Versäumnisse der Finanzaufsicht:Der Wirecard-Skandal ist eine Pleite für alle

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Wirecard beantragte nach Bekanntwerden des Bilanzskandals die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Dass eine deutsche Aktiengesellschaft Milliardenbeträge ausweisen kann, die wohl gar nicht existiert haben, hätte nie geschehen dürfen. Die Regierung wäre es den Bürgern schuldig gewesen, frühzeitig für eine strenge Aufsicht zu sorgen.

Kommentar von Klaus Ott

So schnell ist wohl noch kein führender Konzern in Deutschland zusammengebrochen. Gerade mal eine Woche hat es bei der Wirecard AG gedauert, bis auf das Bekanntwerden eines Finanzlochs in Milliardenhöhe die Ankündigung folgte, man werde Insolvenz anmelden. Die Pleite von Wirecard ist aber auch eine juristische Pleite der Finanzaufsicht und letztlich eine politische Pleite der Bundesregierung. Sie alle haben versagt. Es muss in Deutschland immer wieder erst zu großen Wirtschaftsskandalen und horrenden Schäden für die Steuerzahler oder, wie im Fall Wirecard, für die Aktionäre kommen, ehe politische Konsequenzen gezogen werden. Oder vielleicht auch nur angekündigt werden.

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Nach dem Bilanzskandal steht der Zahlungsdienstleister offenbar vor dem Aus. Die zuständigen Wirtschaftsprüfer sprechen von Hinweisen auf einen "umfassenden Betrug".

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Am besten lässt sich das an den jeweiligen Finanzministern festmachen. Unabhängig davon, welcher Partei sie angehören. Der amtierende Minister, Olaf Scholz, hat sich nach dem Beginn des Wirecard-Desasters dafür ausgesprochen, schnell zu klären, welche Vorschriften geändert werden müssten. Mit dem Ziel, "auch komplexe Unternehmensgeflechte flächendeckend, zeitnah und schnell überwachen zu können". Das seien "wir Anlegern, Beschäftigten und Investoren schuldig - und dem Finanzplatz Deutschland", sagte Scholz Anfang der Woche.

Scholz, seine Vorgänger und die Bundesregierung wären es den Bürgern schuldig gewesen, frühzeitig für eine strenge Aufsicht zu sorgen. Dafür zu sorgen, dass die Finanzaufsicht Bafin und andere Überwachungsorgane sowohl Firmen wie auch Finanzströme strengstens kontrollieren und dafür alle erforderlichen Befugnisse haben. Dass eine deutsche Aktiengesellschaft auf dem Papier Milliardenbeträge ausweisen kann, die wohl nie existiert haben, hätte nie geschehen dürfen. Trotz aller undurchsichtigen Manöver bei Wirecard; jener Gesellschaft, die sich so gerne zum Vorzeigeunternehmen im globalen Internetgeschäft aufspielte. Das war Blendwerk, und fast alle haben sich täuschen lassen - inklusive vieler Wirtschaftsprüfer, denen man nur weitgehendes Versagen bescheinigen kann.

Staatsanwaltschaft und Justiz werden zum Reparaturbetrieb der Politik

Auch das ist bezeichnend: Erst kommen die Ermittler wie die Staatsanwaltschaft München I, durchsuchen Firmen, erwirken Haftbefehle - dann hinkt die Politik daher. Das war auch bei anderen Skandalen so. Bei den Abgasmanipulationen von VW, die nicht vom Kraftfahrt-Bundesamt entdeckt wurden, sondern von US-Behörden. Beim Steuerskandal Cum-Ex. Und so weiter. Das geht zurück bis zur Finanzkrise 2007 und 2008, als zahlreiche Großbanken sich verspekulierten und auch vom deutschen Staat gerettet werden mussten, um noch größeren Schaden für das Finanzsystem und die Gesellschaft abzuwenden. Staatsanwaltschaft und Justiz werden notgedrungen zum Reparaturbetrieb der Politik.

Die wissenschaftlichen Dienste des Bundestags haben 2009 als eine Ursache für die Bankenkrise die "mangelnde Übersicht der Behörden" über das Zusammenspiel von Finanzakteuren ausgemacht. Spekulanten in Großbanken hatten es wild getrieben, hatten auf einen unendlichen Immobilienboom und steigende Preise gesetzt, bis die Blase platzte. Aufsichtsbehörden, die keinen Durchblick haben, was windige Finanzakrobaten treiben - das ist die Linie von der Bankenkrise über Cum-Ex bis Wirecard. Und es gibt eine Linie bei den politischen Verantwortlichen - von Peer Steinbrück über Wolfgang Schäuble bis Olaf Scholz.

© SZ vom 26.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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