Grüner Stahl:Wette auf eine grüne Zukunft

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Hochofen von Thyssen-Krupp in Duisburg: Die Anlagen stoßen sehr viel Treibhausgase aus - und sollen durch klimafreundliche Alternativen ersetzt werden. (Foto: Ina Fassbender/AFP)

Thyssen-Krupp investiert Milliarden, um künftig klimafreundlich Stahl herstellen zu können. Doch es gibt noch manche Hürde zu überwinden.

Von Björn Finke, Brüssel

Der Hochofen 9 von Thyssen-Krupp in Duisburg verwandelt schon seit 1962 Eisenerz in Roheisen. Doch in drei Jahren wird das 100 Meter hohe Trumm abgelöst - und sein Nachfolger soll Deutschlands größten Stahlhersteller in eine grüne Zukunft führen. Denn der MDax-Konzern lässt dort für gut zwei Milliarden Euro eine sogenannte Direktreduktionsanlage bauen. Diese wird ebenfalls Eisen produzieren, das dann zu Stahl weiterverarbeitet wird. Aber anders als Hochöfen nutzt die 130 Meter hohe Anlage dafür nicht Koks und Kohle, sondern in den ersten Jahren Erdgas und später Wasserstoff. Das senkt den Ausstoß an klimaschädlichem Kohlendioxid (CO₂) drastisch: sogar auf nahezu null, wenn der Wasserstoff klimafreundlich gewonnen wurde.

Thyssen-Krupp, einer der größten Klimasünder des Landes, will also grün werden. Bisher steht allein die Stahlsparte des Industriekonzerns für 2,5 Prozent aller deutschen CO₂-Emissionen. Die Direktreduktionsanlage soll den Ausstoß um ein Fünftel kappen. Würde die Firma alle vier Hochöfen in Duisburg nach und nach durch diese Öko-Alternativen ersetzen, wäre die Produktion am Ende komplett klimaneutral. Dieses Ziel hat sich das Unternehmen für 2045 gesetzt.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst nannte das Vorhaben am Mittwoch "eines der wichtigsten Projekte für die industrielle Transformation" seines Bundeslands. Der CDU-Politiker besuchte das Stahlwerk; Thyssen-Krupp präsentierte dort Details des Bauauftrags. Rivale Salzgitter aus Niedersachsen lässt ebenfalls eine Direktreduktionsanlage hochziehen, die sogar ein Jahr früher einsatzbereit sein soll. Diese enormen Investitionen sind nötig, damit Stahlherstellung in Deutschland überhaupt eine Zukunft hat. Schließlich zwingen die ehrgeizigen Klimaschutz-Ziele der EU die Branche dazu, ihren gigantischen Kohlendioxid-Ausstoß zu senken.

Als Hebel dient das europäische Emissionshandels-System: Industriebetriebe müssen CO₂-Zertifikate vorweisen können, also Verschmutzungsrechte, wenn sie Klimagase in die Atmosphäre blasen wollen. Und deren Preis wird in einigen Jahren kräftig steigen, so hat es die EU gerade erst beschlossen. Das verteuert grauen Stahl; so lautet der Fachbegriff für die bislang üblichen klimaschädlichen Produkte.

Der "Champagner der Energiewende" muss es richten

Die Zukunft gehört daher grünem Stahl aus Direktreduktionsanlagen. Allerdings benötigen die Werke dafür Pipelines mit Zugriff auf enorme Mengen an klimafreundlich hergestelltem Wasserstoff, und die Kosten dieses Rohstoffs - den Experten spöttisch "den Champagner der Energiewende" nennen - dürfen wiederum nicht zu hoch sein. Ob beide Voraussetzungen erfüllt sein werden, ist unklar: Die Milliardeninvestitionen der Stahlkonzerne sind also eine Wette darauf, dass Deutschland eine funktionierende und bezahlbare Wasserstoffversorgung aufbauen kann.

Damit die Firmen trotz der Ungewissheit investieren, unterstützt der Staat sie üppig. Thyssen-Krupp erhält von der Landesregierung 700 Millionen Euro, was die höchste Subvention ist, die Nordrhein-Westfalen jemals gezahlt hat. Die Bundesregierung überweist dem Unternehmen mehr als das Doppelte obendrauf. Das soll nicht nur Teile der Baukosten abdecken, sondern auch in den Anfangsjahren den Betrieb subventionieren. Die EU-Kommission hat die dicken Schecks noch nicht gebilligt, doch das soll bis Sommer geschehen.

Den Auftrag für die Direktreduktionsanlage und andere Maschinen erteilte Thyssen-Krupp dem Düsseldorfer Anlagenbauer SMS. Für den ist es die größte Order in der mehr als 150-jährigen Firmengeschichte; er erhält dafür 1,8 Milliarden Euro. Daneben fallen weitere Baukosten an, was Thyssen-Krupps Gesamtinvestitionen über die Zwei-Milliarden-Euro-Marke hebt.

Thyssen-Krupps Vorstandsvorsitzende Martina Merz sagt, ihr Unternehmen bringe das teure Projekt "trotz aller Herausforderungen und Unsicherheiten schon jetzt auf den Weg", weil die Zeit dränge: "Wenn wir die Klimaziele erreichen und den Industriestandort sichern wollen, müssen wir jetzt handeln und jetzt investieren." Bernhard Osburg, der Chef der Stahltochter mit ihren 26 000 Beschäftigten, sagt, das Vorhaben schaffe "die Basis für die grünen Stahlmärkte von morgen".

Die Nachfrage nach grünem Stahl übersteigt das Angebot

Und diese Märkte werden lukrativ sein: So plant Europas größter unabhängiger Stahlhändler Klöckner & Co, dass Stahl mit niedrigem CO₂-Ausstoß bis 2030 für mehr als die Hälfte seines Angebots stehen soll. Ein Sprecher der Duisburger Firma warnt sogar, dass noch für bis zu 15 Jahre die Nachfrage nach grünem Stahl die Mengen überschreiten werde, die Thyssen-Krupp und seine Rivalen überhaupt produzieren könnten. Das deckt sich mit der Einschätzung von Nicole Voigt. Die Unternehmensberaterin der Boston Consulting Group (BCG) sagt, dass wichtige Stahlverbraucher wie die Autoindustrie oder Haushaltsgerätehersteller auf klimafreundlichen Stahl setzten - und gar nicht genug Angebot finden würden. Daher werde der Preis für Öko-Stahl "wahrscheinlich deutlich" über dem für grauen liegen.

Klingt erfreulich für Thyssen-Krupp. Trotzdem sei es nicht ausgemacht, "dass sich die massiven Investitionen in Direktreduktionsanlagen in jedem Fall rechnen", mahnt Stahlexpertin Voigt. "Denn dafür müssten zunächst die Kosten für die Versorgung mit grünem Wasserstoff sinken."

Der wird in Elektrolyseuren gewonnen. Dort spaltet Strom Wasser in Wasser- und Sauerstoff auf. Stammt die Elektrizität von Wind- und Solarparks, ist das Gas klimafreundlich und wird "grüner Wasserstoff" genannt. Der soll in Europas gesamter Industrie Kohle und Erdgas ersetzen, aber dafür sind Mengen nötig, die in der EU gar nicht hergestellt werden können: Es ist ausgeschlossen, ausreichend Ökostrom für all die Elektrolyseure zu produzieren. Deshalb wird Europa grünen Wasserstoff importieren müssen aus Regionen, die einfach und viel Wind- und Sonnenstrom produzieren können. Etwa per Pipeline aus Nordafrika oder per Tankschiff aus Australien.

Doch die Transportkosten sind immens, weil Wasserstoff vor der Beladung der Schiffe auf minus 253 Grad gekühlt werden muss, damit das Gas flüssig wird. Das ist noch einmal 90 Grad kühler als bei Flüssigerdgas. BCG-Beraterin Voigt sagt daher, es könnte wirtschaftlicher sein, Eisenschwamm - das feste Eisen, das die Direktreduktionsanlagen produzieren - "lieber dort herzustellen, wo man günstig viel grünen Wasserstoff gewinnen kann, und ihn dann für die Weiterverarbeitung nach Deutschland zu transportieren".

Die Anlage schafft Sicherheit für Abnehmer

Für Thyssen-Krupp heißt das: Sinken die Wasserstoffkosten nicht deutlich, sollten die Essener die nächste Direktreduktionsanlage vielleicht lieber in Marokko hochziehen und sich in Duisburg darauf beschränken, das grüne Eisen aus Nordafrika zu grünem Stahl weiterzuverarbeiten.

Beraterin Voigt hält es trotzdem für vernünftig, dass Konzerne wie Salzgitter und Thyssen-Krupp zumindest ihre ersten Direktreduktionsanlagen in Deutschland bauen: "Das schafft Sicherheit für die Abnehmer, dass in einigen Jahren grüner Stahl im Angebot sein wird, und es schafft Sicherheit für die Wasserstoffhersteller, dass es Nachfrage nach grünem Wasserstoff geben wird."

Thyssen-Krupp ersetzt nun einen von vier Hochöfen mit so einer Öko-Anlage. Klar ist, dass auch die anderen drei Duisburger Hochöfen in einigen Jahren abgeschaltet werden. Unklar ist, wo ihre grünen Nachfolger hochgezogen werden.

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