Klimawandel:Gefährlicher Drang zum Wasser

Lesezeit: 3 min

Flutkatastrophen wie hier im August in Harbin, China, werden durch die Klimakrise wahrscheinlicher. (Foto: Gu Jingkun/imago/Xinhua)

Durch den Klimawandel steigt die Gefahr an Küsten und Flussufern. Trotzdem siedeln immer mehr Menschen in Überschwemmungsgebieten.

Von Benjamin von Brackel

Schon immer zieht es die Menschen zum Wasser. Sie siedeln bevorzugt an Küsten und entlang von Flussebenen. Doch diese Sehnsuchtsorte verwandeln sich in Zeiten steigender Meeresspiegel und heftigerer Regenfälle zu Gefahrenorten. Das haben jüngst erst die Überschwemmungen in Griechenland oder New York gezeigt. Der Klimawandel lehrt, Abstand zu halten.

Eigentlich. Denn nichtsdestotrotz hat die Besiedlung von Überschwemmungsgebieten rund um die Welt zwischen den Jahren 1985 und 2015 kontinuierlich zugenommen, schreiben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um den Ökonomen Jun Rentschler von der Weltbank im Fachjournal Nature. Heute lebten mehr als doppelt so viele Menschen in besonders überflutungsgefährdeten Gebieten wie noch vor vier Jahrzehnten. Das Wachstum in den am stärksten gefährdeten Gebieten falle sogar höher aus als das in den sicheren Gebieten. "Anstatt sich den Klimagefahren anzupassen, setzen sich ihnen viele Länder verstärkt und aktiv aus", resümieren die Autorinnen und Autoren.

Ihre Arbeit ist die erste solch umfassende und globale Bestandsaufnahme dieser Art. Rentschler und seine Kolleginnen und Kollegen haben Satellitendaten analysiert, die Jahrzehnte zurückreichen und teilweise erst jetzt zur Verfügung standen. Damit konnten sie die Ausbreitung von Siedlungen im zeitlichen Verlauf vermessen. Das verglichen sie anschließend mit Hochwasserrisikokarten. Dabei haben sie erstmals alle Typen von Überflutungen mit einbezogen, also solche an Küsten, an Flüssen und aufgrund von Starkregen. "Im Vergleich zu früheren Studien ist das wirklich revolutionär", sagt der Datenwissenschaftler Mattia Marconcini vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der an der Studie beteiligt war.

Vor allem in Asien wird massiv in Überschwemmungsgebieten gebaut

Zwischen 1985 und 2015 haben Menschen rund um die Welt Überschwemmungsgebiete auf einer Fläche von insgesamt mehr als 75.000 Quadratkilometern besiedelt. Das ist eine größere Fläche als diejenige Bayerns. Mehr als ein Zehntel aller bebauter Gebiete in der Welt seien inzwischen konfrontiert mit einer hohen oder sehr hohen Überflutungsgefährdung. Das heißt: Ihre Flächen stehen im Falle einer Jahrhundertflut mindestens einen halben Meter oder sogar mindestens eineinhalb Meter unter Wasser. Wie bei der Ahrtalflut im Jahr 2021.

Vor allem ein Land baut der Studie zufolge massiv in Überschwemmungsgebieten: China. An dessen Ostküste hätten sich die besiedelten Flächen in den am stärksten gefährdeten Gebieten mehr als verdreifacht. Dahinter folgen Länder wie Vietnam, Indien und Thailand. Marconcini hebt dabei insbesondere Vietnam hervor. "Selbst jetzt noch werden in Ho-Chi-Minh-Stadt entlang von Flüssen Wolkenkratzer errichtet, wo das Risiko für Überschwemmungen sehr hoch ist", sagt er. "Sie bauen dort wie verrückt."

Marconcini hat dafür zwei Erklärungen: Zum einen ziehe es viele arme Menschen in die Metropolen, nur gebe es dort oft nicht genug Platz für die Neuankömmlinge. In Vietnam sei schon fast ein Drittel der Küstenlinie verbaut. "Also müssen sie in Gebieten siedeln, die anfällig sind für Überschwemmungen", sagt er. Zum anderen wüchsen in Ländern wie China, Vietnam und Thailand Bevölkerung und Wirtschaft rapide, wobei die Regierungen auf Baustandards und Sicherheitsmaßnahmen oft relativ wenig Wert legen würden.

Auch reiche Länder sind nicht vor Fluten geschützt

In reichen Ländern wie in den USA und Japan oder in Europa sieht es nur auf den ersten Blick besser aus: Dort haben die Menschen seit 1985 verhältnismäßig mehr auf sicheren Flächen gebaut. Das bedeutet aber nicht, dass nicht auch dort Gebiete mit hoher Überschwemmungsgefahr besiedelt worden wären. Zudem seien viele Überschwemmungsgebiete schon vor 1985 besiedelt worden. In den Niederlanden etwa lägen mehr als ein Drittel aller Dörfer und Städte in hochwassergefährdeten Gebieten. Nur hält sich das Risiko dort in Grenzen, weil das Land reich genug ist, um sich mit Deichen zu schützen.

Trotzdem warnt das Team um Rentschler die reichen Länder davor, sich in Sicherheit zu wiegen. Denn viele Siedlungen seien eben nicht vor Jahrhundertfluten geschützt - wie das Beispiel Ahrtal zeigt. Wobei das, was einst unter einer Jahrhundertflut verstanden wurde, heute oft schon keine Bedeutung mehr hat. Der Klimawandel hat Starkregenfälle wie die, die 2021 Teile Deutschlands und seiner westlichen Nachbarländer verwüstet haben, wahrscheinlicher gemacht. "Wir haben den Klimawandel nicht in unserer Analyse berücksichtigt", sagt Marconcini. "Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass die Situation dadurch noch kritischer wird."

Das Beispiel Ahrtal zeigt auch, dass selbst Länder wie Deutschland nicht unbedingt umsichtiger agieren als die aufstrebenden Länder in Südostasien: Nach der verheerenden Flut 2021 wurden die Gebäude in den meisten Fällen einfach wieder an derselben Stelle aufgebaut.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusÜberschwemmung in Libyen
:"Medicanes haben ein unheimliches Zerstörungspotenzial"

Eine außergewöhnliche Wetterlage im Mittelmeerraum begünstigte die Flutkatastrophe in Libyen. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum sie derart viele Menschen das Leben kostete.

Von Christoph von Eichhorn und Marlene Weiß

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: