde der Philosophen": Statue "Der Denker" von Auguste Rodin

(Foto: Christopher Brown / Flickr / CC by 2.0)

Trump, Fake-News, Flüchtlingskrise: Es gibt derzeit genug Gründe, das Weltgeschehen zu hinterfragen und einzuordnen. Doch warum schweigen die meisten Philosophen?

Essay von Christoph Behrens

Momentan scheint die Aufklärung teilweise rückwärts zu laufen: In Großbritannien haben sich die Bürger gegen die europäische Idee entschieden. In Osteuropa werden Politiker für Hetze gegen Flüchtlinge gefeiert, und dafür, dass sie wieder Zäune aufstellen. Der neue US-Präsident heißt Donald Trump.

Wo sind eigentlich die Philosophen, die Alarm schlagen, die all das einordnen und erklären? Hört man sie nicht? Trauen sie sich nicht? Oder haben sie einfach nichts mehr zu sagen?

Längst geht es um mehr als die Flüchtlingskrise, Nationalismus oder antiliberale Gedanken, auch um mehr als sich in aktuelle Debatten einzumischen. Mit Donald Trump wird ein Mann Präsident der wichtigsten aufgeklärten Nation, der seinen Aufstieg zu einem nicht unwesentlichen Teil Lügen, Halbwahrheiten und geschickt platzierten Falsch-Nachrichten verdankt. Und damit exzellent durchkommt. Die Wahrheit selbst steht im digitalen Zeitalter zur Disposition. Nicht nur politisch, auch ideengeschichtlich ist das eine brandgefährliche Entwicklung. Wie gesichertes Wissen erlangt und begründet werden kann, ist eine Kernkompetenz der Philosophie - zumindest hat sie das Jahrtausende lang behauptet. Angesichts des Missbrauchs von Wissenssystemen wie dem Internet müssten Philosophen schäumen. Stattdessen schweigen sie.

"Ein großer Teil der Philosophie verdient nicht wirklich einen Platz in der Welt", beklagte kürzlich Daniel Dennett, einer der wichtigsten gegenwärtigen Philosophen. Vieles, beispielsweise aus der analytischen Metaphysik, sei "mutwillig losgelöst von ernsthaften Problemen".

Sicher, es gibt Ausnahmen. Der aus Slowenien stammende Philosoph Slavoj Žižek beispielsweise empfahl den US-Amerikanern vor der Wahl, Trump zu wählen. Denn er habe die "verzweifelte, sehr verzweifelte Hoffnung", so Žižek, dass Trumps Wahl so ein großer Schock für Demokraten und Republikaner wäre, dass möglicherweise neue politische Bewegung entstünde. Welcher Art genau bleibt offen. Abgesehen davon, dass diese Sichtweise kaum tröstlich ist, sind solche Stimmen selten.

Als Peter Sloterdijk vergangenes Jahr in der Zeit von einer "bejahten Überrollung" des Landes durch "fünf Millionen Asylanten" schwadronierte, blieb es dem Politologen Herfried Münkler überlassen, eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik zu verteidigen. Es meldete sich nicht etwa ein Kant-Experte zu Wort, der die humanitäre Behandlung von Menschen vielleicht mit dem kategorischen Imperativ gerechtfertigt hätte.

Sokrates, ein hoffnungsloser Amateur

"Die gegenwärtige Philosophie ist gescheitert, die Bedürfnisse der Gesellschaft zu bedienen", schreiben Robert Frodeman und Adam Briggle, beide Professoren in Texas, in dem neu erschienenen Buch "Socrates Tenured: The Institutions of 21st Century Philosophy" - eine vernichtende Abrechnung mit der eigenen Disziplin. Eine philosophische Praxis, wie sie Sokrates einst verstanden habe, also auf dem Marktplatz rumzuhängen und Leute zum Denken anzustacheln, sei nicht mehr existent. Wer das heute versuche, würde als "hoffnungsloser Amateur" ausgelacht. Stattdessen schrieben an der Uni angestellte Philosophen abstrakte Texte, die nur andere Philosophen verstünden. "Sokrates könnte heute niemals eine Stelle in einem Institut bekommen", sind Briggle und Frodeman überzeugt.

Die Gründe für den Bedeutungsverlust sehen sie paradoxerweise im Aufstieg der Philosophie zu einer professionellen Wissenschaft. Als Ende des 19. Jahrhunderts die ersten modernen Natur- und Geisteswissenschaften entstanden, sei Philosophen nichts übrig geblieben, ebenfalls wissenschaftlicher zu werden (oder zumindest so zu tun). Die Denker passten sich den Strukturen einer Universität an und spezialisierten sich immer weiter. Laut Frodeman war diese Disziplinierung die "Ursünde", die in die Irrelevanz führte.

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