Das Gas wird der "Champagner der Energiewende" genannt, und dies ist nicht als Kompliment gemeint. Die deutsche Industrie wird künftig riesige Mengen an klimafreundlich gewonnenem Wasserstoff benötigen. Die Moleküle sollen in Stahlwerken, Chemiefabriken und Kraftwerken Erdgas und Kohle ersetzen, dem Klimaschutz zuliebe. Aber Herstellung und Transport des Wasserstoffs sind teuer - daher der Vergleich mit dem Champagner.
Klar ist auch, dass Deutschland das Wundergas im großen Stil importieren muss. Die heimische Produktion wird nicht ausreichen; außerdem dürften die Kosten deutlich höher liegen als an vielen ausländischen Standorten. Eine Studie des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie kommt nun allerdings zum Schluss, dass der deutsche Kostennachteil doch nicht so dramatisch sei: Energiewenden-Champagner aus heimischem Anbau könnte dann eine wichtigere Rolle einnehmen als bislang vermutet.
Auftraggeber der Untersuchung ist der Landesverband Erneuerbare Energien NRW. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung am Dienstag ist kein Zufall, schließlich wird die Bundesregierung in den kommenden Tagen ihre überarbeitete Wasserstoffstrategie präsentieren. Geschäftsführer Christian Mildenberger fordert, die Regierung solle bei ihren Plänen für Wasserstoff "von vornherein vermeiden, dass es zu einer ähnlich hohen Importabhängigkeit kommt wie bei Erdöl und Erdgas".
Klimafreundlicher - oder grüner - Wasserstoff wird dadurch gewonnen, dass Wasser in sogenannten Elektrolyseuren aufgespalten wird, und das mithilfe von Ökostrom. Daher ist die Herstellung am billigsten in Ländern, in denen Sonnen- und Windstrom günstig und in riesigen Mengen produziert werden kann. Deshalb wollen Staaten im Nahen Osten und Nordafrika oder auch Australien und Chile zu wichtigen Lieferanten von grünem Wasserstoff werden. Die Moleküle können über neue Pipelines oder sogar durch vorhandene Erdgas-Röhren gen Deutschland fließen. Wird die Entfernung zu groß, müssen allerdings Tankschiffe ran. Für solche Transporte auf hoher See muss der Wasserstoff tiefgekühlt oder in leichter handhabbaren Ammoniak umgewandelt werden - was viel Energie und Geld kostet.
Braucht Deutschland noch mehr Windparks?
Berücksichtigt man diese Transportkosten, sei Wasserstoff aus deutscher Produktion meist billiger als per Schiff importierter, heißt es in der Wuppertaler Studie. Selbst im Vergleich zu Wasserstoff, der über Pipelines eingeführt werde, könnten Moleküle made in Germany oft mithalten, schreiben die Wissenschaftler.
Doch mehr deutscher Wasserstoff heißt zugleich, dass das Land noch mehr Wind- und Solarparks benötigen würde, um die stromfressenden Elektrolyseure zu versorgen. Dabei tut sich Deutschland jetzt schon schwer damit, Ökostrom schnell genug auszubauen. Branchenlobbyist Mildenberger sieht Wasserstoff trotzdem als gute Ergänzung an. Je nach Wetter gebe es in manchen Stunden riesige Überschüsse an Ökostrom, und mit denen könne Wasserstoff gewonnen werden, sagt er: "Aber natürlich muss auch der schleppende Ausbau der erneuerbaren Energien endlich vorankommen."
Die Bundesregierung gibt bisher als Ziel aus, dass 2030 Elektrolyseure mit einer Leistung von mindestens zehn Gigawatt in Deutschland Wasserstoff gewinnen sollen. In Planung sind bislang Anlagen mit gut acht Gigawatt, wie es in einer Untersuchung des Energiekonzerns Eon heißt. Doch bei den meisten Vorhaben sind die Investitionen noch nicht abgesegnet. Zudem würden diese Anlagen den Berechnungen Eons zufolge nur ein Drittel des deutschen Bedarfs decken. Die Studie verweist außerdem darauf, dass es lediglich 417 Kilometer reine Wasserstoffleitungen gibt, um das Gas zu Abnehmern zu pumpen. Immerhin sind aber 2800 Kilometer an neuen Pipelines geplant.
Thyssenkrupp investiert Milliarden
Zu den wichtigsten Verbrauchern wird die Stahlindustrie gehören. In Europas größtem Stahlwerk in Duisburg lässt Thyssenkrupp bereits einen der vier Hochöfen durch eine sogenannte Direktreduktionsanlage ersetzen. Die soll in drei Jahren Roheisen nicht mehr mit Koks und Kohle, sondern mithilfe von Erdgas und später dann mit grünem Wasserstoff herstellen. Bislang steht die Stahlsparte des Unternehmens allein für 2,5 Prozent der deutschen Kohlendioxid-Emissionen. Bundes- und Landesregierung wollen das wegweisende Projekt mit zwei Milliarden Euro an Subventionen unterstützen. Allerdings hat die EU-Kommission den dicken Scheck noch nicht gebilligt, weswegen bei Thyssenkrupp die Nervosität wächst.
Ungewiss ist auch, ob die anderen drei Hochöfen in Zukunft ebenfalls durch Direktreduktionsanlagen abgelöst werden oder einfach ersatzlos wegfallen. Denn diese gewaltigen Investitionen würde das Management wohl nur bewilligen, wenn klar ist, dass nach Duisburg genug grüner Wasserstoff geliefert werden kann - zu wettbewerbsfähigen Kosten. Der Energiewenden-Champagner darf am Ende eben nicht zu teuer sein.