Frans de Waal ist tot:Der mit den Affen spricht

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Frans de Waal weichte durch seine wissenschaftliche Arbeit die Unterschiede zwischen Mensch und Tier auf. Das Foto entstand im vergangenen Jahr auf einem Kongress in Köln. (Foto: Christoph Hardt/IMAGO/Panama Pictures)

Der Verhaltensforscher Frans de Waal zeigte, dass Schimpansen, Bonobos und Kapuzineraffen viele vermeintlich exklusiv menschliche Fähigkeiten haben. Damit veränderte er das Bild des Menschen von sich selbst.

Von Tina Baier

Sein Leben lang hat sich Frans de Waal mit der Frage beschäftigt, wie viel Tier im Menschen steckt oder umgekehrt: wie viel Mensch im Tier. Damit hat der niederländische Verhaltensforscher hartnäckig am Selbstverständnis des Menschen gekratzt, genauer gesagt an der Vorstellung, dass Homo sapiens im Vergleich zu anderen Tierarten einzigartig und irgendwie besser ist. "Wir überschätzen ständig die Komplexität unserer Handlungen. So kann man meine Karriere zusammenfassen: Ich habe Affen ein wenig näher an den Menschen herangerückt, aber ich habe den Menschen auch etwas heruntergeholt", habe de Waal im Jahr 2014 gesagt, heißt es in einer Mitteilung der Emory University, an der er jahrzehntelang gelehrt hatte.

Fransiscus Bernardus Maria "Frans" de Waal wurde am 29. Oktober 1948 im niederländischen 's-Hertogenbosch geboren. Er hatte fünf Brüder. Schon als Kind soll er sich für Tiere interessiert und Mäuse und Egel gezüchtet haben. 1966 begann er dann in Nijmegen Biologie zu studieren.

Nach einem Streit küssten sich die Schimpansen

Während seiner Doktorarbeit beschäftigte sich de Waal mit dem Verhalten von Primaten und möglichen Parallelen zum Menschen. Mehr als 6000 Stunden lang beobachtete er eine Gruppe von Schimpansen im Zoo von Arnheim. Dabei entdeckte er, dass sich die Affen nach einem Streit wieder versöhnen. "Ich habe das herausgefunden, weil ich gesehen habe, wie die Gegner nach Kämpfen zusammenkamen und sich küssten und umarmten", sagte de Waal dem Nachruf seiner Universität zufolge.

1981 zog de Waal in die USA, wo er am National Primate Research Center in Wisconsin weiter mit Primaten arbeitete. Ein Jahr später veröffentlichte er "Chimpanzee Politics". In diesem Buch, das in Deutschland unter dem Titel "Unsere haarigen Vettern" erschienen ist, postuliert er, dass Schimpansen keine seelenlosen, lediglich instinktgesteuerten Wesen sind, sondern menschenähnliche Verhaltensweisen zeigen. 1988 wurde de Waal Professor für Verhaltensforschung an der University of Wisconsin; 1990 berief ihn die Emory University in Atlanta zum Professor für Psychobiologie. Von 1991 an war de Waal zudem Direktor des Living Links Center, dessen Ziel es ist, die Evolution des Menschen durch Vergleiche mit anderen Primaten zu erforschen.

De Waal veröffentlichte 16 populärwissenschaftliche Bücher, die in 20 Sprachen übersetzt wurden, und Hunderte wissenschaftliche Artikel. In den meisten geht es um Parallelen zwischen dem Verhalten von Menschen und anderen Primaten wie Schimpansen, Bonobos und Kapuzineräffchen. De Waal beschäftigte sich mit der Fähigkeit zur Kooperation und mit Kultur im Tierreich. Er entdeckte, dass Affen zu vielen kognitiven Leistungen imstande sind, die man lange Zeit nur dem Menschen zugetraut hatte. Und er fand heraus, dass die Tiere Mitgefühl empfinden und einen Sinn für Gerechtigkeit haben.

Seine Quintessenz: Die Anlagen für viele menschliche Verhaltensweisen und Wesenszüge sind bei vielen anderen Primaten ebenfalls vorhanden. Der Mensch ist demnach eine Art extremer Affe, der aggressiver, aber auch gefühlvoller ist als seine nahen Verwandten.

Das Kapuzineräffchen schmiss dem Experimentator wutenbrannt seine Belohnung ins Gesicht

Eines von de Waals berühmtesten Experimente ist die sogenannte Gurken-Trauben-Studie. Sie legt nahe, dass Affen wie Menschen einen Gerechtigkeitssinn haben - und sich aufregen, wenn sie unfair behandelt werden. In dem Experiment sitzen zwei Kapuzineräffchen in getrennten Plexiglaskäfigen nebeneinander. Beide sollen dem Experimentator einen Stein geben, beide bekommen eine Belohnung, wenn sie es tun. Doch während das eine Tier mit Gurkenstückchen belohnt wird, bekommt das andere eine Traube - einen süßen Leckerbissen, den die Tiere sehr viel lieber mögen.

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Ein Video, das de Waal gedreht und in zahlreichen Vorlesungen vorgeführt hat, zeigt, wie das Äffchen mit den Gurkenstücken reagiert, als es sieht, dass sein Nachbar für die gleiche Aufgabe eine bessere Belohnung bekommt: Es nimmt die Gurke zwar zunächst, wirft sie dem Experimentator dann aber ins Gesicht und rüttelt an den Plexiglaswänden seines Käfigs.

Wer dieses Video sieht, kann gar nicht anders, als die Reaktion des Äffchens als Wut und Empörung über die ungerechte Behandlung zu interpretieren. Kritiker haben Frans de Waal dennoch immer wieder vorgeworfen, Tiere vor allem in seinen populärwissenschaftlichen Büchern zu vermenschlichen. Doch er erreichte mit seinen Thesen derart viele Menschen, dass das Time Magazine ihn 2007 zu einem der 100 einflussreichsten Menschen der Welt kürte. "Wir mögen akzeptieren, dass wir vom Affen abstammen", heißt es in der Begründung. "Aber es braucht Menschen wie Frans de Waal, um uns zu erinnern, dass wir noch gar nicht so weit gereist sind."

Am 14. März ist Frans de Waal im Alter von 75 Jahren in Atlanta an Krebs gestorben.

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