Rentierhüter-Familie:"Ich folge den Rentieren"

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Im Leben von Maija, 14, entscheiden die Tiere, wo es lang geht. Hier erzählt sie von Wintern, die bis in den Mai dauern, dass sie einmal pro Jahr mit dem Hubschrauber zur Arbeit fliegt und welche Tiere bei Oma wohnen dürfen.

Protokoll: Hannah Lena Weber

"Beim Füttern kommen die Rentiere sehr nah", erzählt Maija. "Sie werden fast wie Freunde." (Foto: privat)

"Wir sind eine Rentierhüter-Familie. Eigentlich ist nur mein Papa Matthias Rentierhüter. Aber das ist ziemlich viel Arbeit. So viel, dass die ganze Familie anpacken muss, auch ich. Rentiere sind besondere Tiere. Sie werden nämlich nicht eingesperrt wie Hühner oder Schweine. Sie wandern umher, und der Mensch folgt ihnen. Früher ist man ihnen mit Zelt hinterher und hat ein Leben als Nomade geführt. Heute ist das ein bisschen anders.

Ich lebe in Rautas, einem kleinen Dorf ganz im Norden von Schweden. Es ist ein Familiendorf. Oma, Onkel und Cousinen - alle wohnen direkt um die Ecke. Hier wohnen gerade mal 30 Menschen und doppelt so viele Rentiere. Rentiere haben in unserer Familie eine lange Tradition, wir sind nämlich Sámi. Die Sámi sind die Eingeborenen von Skandinavien, das einzige indigene Volk Europas. Früher haben die Rentiere die Sámi mit allem versorgt: Fleisch, Fell, Leder und Horn. Im Winter bei minus 25 Grad, da wächst hier kein Gemüse. Wenn ich älter bin, will ich auch Rentierhüterin werden.

Das ganze Jahr dreht sich um die Tiere. Im Frühjahr werden die Kälbchen geboren. Sobald es warm genug ist, ziehen die Herden in die Berge. Das machen sie von ganz allein. Sie wissen nämlich: Oben gibt es grüne Wiesen und weniger Mücken. Ungefährlich ist es trotzdem nicht. Adler sind dort zum Beispiel oder der Vielfraß, eine riesige Marderart. Aber wir beschützen sie. In die Berge führen keine Straßen. Deshalb fliegen wir mit dem Helikopter rauf. Es kommen noch andere Sámi, fast 150 Leute. Alle bleiben wir dort für einen Monat. Für uns Kinder ist das wie ein Urlaub mit Freunden. Wir wohnen in Holzhütten, grillen, spielen den ganzen Tag in der Natur und helfen mit den Rentieren. Den Kälbchen wird zum Beispiel eine Markierung ins Ohr gestochen, damit man weiß, wem welches Tier gehört. Im Herbst wandern die Rentiere dann ganz von allein die Berge hinunter. Dort ist es im Winter sicherer und es gibt Pilze, ihre Leibspeise. Jetzt im Winter ist mein Papa mit ihnen im Wald, zwei Stunden von hier. Er und unser Hund Rex wohnen dort in einer Hütte. Tagsüber suchen die beiden die Rentiere auf dem Schneemobil und halten sie zusammen.

Schnee liegt hier ein Großteil des Jahres, oft schmilzt er erst im Mai. Wenn wir über Schnee sprechen, sprechen wir oft auf Nordern Sámi, unserer traditionellen Sprache. Da gibt es mehr als 100 verschiedene Wörter für Schnee. Pulverschnee, feuchter Schnee, Schnee auf Bäumen ... Auf Schwedisch geht das nicht so gut.

Rautas liegt 150 Kilometer über dem Polarkreis. Im Sommer wird es hier nie dunkel, im Winter haben wir nur vier Stunden Tageslicht. Die Sonne scheint nur selten. Da wird man schon mal ein bisschen traurig und will den ganzen Tag nur im Bett liegen. Ich mache dann gern Sport. Das hilft mir. Besonders gut bin ich im Langstreckenlauf und im Hochsprung. Letztes Jahr lag auf der Turnhalle so viel Schnee, dass das Dach eingekracht ist. Repariert ist es leider immer noch nicht.

Die traditionelle Kleidung der Sámi heißt Gákti. Maijas Oma näht sie für alle im Dorf, etwa ein Taufkleid wie dieses. (Foto: privat)

Der Klimawandel macht den Rentieren hier ganz schön zu schaffen. Immer öfter gibt es große Temperaturschwankungen. Regen im Winter etwa ist besonders gemein. Friert das Wasser auf dem Schnee, dann versiegeln große Eisflächen den Boden. Durch die Eisschicht aber können die Rentiere das Moos nicht mehr erschnüffeln und kommen nur schlecht an den Boden, um überhaupt etwas zu fressen. Deswegen bleiben die schwächsten Tiere den Winter hier im Dorf. Sie wohnen bei Oma, das heißt direkt neben ihrem Haus.

Oma gibt jedem Rentier einen Namen. Sie füttert die Kälbchen, manchmal helfe ich ihr dabei. Beim Füttern kommen einem die Rentiere sehr nah, sie werden fast wie Freunde. Wenn wir im Herbst ein paar Tiere schlachten, bleibt Oma lieber drinnen. Damit will sie nichts zu tun haben. Für mich ist das aber kein Problem, ich helfe meinem Papa schon seit ein paar Jahren beim Hautabziehen, Ausnehmen und Zerlegen der Tiere. Nur das Töten, das macht Papa. Ich finde, das Schlachten gehört dazu. Es ist uns wichtig, dass wir nichts verschwenden. Wir essen also nicht nur das Fleisch, Leber und Herz, auch das Fell und die Hörner nutzen oder verkaufen wir. Und es ist uns wichtig, dass die Rentiere vorher ein gutes Leben haben. Bald kommt das Frühjahr. Und mit ihm mehr Licht - und neue Kälbchen."

© SZ vom 13.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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