SXSW-Festival:Die Wut, die Angst und das alte neue Öl

Lesezeit: 3 Min.

Heimspiel mit Hindernissen: US-Präsident Obama in Austin. (Foto: Rich Fury/AP)

Jahrelang wurde auf der Digital-Konferenz "SXSW Interactive" von der Zukunft geschwärmt. Dieses Jahr nicht mehr. Eindrücke aus Austin.

Von Matthias Kolb, Stefan Plöchinger und Hakan Tanriverdi

Jahrelang haben Technik-Enthusiasten auf der Digital-Konferenz "SXSW Interactive" von der Zukunft geschwärmt. Dieses Jahr nicht. Dieses Jahr, in dem mit Barack Obama zum ersten Mal ein amerikanischer Präsident die ehemalige Gegenkultur-Konferenz eröffnete, stand die peinliche Frage im Mittelpunkt, ob die Branche in die falsche Richtung steuert.

Probleme interessieren im Silicon Valley nur, wenn Geld zu verdienen ist

Die erste große Rede hielt der 30-jährige Afroamerikaner Casey Gerald, Mitgründer und Chef des Business-Netzwerks "MBAs across America", den manche für einen der hellsten jungen Köpfe der Branche halten. Sein "Evangelium des Zweifels" lief auf die Frage hinaus, wie es eigentlich sein könne, dass das Silicon Valley Glasfaserkabel verlegen kann, aber keine Wasserrohre. In der Industriestadt Flint im Bundesstaat Michigan mussten die Bewohner anderthalb Jahre lang bleiverseuchtes Wasser trinken. Die Behörden schauten weg. Das Silicon Valley, so Gerald, widme sich nur den Problemen, mit deren Lösung schnelles Geld zu verdienen ist.

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Der Autor Douglas Rushkoff führte diese Kritik später noch weiter: Das Silicon Valley basiere auf einem "Betriebssystem", das sich in einer Wachstumsfalle befinde. Rushkoff sprach den Werbejargon des Silicon Valley, seine Argumente demontierten dessen Selbstverständnis allerdings. Statt tatsächlich eine "disruption" herbeizuführen ("disruption" ist das Lieblingswort von Start-up-Gründern), fördere man allenfalls die Ungleichheit.

Habe die Industrialisierung den Produktionsprozess in kleine Teile zerlegt, werde dieser durch die Start-up-Kultur nun regelrecht atomisiert. Arbeiter seien isoliert und unsichtbar und würden von Konzernen als Forschungsabteilung missbraucht. "Ein Uber-Fahrer liefert Daten über die Nachfrage in der Stadt, die Uber in Zukunft für selbstfahrende Autos prima gebrauchen kann", so Rushkoff.

"Wir waren begeistert von Obama"

Start-ups, die Milliarden Dollar wert sein sollen, förderten die Gentrifizierung, indem sie Mitarbeiter mit immer höheren Löhnen locken und so die Mieten permanent steigen ließen. Dass Google-Mitarbeiter-Busse im Großraum San Francisco mit Steinen beworfen werden, findet Rushkoff zwar schrecklich, aber auch bezeichnend.

Ted Ullyot von der Investmentfirma Andreessen Horowitz sagte: "Wir Techies waren alle so begeistert von Obama. Heute schaue ich mir Trump und Bernie Sanders an und denke: Aus hope und change ist fear und nostalgia geworden." Der Republikaner Ullyot kann die Wut der Trump-Fans nachvollziehen: "Innovationen und disruption sind auch furchterregend. Im Silicon Valley finden das alle super, aber es ist nicht schön, wenn dein Leben aus den Angeln gehoben wird."

Auch in Austin sind die Probleme angekommen

Aber nicht nur im fernen Kalifornien, auch in Austin selbst sind die Probleme angekommen: Einmal zogen 30 Demonstranten zum Convention Center. "Raus aus Austin, du Yuppie-Abschaum", rief einer, als ihn ein SXSW-Gast filmte. "Tech Greed = Community Disruption" steht auf dem Plakat, das Aureliano Buendia hält. Die Gier der jungen Tech-Firmen vertreibe Schwarze und Latinos wie ihn, sagt der 32-Jährige.

Seit Texas Instruments 1969 in Austin gegründet wurde, floriert die High-Tech-Szene: Michael Dell startete seine Firma in seinem Studentenwohnheim. Heute verdienen die 120 000 Programmierer und Software-Entwickler in der Stadt so viel Geld, dass die durchschnittliche Miete 1190 Dollar beträgt. Jedes Jahr ziehen 50 000 Menschen nach Austin. Und Symbol für das Wachstum sind nicht nur die neuen Hochhäuser mit Luxuswohnungen, sondern auch SXSW selbst. "Letztes Jahr ließ ein Vermieter den Laden einer Latino-Familie über Nacht plattmachen, weil er auf dem Gelände ein Event für SXSW organisieren wollte", klagt Aktivist Buendia.

Ganz ohne irre optimistische Zukunfsvisionen ging die Konferenz natürlich auch dieses Jahr nicht über die Bühne: Laut Hyperloop-Gründer Dirk Ahlborn etwa werden Fernbeziehungen bald kein Problem mehr sein, wenn Züge mit 1200 km/h durch Vakuumröhren von Küste zu Küste düsen. Kevin Plank von Under Armour rief: "Es ist unglaublich, dass kein Mensch weiß, wie oft er im vergangenen Jahr krank war."

Plank will seine Sportartikel-Firma zur globalen Lifestyle-Marke machen - dank der Daten ("das neue Öl") von 160 Millionen Kunden. Bald müsse niemand mehr erkältet sein, weil ihn Under Armour daran erinnere, sich rechtzeitig mit Vitamin C vollzupumpen. Und Kevin Kelly, Gründer des Magazins Wired prophezeite, dass die Virtual-Reality-Brillen nun wirklich bald den Markt erobern werden.

In Zukunft wird sämtliche Kommunikation verschlüsselt

Die hitzigste Debatte sprach ein Gast aus Hollywood an: "Die Privatsphäre wird in den kommenden Jahren ein großes Thema werden", sagte Sam Esmail, der Regisseur der Hacker-Serie "Mr. Robot", und meinte damit den Streit zwischen dem FBI und dem Computerkonzern Apple. Das FBI will Zugriff auf ein iPhone, das einem der San-Bernardino-Terror-Attentäter gehörte. Apple weigert sich bislang zu helfen.

Das SXSW-Publikum war überzeugt, dass in Zukunft sämtliche Kommunikation verschlüsselt wird - und so vor einem massenhaften Abfischen geschützt wäre. "Ich bin sehr optimistisch", sagte Moxie Marlinspike, dessen Algorithmen vom Chat-Dienst Whatsapp übernommen wurden und damit die Nachrichten von einer Milliarde Menschen bereits heute absichern. Stewart Baker dagegen nennt solche Argumente "Bullshit". Der einstige Chefjurist der NSA war einer der zwei Menschen, die hier Apples Position kritisierten. Der andere war Barack Obama. Der Präsident riet der Branche, einen Kompromiss mit der Regierung zu finden. Eine Verschlüsselung im Stil einer "Black Box" hält er für zu "absolutistisch".

Als die übermüdeten Konferenz-Besucher alle wieder nach Hause wollten, stieg der Preis für eine Fahrt zum Flughafen bei Uber übrigens um das Fünffache.

© SZ vom 17.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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