Wirtschaft in Corona-Zeiten:Wenn alles stillsteht

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Denn wenn Unternehmen expandieren, brauchen sie auch neue Maschinen. Lassen sie Expansionen bleiben, brechen diese Investitionen weg. (Foto: dpa)
  • In der Wirtschaft wächst die Ungeduld, wann es auch in Unternehmen zu spürbaren Lockerungen kommt.
  • Vor allem in Autoindustrie und Maschinenbau macht sich Nervosität breit - doch Experten warnen vor falschem Übermut.
  • Gewerkschaften und Industrie plädieren für baldige Konjunkturprogramme. Anders lasse sich der Einbruch der Konsumnachfrage nicht auffangen.

Von Markus Balser, Michael Bauchmüller und Cerstin Gammelin, Berlin

Eine zaghafte Lockerung in Deutschland, ein geringeres Niveau an Corona-Neuinfektionen, Signale der Entspannung auch in anderen Teilen Europas. Prompt wächst auch in der deutschen Wirtschaft die Ungeduld.

Doch Experten warnen vor falschem Übermut. "Im Grunde stecken wir in einem Wettlauf sowohl mit der Zeit als auch um die Substanz von Unternehmen", sagt Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutsche Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Viele Unternehmen zehrten derzeit ihr Eigenkapital auf - und seien damit auf Kredite angewiesen, die sie noch lange Zeit belasten.

Es sei richtig, bei der Öffnung mit Bedacht vorzugehen, sagt dagegen Clemens Fuest, Chef des Münchner Ifo-Instituts. "Wir befinden uns immer noch im Blindflug", sagt er, schließlich fehle es an repräsentativen Tests. Nichts sei schlimmer als eine Lockerung, der dann abermals Einschränkungen folgen müssten. "Die Wirtschaft im Kampf gegen die Pandemie runterfahren ist eine Sache", sagt Fuest. "Aber es darf nicht passieren, dass man loslegt und dann erneut runterfahren muss."

Am Mittwoch hatten Bund und Länder zumindest Teilen des Einzelhandels eine Öffnung zugestanden, auch Schüler von Abschlussklassen sollen wieder in die Schule. Man lockere "vorsichtig und Schritt für Schritt" erste Beschränkungen, sagte Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) der Süddeutschen Zeitung. "Klar ist aber, dass wir uns an eine neue Normalität gewöhnen werden müssen, weil uns das Coronavirus noch eine ganze Weile begleiten wird."

In Deutschlands wichtigstem Industriezweig, der Autobranche, wachsen die Sorgen. Allein der deutsche Markt werde dieses Jahr um etwa 20 Prozent schrumpfen, erwartet Hildegard Müller, Chefin des Autoverbands VDA. Und das nur im besten Szenario einer Besserung von Mai an. "Zu Optimismus besteht derzeit kein Anlass", so Müller. Zentrales Ziel bleibe aber, die Ausbreitung des Virus einzudämmen.

Der Maschinenbau, eine weitere Schlüsselbranche, leidet unter sinkenden Investitionen weltweit. Denn wenn Unternehmen expandieren, brauchen sie auch neue Maschinen. Lassen sie Expansionen bleiben, brechen diese Investitionen weg. Am Donnerstag legt der DIHK seinen globalen Ausblick vor, er beruht auf Befragungen deutscher Firmen im Ausland. Es sind Zahlen eines Absturzes. "Die Investitionen brechen regelrecht ab", heißt es beim DIHK. Mit Verzögerung bekomme das auch der deutsche Maschinenbau zu spüren.

"Wirtschaftlich darf man sich von dieser Öffnung nicht zu viel versprechen"

Ökonomen fürchten mittlerweile Folgen, die weit über diesen Einbruch hinausgehen. Zwar rechnen sowohl der Sachverständigenrat als auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute bislang mit einer raschen Erholung nach der Krise. Doch sie könnte auch den Trend beschleunigen, Produktionen in die Nähe der Absatzmärkte zu verlagern, warnt Ifo-Chef Fuest. "Man wird neu überlegen, wo die richtigen Standorte sind." Das wiederum könne gravierende Folgen für hochwertige Arbeitsplätze in Deutschland haben.

Die Gewerkschaften plagen weitere Sorgen. Denn wenn schrittweise Fertigungen wieder anlaufen, steigt auch die Infektionsgefahr für Arbeitnehmer. "Klar ist: Die Beschäftigten müssen bestmöglich geschützt werden - vor Krankheit und vor Arbeitslosigkeit", sagt Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall, der SZ. Es brauche einheitliche Standards für den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Arbeitsminister Hubertus Heil stellte zwar erste Vorgaben vor, die nun konkretisiert werden sollen.

Bleibt die Frage, ob die Öffnung die Wirtschaft entlastet - und wie Kunden reagieren. Mit der Atemmaske in Innenstädten flanieren, in denen weder Cafés noch Kinos geöffnet haben? Immer auf der Hut, keinem zu nahe zu kommen? "Wirtschaftlich darf man sich von dieser Öffnung nicht zu viel versprechen", sagt Ifo-Mann Fuest. Schon deshalb plädieren Gewerkschaften und Industrie für baldige Konjunkturprogramme. Anders lasse sich der "massive Einbruch der Konsumnachfrage nicht auffangen", sagt DGB-Chef Reiner Hoffmann. Und auch VDA-Chefin Müller sagt: "Voraussichtlich werden konjunkturelle Stützungsmaßnahmen notwendig sein." Erst im Herbst darüber zu reden werde zu spät sein. Noch allerdings stehen die meisten Werke still - auch, weil Teile von Zulieferern nicht kommen. Selbst innerhalb der EU stockt der Warenverkehr.

Ohnehin sei Brüssel dringend gefragt, sagt DIHK-Chef Wansleben, nicht nur beim Warenverkehr. "Wir erleben gerade, wie die Welt in drei völlig getrennte Sphären auseinanderzufallen droht: China, Europa und die USA", warnt er. Die EU müsse rasch diplomatisch gegensteuern. "Für ein Land, das so stark vernetzt ist wie Deutschland, wäre das sonst verhängnisvoll."

© SZ vom 17.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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