SZ-Klimakolumne:Schmelzender Klimafonds

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Rentiere im Sommer bei Jotunheimen. (Foto: Espen Finstad, secretsoftheice.com, Innlandet County Municipality)

In Norwegen kommen Archäologen nicht hinterher, so schnell geben die Gletscher neue Schätze frei. In Deutschland schmilzt etwas anderes gerade rapide.

Von Leonie Sanke

Als ich vor ein paar Jahren zum ersten Mal über einen Gletscher gewandert bin, hatte ich das Gefühl, auf einem riesigen Drachen aus Eis zu stehen - einem besiegten Drachen. In dem schneefreien Eis klafften überall kleine Wunden, gefüllt mit blauem Schmelzwasser. So eine Hochtour ist eine erhebende Erfahrung und gleichzeitig ziemlich erschütternd. Denn was sich so groß und ewig anfühlt, wenn man darauf steht, ist mit etwas Abstand betrachtet nur noch ein kläglicher Rest. In Deutschland dürfte es schon 2040 keine Gletscher mehr geben, in Österreich könnte es 2060 soweit sein und in der Schweiz hat sich der Gletscherschwund massiv beschleunigt.

Die Gletscherschmelze ist das sichtbarste Zeichen für das, was die Klimakrise in den Alpen verändert. Da ist es nachvollziehbar, dass viele Menschen emotional reagieren, wenn einem Gletscher im Skigebiet auch noch Bagger zu Leibe rücken, wie in Sölden geschehen. Dass Dinge, die den Gletschern viel mehr zu schaffen machen - wie zu hohe Treibhausgas-Emissionen - weniger Empörung hervorrufen, ist vermutlich einfach menschlich.

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Auch die schmelzenden Gletscher in Norwegen erzählen viel über den Menschen. In letzter Zeit so viel, dass die, die zuhören, Mühe haben zu folgen. In den vergangenen gut 6000 Jahren haben Menschen hier ihre Spuren hinterlassen. In Lom in Zentralnorwegen sind diese Spuren besonders gut erhalten: Wikingerspeere, Tuniken, Werkzeuge, Schneebesen, Skier - die Gletscher dort schmelzen so schnell, dass Glazialarchäologen diese Schätze im Rekordtempo bergen müssen. "Als hätte die Natur, die uns so viele Tausend Jahre lang eine stabile Bühne bot für das Spektakel namens Menschheitsgeschichte, endlich die Schnauze voll davon und würde uns alle Requisiten auf einmal vor die Füße kippen." So beschreibt es mein Kollege Alex Rühle, der die Forschenden besucht hat. Seine Reportage kann ich Ihnen nur ans Herz legen.

Vor die Füße gekippt - entschuldigen Sie die plumpe Überleitung - hat das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung auch ihr Urteil zum Klima- und Transformationsfonds. Dem fehlen dadurch plötzlich 60 Milliarden Euro. Wie heftig dieses Urteil die Ampel-Regierung getroffen hat, zeichnet diese Seite Drei nach. Der Fonds, von dem noch etwa 40 Milliarden übrig sind, sollte nicht nur neue Heizungen und Haussanierungen fördern und hohe Strompreise abmildern, sondern auch das Klimageld und eine bessere Ladeinfrastruktur ermöglichen. Was aus all dem wird, können Sie hier nachlesen.

Die Union prüft auch schon die nächste Klage - gegen den 200-Milliarden-Euro-Abwehrschirm, der die Energiepreise dämpfen soll. Höchste Zeit also, die Finanzierung der Klimapolitik auf stabilere Füße zu stellen. Falls sie nicht auch im Rekordtempo wegschmelzen soll.

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