Geldpolitik:Die Zinswende ist abgesagt

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Die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt - hier wurde immer wieder entschieden, die Zinsen nicht zu erhöhen. (Foto: dpa)

Viele Bürger sind davon ausgegangen, dass die Zeit der Nullzinsen bald vorbei ist. Doch die EZB kann die Zinsen jetzt gar nicht mehr erhöhen.

Kommentar von Harald Freiberger

Bis in den Herbst 2018 hinein sah es so aus, als ob langsam normale Zeiten einkehren könnten. Häufig fiel damals das Wort von der "Zinswende". Es schien ausgemacht, dass demnächst das eintritt, was viele seit Langem herbeisehnen: Dass die Zinsen steigen, dass es in absehbarer Zeit wieder Geld auf das Ersparte gibt. Dass die Phase des Null- und Negativzinses nach Jahren endlich aufhört.

Inzwischen ist klar, dass die Bundesbürger dies vergessen können. In den vergangenen Monaten ist etwas passiert, was wenige erwartet hatten und was vielen noch gar nicht bewusst ist: Die Zinswende fällt aus, sie ist um mindestens ein Jahr vertagt. Es ist sogar wahrscheinlich, dass sie noch viel später kommen wird. Das hat gravierende, meist negative Folgen für Sparer, Anleger und Banken. Wer sich nicht darauf eingestellt hat, sollte es schnell tun. Wer immer noch auf steigende Zinsen hofft, ist ein Fantast.

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Seit dem Herbst wird immer deutlicher, dass die lange Phase der weltweiten Hochkonjunktur zu Ende geht. Immer öfter taucht ein Wort auf, das einer Zinswende entgegensteht: Rezession. Die Notenbanken reagierten darauf: Im Dezember sandte die US-Notenbank erstmals entsprechende Signale aus, im März wurde sie noch deutlicher. Statt weiterer Zinserhöhungen, so die Botschaft, könnte es eher zu Senkungen kommen. Die Europäische Zentralbank (EZB) kann nicht weiter nach unten, der Leitzins liegt seit Jahren bei 0,0 Prozent. Aber sie teilte mit, dass es nichts wird mit einer Erhöhung in diesem Jahr, die sie vorher stets angedeutet hatte. Frühestens 2020 könnte es so weit sein.

Nun zeigt sich, wie verfahren die Lage in Europa ist. Eigentlich müsste die EZB auf die sich abkühlende Konjunktur mit einer Zinssenkung reagieren, doch sie kann es nicht mehr. Sie hat die Gelegenheit verpasst, die Zinsen in den vergangenen Jahren zu erhöhen - oder sie sah sich, nach ihrer eigenen Lesart, dazu gezwungen. Zu tief ist inzwischen die Verstrickung der EZB in die unselig hohe Verschuldung einiger europäischer Staaten. Die populistische Regierung Italiens macht wenig Hoffnung darauf, dass sich diese Praxis in absehbarer Zeit ändern könnte. Solange die Staatsverschuldung Italiens aber so hoch ist, kann die EZB die Zinsen gar nicht deutlich anheben, ohne einen Zerfall des Euro zu riskieren.

Im Herbst hört Präsident Mario Draghi auf. Er wird als der erste Chef der Notenbank in die Geschichte eingehen, der niemals in seiner Amtszeit die Zinsen erhöht hat. Er hat die Politik des billigen Geldes auch seinem noch nicht bekannten Nachfolger diktiert; manche der Maßnahmen enden erst im Jahr 2023.

Überall ist die abgesagte Zinswende abzulesen: Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen, deren Rendite schon bis auf 0,6 Prozent gestiegen war, fiel zuletzt wieder in den negativen Bereich. Die Rendite von US-Staatsanleihen brach sogar noch stärker ein. Die Kreditzinsen sinken. Das Finanzportal Interhyp meldete in der vergangenen Woche, dass die Zinsen für Immobilienkredite in Deutschland fast so niedrig sind wie auf ihrem historischen Tiefstand im Jahr 2016.

Die Bürger müssen sich darauf einstellen, dass sich auf lange Zeit nichts zum Besseren ändert

Die niedrigen Kredit- und Baufinanzierungszinsen sind einer der wenigen positiven Effekte für die Betroffenen. Allerdings wiegen auch hier die negativen Wirkungen schwer. Viele Bürger können sich trotzdem kein Wohneigentum leisten, weil die Immobilienpreise gerade in den Ballungsräumen enorm gestiegen sind. Die ausgefallene Zinswende bedeutet, dass der Druck auf den Immobilienmarkt anhalten wird.

Auch sonst müssen sich die Bundesbürger darauf einstellen, dass sich auf lange Zeit nichts zum Besseren ändert: Sparer werden auf Tagesgeld, Festgeld oder Sparpläne weiter allenfalls Zinsen im mikroskopischen Bereich erhalten. Sichere Staatsanleihen werden weiter keinen Zins abwerfen; weltweit notieren Papiere im Wert von fast einer Billion Euro sogar im negativen Bereich. Neben Immobilien haben in den vergangenen zehn Jahren vor allem die Aktienmärkte von den niedrigen Zinsen profitiert, weil es für Investoren kaum Alternativen gab. Dass der Aktienboom so weitergeht, wird bei schwacher Konjunktur und fallenden Unternehmensgewinnen aber unwahrscheinlicher.

Die deutschen Banken werden weiter unter den niedrigen Zinsen leiden. Deshalb könnte auch das Thema Negativzins bald wieder auftauchen. Bisher blieben Privatkunden davon weitgehend verschont. Doch je länger die Zinswende auf sich warten lässt, umso größer wird der Druck auf die Banken, den Negativzins an Kunden weiterzugeben. Die Hoffnung auf normale Zeiten, sie ist dahin.

© SZ vom 09.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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