Yeezy:Szenen der toxischen Beziehung von Adidas mit Kanye West

Lesezeit: 3 min

Fast ein Jahrzehnt arbeitete Adidas mit Kanye West zusammen. Und während Umsätze, Gewinne und seine Provisionen rasant stiegen, trat er immer skurriler auf. (Foto: Evan Agostini/AP)

Der Sportartikel-Konzern und der rassistische US-Rapper verdienten gemeinsam Milliarden. Haben die Manager deswegen über Jahre alle Warnsignale ignoriert?

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Irgendwann gingen sie bei Adidas dazu über, sich wie Feuerwehrleute zu verhalten, die bei besonders gefährlichen Einsätzen rotieren: Wer ganz vorne Dienst tut, wird zu seinem eigenen Schutz nach kurzer Zeit zurückbeordert, um sich zu regenerieren und neue Kraft zu finden. So ähnlich muss man sich das auch bei jenen Leuten vorstellen, die für Adidas mit Kanye West arbeiteten. Jenem US-Rapper, der sich heute Ye nennt und mit seiner Schuhkollektion Yeezy dem deutschen Sportartikelunternehmen Milliardenumsätze bescherte, bis Adidas ihn nach antisemitischen, sexistischen und rassistischen Ausfällen rauswarf. "Wir sind in Alarmbereitschaft", schrieb ein Adidas-Manager samt drei Emojis mit blinkenden Sirenen in einem internen Chat. "Die erste Reihe ist völlig erschöpft und fühlt sich weder unterstützt noch wohl, wie es läuft."

Einerseits waren es beliebte Jobs, ganz nah dran an einem Superstar, der als globale Stilikone gilt. Andererseits fraßen diese Jobs die Leute auch auf, denn bei West scheinen Genie und Wahnsinn zu verwischen. Damit die eigenen Mitarbeiter das aushielten, soll Adidas ihnen eine Meditations-App spendiert, eine Gruppentherapie angeboten und sogar eine Art Sorgentelefon eingerichtet haben. So ist es in einem Bericht der New York Times (NYT) nachzulesen.

Alkohol, Pornos, sexistische Tiraden

Umfänglich und angereichert mit vielen Details aus internen Dokumenten rekonstruiert er eine toxische Beziehung, in die Adidas immer tiefer hineingezogen wurde, je abhängiger man von den Umsätzen - 1,8 Milliarden Euro sollten die Yeezy-Schuhe den Plänen zufolge 2022 einbringen - wurde. Dafür nahm man sogar in Kauf, dass West selbst Top-Managern Schuhe um die Ohren warf. Der Vorwurf der NYT: Adidas habe das Fehlverhalten von West fast ein Jahrzehnt lang toleriert und zugeschaut.

Die verhängnisvolle Beziehung begann 2013, als Adidas im Sneaker-Geschäft in den USA mit acht Prozent Marktanteil dem Rivalen Nike mit fast 50 Prozent weit hinterherhing. Kanye West sollte das ändern. Er reiste nach Herzogenaurach, um Designern in der Adidas-Zentrale seine Ideen zu erläutern. Als die ihm einen Schuhentwurf vorlegten, soll er ein Hakenkreuz daneben gezeichnet haben. Und wenig später, bei einem Treffen in seiner Wohnung in Manhattan, habe er Adidas-Leuten einen Porno vorgeführt - um die Kreativität zu wecken. Hätten da bereits die Alarmglocken klingeln müssen? Vermutlich, aber andererseits liefen die Geschäfte von Anfang ausgezeichnet: Yeezy-Schuhe verzückten die Modewelt und schoben Adidas im Segment Sportmode an.

Sportartikel
:Auschwitz-Komitee kritisiert Adidas-Chef

Bjørn Gulden hatte zuvor den Skandal-Rapper Kanye West vorsichtig in Schutz genommen. Der Konzern betont weiter, das Ende der Zusammenarbeit sei richtig.

Intern aber gab es immer mehr Ärger. Einmal soll West der NYT zufolge einem jüdischen Adidas-Mitarbeiter geraten haben, täglich ein Hitler-Bild zu küssen. Und während Umsätze, Gewinne und damit auch Wests Provisionen rasant stiegen, trat er immer skurriler auf. Von Alkohol und Pornos ist die Rede, von sexistischen Tiraden und Wechseln zwischen Wut und Depression. Einmal habe West auf ein Bettlaken Bibelverse geschrieben und Raumschiffe gemalt, ein anderes Mal sei er in einem Büro mit Koffern voller Pfannen, Töpfe und Tupperware aufgetaucht. Dennoch schloss Adidas immer neue, großzügigere Verträge mit ihm ab.

"Ich kann antisemitische Dinge sagen, und Adidas kann mich nicht fallen lassen."

West gab der NYT keine Stellungnahme dazu. Ein Adidas-Sprecher wollte zu Details auf Anfrage nichts sagen, verwies aber auf eine interne Untersuchung nach Wests Rauswurf, die kein Fehlverhalten des Managements festgestellt habe. Dem NYT-Bericht zufolge sollen Adidas-Mitarbeiter aber häufiger Klagen geäußert haben, auch beim früheren Adidas-Vorstand Eric Liedtke und später auch gegenüber Vorstandschef Kasper Rorsted. Beide versuchten auch, West einzufangen und in Schach zu halten, allerdings vergeblich. "Kasper hat gerade mit ihm gesprochen", notierte Liedtke 2019. "Begann langsam, entwickelte sich aber zu einer ausgewachsenen Schimpfkanonade."

Noch ist das Kapitel Kanye West nicht beendet: Derzeit verkauft Adidas die letzten, zum Zeitpunkt des Rauswurfs bereits produzierten Yeezy-Sneaker. (Foto: Scott Olson/Getty Images/AFP)

Bei einem Treffen mit Liedtke und Rorsted in Chicago soll West 2018 einen Posten im Aufsichtsrat, den Job als Kreativdirektor oder gleich den Vorstandsvorsitz gefordert haben. Ein anderes Mal habe der Rapper beide Vorstände nicht beachtet, sondern Turnschuhe durch den Raum geworfen und diesen anschließend wütend verlassen. 2022 schließlich eskalierte die Situation endgültig: Wests Ausbrüche wurden häufiger, rassistischer und extremistischer. "Ich kann antisemitische Dinge sagen, und Adidas kann mich nicht fallen lassen", glaubte er. Neun Tage später zog das Unternehmen den Stecker: "Die jüngsten Äußerungen und Handlungen von Ye sind inakzeptabel, hasserfüllt und gefährlich", hieß es von Adidas in einer Stellungnahme. "Sie verstoßen gegen die Werte des Unternehmens wie Vielfalt und Inklusion, gegenseitigen Respekt und Fairness."

Geschlossen ist die Adidas-Akte West allerdings nicht; aktuell wird die letzte, zum Zeitpunkt des Rauswurfs bereits produzierte Yeezy-Kollektion verkauft. Kanye kassiert über Lizenzgebühren, Adidas hat bereits mehr als 100 Millionen Euro an Organisationen gespendet, die gegen Rassismus und Antisemitismus kämpfen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusImmobilien und Handel
:So gerät Benkos Reich ins Wanken

Der österreichische Investor wollte Galeria sanieren. Jetzt braucht seine Holding selber dringend Hilfe. Sogar über René Benkos Abgang wird spekuliert. Denn das Katastrophenszenario soll unbedingt vermieden werden. 

Von Michael Kläsgen

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: