"Es ist zwar nett hier, aber ich gehe jetzt woanders hin". Es war nur eine Pressekonferenz im fernen Washington, die Jens Weidmann am Freitag vorzeitig verließ, und Olaf Scholz, der neben dem Bundesbankchef gesessen hatte, lächelte wissend. "Das war abgesprochen", grinste der Bundesfinanzminister.
Die Szene könnte sich schon bald in sehr viel größerer Dimension wiederholen. Denn nach allem, was man hört, hätte Weidmann große Lust, sein Amt als Bundesbankpräsident im Oktober abzugeben und auf den Chefsessel der Europäischen Zentralbank (EZB) zu wechseln. Er würde ein wichtiges Amt durch ein noch wichtigeres ersetzen - und Scholz würde einmal mehr raunen: "Das war abgesprochen."
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Der deutsche Anwalt war durch einen der ersten Prozesse zu dubiosen Steuerdeals bekannt geworden. Dann wollte ihn die Züricher Staatsanwaltschaft wegen Wirtschaftsspionage ins Gefängnis bringen.
Der Bundesbankchef selbst ist klug genug, sich zu möglichen Karriereambitionen nicht zu äußern. In seinem Umfeld jedoch heißt es: "Weidmann will Geldpolitik machen" - jene Disziplin also, um die sich seit Einführung des Euro vor 20 Jahren nicht mehr die Bundesbank, sondern die EZB kümmert. Erst kürzlich sprach er sich in einem gemeinsamen Artikel mit seinem französischen Amtskollegen Francois Villeroy de Galhau für eine starke Kapitalmarktunion in Europa aus und machte damit deutlich, dass er längst über seinen derzeitigen Job hinausdenkt: Seht her, ich verstehe, was Europa braucht, und ich bin ein Kandidat für den EZB-Vorsitz, lautete die Botschaft.
In Washington, wo Scholz und er am Frühjahrstreffen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds teilnahmen, ist Weidmann ein gefragter Gesprächspartner. Er redet über die Wachstumsdelle der Weltwirtschaft, hat Zahlen, Daten, Fakten parat und schlägt den großen politischen Bogen. Auch zur Frage, was der nächste EZB-Chef anders machen müsse als der scheidende Amtsinhaber Mario Draghi, äußert er sich: "Der Normalisierungskurs ist angelegt", sagt er in schönstem Notenbanker-Deutsch. Gemeint ist: Die EZB wird Schritt für Schritt aus der Politik ultraniedriger Zinsen aussteigen, mit der sie die Währungsunion während der Euro-Krise zu Beginn des Jahrzehnts vor dem Auseinanderfliegen bewahrt hatte.
Doch ob er tatsächlich Draghis Nachfolge wird antreten können, hängt weniger von ihm ab als von dem personellen Gesamtpaket, das Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und die übrigen EU-Regierungschefs nach der Europawahl am 26. Mai schnüren werden. Nicht wenige sagen, Merkel sei das Amt des EU-Kommissionspräsidenten wichtiger als das des EZB-Chefs - schließlich kann sie den Brüsseler Behördenchef jederzeit anrufen, wenn etwa die deutsche Wirtschaft mit irgendwelchen EU-Regularien nicht klar kommt. Politische Kontakte mit der unabhängigen EZB sind da weit diffiziler. Zudem bewirbt sich mit Manfred Weber ein Politiker der CDU-Schwesterpartei CSU um das Amt des Kommissionschefs.
Und auch Weidmann selbst könnte sich noch im Weg stehen, denn der Bundesbankpräsident hat im EZB-Rat immer wieder gegen einzelne Vorhaben zur Senkung der Zinsen votiert und damit viele unter Druck stehende Regierungen im Süden Europas massiv verärgert. Aus Bundesbankkreisen verlautet, man habe die Unstimmigkeiten durch Besuche etwa in Rom und Madrid längst ausgeräumt.
Vielleicht ist das so. Vielleicht aber wird sich Weidmann auch bald an Scholz' Amtsvorgänger Wolfgang Schäuble erinnern, der ihn schon 2013 gewarnt hatte, seine Dauerproteste etwa gegen das sogenannte OMT-Programm zum Kauf von Staatsanleihen könnten ihm eines Tages den Weg an die EZB-Spitze verbauen. "Respice finem!", raunte ihm der alte Lateiner Schäuble seinerzeit am Rande eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht zu, in dem Weidmann die Beschwerden mehrerer Kläger gegen die EZB-Politik gestützt hatte. "Bedenke das Ende!"