Bionik:Vom Rentier lernen

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Auch zur Weihnachtszeit bleibt es entspannt: Rentier im Schnee. (Foto: Alamy Stock Photos / Ken Gillespie/mauritius images / Alamy Stock P)

Was sich der Mensch von den erstaunlichen, arktischen Hirschen abschauen sollte. Eine kleine, allerhöchstens halbernst gemeinte Weihnachtshymne auf das Rentier.

Kommentar von Sebastian Herrmann

Von Rentieren lernen, heißt leben lernen. Ja, die arktischen Paarhufer dürfen weit über den Polarkreis hinaus als Vorbild gelten. Der Mensch sollte sich unbedingt ein Beispiel an Verhalten und Fähigkeiten dieser Hirschart nehmen. Thema Energieverbrauch: Rentiere verfügen über eine biologische Außendämmung in einer Effizienzklasse, die den problemlosen Betrieb einer kardiovaskulären Wärmepumpe im Heizkeller der Hirsche ohne zusätzliche finanzielle Förderung ermöglicht. Der Rentiermotor läuft mit schadstoffarmen und mutmaßlich klimaneutralen Biokraftstoffen: Ein bisschen Flechten, Moose, Gräser oder Pilze reichen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten und ordentlich Strecke sowie Tempo zu machen. Ist ja auch klar, der Weihnachtsmann würde niemals seinen Schlitten von Wesen antreiben lassen, die Diesel verbrennen oder einen Elektroantrieb aus einer unweihnachtlichen Fabrik des finsteren Elfen Elon eingebaut haben.

Die Tugendliste der Tiere ist damit längst nicht abgearbeitet. Selbstlos versorgen die halbdomestizierten Hirsche die Samen und andere indigene Völker seit Jahrtausenden mit Fleisch, Fell, Knochen und Horn, um diese daraus Nahrung, Kleidung und Werkzeug fertigen zu lassen. Dem Rest der Welt schenken die Tiere oft rotnasigen, nach ihrem Vorbild gefertigten Weihnachtskitsch. Stichwort Vorbild: Im Geiste skandinavischer Gleichheitsprinzipien herrscht im Reich der Rentiere Geschlechtergeweihgerechtigkeit. Unter den nordischen Hirschen tragen auch die Weibchen Geweih, was sie von den meisten, wenn nicht gar allen anderen Hirschkolleginnen der Welt unterscheidet. Als soziales Wesen lebt das Rentier Solidarität. In Herden von bis zu mehreren Zehntausend Tieren gewährt man sich gegenseitig Schutz und sorgt dafür, dass kein Tier, ob klein, ob groß, einsam sein muss - gerade auch zu Weihnachten. Das Rentier darf als sozialdemokratischer Modellorganismus der arktischen Fauna gelten.

In die lange Liste der beneidenswerten Tugenden des Rentiers tragen nun Forscher eine weitere Zeile ein: Wie sie im Fachjournal Current Biology berichten, vermögen es die Tiere offenbar, während des Schlafes zu kauen beziehungsweise wiederzukäuen. Mit dieser Technik sparen sich die paarhufigen Effizienzwunder offenbar Energie. Multitasking und Leistungsbereitschaft, Hut ab! Wie praktisch das wäre, verfügte auch der Mensch über diese Fähigkeit. Die Kollegen in der Kantine könnten laut vor sich hin schnattern oder sich die Familie am Weihnachtstisch in die Haare kriegen: Ungerührt würden die Kiefern mahlen, die Nahrung zerkleinern und dem Körper frische Energie zuführen, während sich auch der Geist aus allem ausgeklinkt erholt.

Geht dummerweise nicht so richtig - und da könnte sich langsam ein Groll melden: Psychologen wissen ja, dass der Mensch auf allzu tugendhafte Mitgeschöpfe mit Ärger und Ablehnung reagiert. Deshalb sei zum Schluss doch auf einen kleinen Rentiermakel hingewiesen, um die polaren Super-High-Performer wieder etwas nahbarer erscheinen zu lassen. Rentierfelle haaren mindestens so stark wie eine Nordmanntanne, die noch zu Ostern im Christbaumständer steht. Es sei diesen großartigen Tieren verziehen, natürlich, was sonst. In diesem Sinne: Frohe Feiertage!

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