Zensur:Russland will sich vom globalen Internet abkoppeln

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Freiheit für das Internet: Tausende Menschen gingen im März in Moskau auf die Straße, um gegen das geplante russische Gesetz zu demonstrieren. Kritiker befürchten, dass es dem Staat weniger um Cybersicherheit geht als vor allem um eine stärkere Kontrolle der Gesellschaft. (Foto: Alexander Zemlianichenko/AP)
  • Das russische Parlament stimmt für ein Gesetz für ein "souveränes Internet".
  • Eine zentrale Stelle soll Webseiten blockieren können.
  • Oppositionelle halten die Pläne für Zensur.
  • Ob sich ein russisches Netz so einfach kontrollieren lässt, ist aber unklar.

Von Silke Bigalke, Moskau

Die Proteste brachen aus, und das Internet in Inguschetien brach zusammen. Tausende hatten sich vor dem Parlament in Magas versammelt, um gegen die neue Grenze zu Tschetschenien zu demonstrieren. Die Menschen schlugen Zelte auf, und als sie sich zum Freitagsgebet auf den Platz knieten, beteten Sicherheitskräfte mit. Bilder, die man in Moskau sicher nicht gerne sah und die sich daher auch nicht so schnell über soziale Medien verbreiteten. Die Menschen in Inguschetien konnten Fotos und Videos nicht hochladen. Die Anbieter hatten den 3G- und 4G-Service in der Region für zwei Wochen abgeschaltet, weil die russische Zensurbehörde es so wollte.

Man kann das als Testlauf betrachten. Am liebsten würde der Kreml wohl das gesamte Netz beliebig an- und abschalten können. Das Gesetz über ein "souveränes Internet" könnte ein Schritt dorthin sein. Dieses soll es dem Kreml erlauben, das russische Runet vom Rest der Welt abzukoppeln. Das russische Parlament stimmte am Donnerstag in zweiter und entscheidender Lesung mit großer Mehrheit für das Gesetz. Künftig soll der russische Internetverkehr über Server im eigenen Land gelenkt werden.

Menschen wurden verhaftet, weil sie die "falsche" Musik teilten

Das Gesetz verpflichtet alle russischen Internetprovider, aber auch andere Dienstleister, eine besondere Ausrüstung an ihren Servern zu installieren. Wie diese aussieht und was sie alles kann, ist bisher nicht genau beschrieben. Vielleicht ähnelt sie den schwarzen Boxen an den Servern, mit denen der Geheimdienst den Internetverkehr bereits heute überwacht.

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Neu ist, dass die Medien-Aufsichtsbehörde Roskomnadsor alles über eine eigene Zentrale steuern soll. Dann sind nicht mehr die Betreiber dafür verantwortlich, in Russland unerwünschte Seiten zu sperren. Die Behörde möchte es selbst übernehmen, nicht nur zu kontrollieren, sondern auch zu blockieren.

Aber kann sie wirklich eine digitale Mauer an Russlands Grenzen bauen? Experten bezweifeln das. Der Kreml argumentiert mit der Abwehr von Cyberattacken aus dem Ausland. Zudem müsse Russland vorbereitet sein, falls die USA es vom weltweiten Netz ausschließen wollten. Bisher ist noch nie ein Land absichtlich abgeschnitten worden. Trotzdem soll nun der russische Internetverkehr nur noch über russische Server laufen.

Kritiker glauben, es gehe eher um Kontrolle der Bevölkerung

Die Gesetzesmacher versuchten, das Internet unter Kontrolle zu bringen, "weil sie glauben, dass diese Kontrolle ihnen gehört", sagt Alexander Isawnin von Roskomswoboda, einer Aktivistengruppe für Internetfreiheit. Als es nur Telefon und Fernsehen gab, war Überwachung einfacher. Doch wie das Internet funktioniere, würden die Behörden nicht verstehen. "Sie können eine Menge Schaden anrichten", sagt Isawnin. "Aber sie werden keinen Erfolg haben, Inhalte völlig zu blockieren."

Es geht nicht nur um Zensur, sondern auch um Infrastruktur. Mit dem Gesetz will der Kreml besser mitentscheiden, wie Daten durch das Land strömen. Und vielleicht nicht gleich das ganze Land abklemmen, aber einzelne Regionen wie Inguschetien. "Das ist eine ziemlich brutale Sache", sagt Andrej Soldatow, Autor des Buches "The Red Web". Er glaubt, dass der Kreml vor allem verhindern möchte, dass das Internet Menschen auf die Straße bringt.

In Moskau war es Mitte März das neue Gesetz, das fast 15 000 Menschen zum Protest für ein freies Internet bewegt hat. Der Messenger-Dienst Telegram hatte Einladungen dazu verschickt. Oppositionspolitiker Alexej Nawalny rief über Twitter zur Teilnahme auf. "Leute aus der Vergangenheit kämpfen gegen unsere Zukunft", lautete einer der Sprüche von der Demo.

Schwarze Liste für unerwünschte Internetseiten

Die Polizei war vorbereitet. Sie hatte das Gelände abgesperrt, vor den Metalldetektoren am Eingang bildeten sich Schlangen. Sie durchsuchte jede Tasche, konfiszierte Protestschilder, die nichts mit dem Thema Internet zu tun hatten, sondern die Regierung generell kritisierten. Kann man das Internet genauso ordentlich einschränken wie einen angekündigten Straßenprotest?

Seit 2012 gibt es eine schwarze Liste für unerwünschte Internetseiten. Anfangs standen darauf jugendgefährdende Seiten, später kamen Inhalte dazu, die die Behörden als extremistisch einstufen oder solche, die zu illegalen Protesten aufrufen. Die Regeln sind dabei so vage formuliert, dass sie verunsichern und beinahe willkürlich eingesetzt werden können. Laut der Aktivistengruppe Roskomswoboda sind derzeit mehr als 160 000 Seiten blockiert.

Es werden Leute bestraft, weil sie die falsche Musik über soziale Medien teilen, die Krim-Annexion kritisieren oder die Kirche beleidigen. Ein 19-Jähriger wurde verhaftet, weil er ein Bild mit einem "Game of Thrones"-Charakter in Jesus-Pose gepostet hatte. Kürzlich unterzeichnete der Präsident zwei weitere Gesetze. Sie verbieten Falschnachrichten ("unzuverlässige Informationen") und "ausgesprochene Respektlosigkeiten" gegenüber Gesellschaft, Amtsträgern, Staatssymbolen. Auch diese Formulierung ist so vage, dass niemand wissen kann, wann er womöglich eine Grenze überschreitet. Auch bei den Regeln zum "souveränen Internet" kommt es nicht nur darauf an, was technisch möglich ist. Die Menschen werden sich künftig stärker überwacht fühlen. Und sich weniger trauen, im Internet ihre Meinung zu äußern.

Im Internet funktioniert die russische Opposition noch am ehesten

Dabei ist das Internet der Ort in Russland, wo Opposition noch am ehesten funktioniert. Als etwa der Inlandsgeheimdienst FSB beinahe jedes Konzert der Kreml-kritischen Band IC3PEAK zu verhindern suchte, hörten umso mehr Menschen deren Songs auf Youtube. Die Gruppe wurde zu einem Symbol des Protests. Kritische TV-Sender wandern ins Internet, Filme, die keine Kinolizenz erhalten, feiern auf Youtube Premiere. "Hauptziel der Regierung ist, Opposition zu blockieren, also werden sie mehr und mehr Gesetze schaffen, um das zu erreichen", sagt Alexander Isawnin.

Die Willkür dabei ist auch für Unternehmen ein Problem. Ein Beispiel: Seit 2015 dürfen sie personenbezogene Daten von Russen nur noch auf Servern in Russland speichern. Die Netzwerk-Seite Linkedin hat das nicht erfüllt und ist daher blockiert. Facebook und Twitter halten sich nicht daran und kommen bisher damit durch. VPN-Dienste helfen dabei, Sperren zu umgehen und etwa auf Linkedin zuzugreifen. Doch nun droht Roskomnadsor damit, VPN-Dienste zu blockieren, die den Weg zu unerlaubten Seiten öffnen. Weil gezielte Angriffe schwierig sind, wird die Bewegungsfreiheit im Netz weiter zerhackt.

Voriges Jahr haben sich die Behörden blamiert, als sie Telegram blockieren wollten. Der Dienst hatte sich geweigert, dem Geheimdienst seine Verschlüsselungsdaten zu verraten. Damals schlugen die Behörden mit dem groben Hammer zu und erwischten viele andere Seiten, die plötzlich nicht mehr erreichbar waren. Überhaupt leidet die digitale Wirtschaft an neuen Verordnungen und rechtlicher Unsicherheit. Mehr kleine Internetanbieter werden aufgeben, befürchten Experten. "Der beste Weg, um Internetverkehr zu kontrollieren, ist es, alle Betreiber wirtschaftlich zu töten und ein Monopol zu bilden", sagt Isawnin.

Den Internetexperten Soldatow hat die Reaktion russischer Internetriesen wie Yandex und Mail.ru auf das neue Gesetz überrascht. "Für viele Jahre dachten wir, das russische Internetgeschäft entwickele sich unabhängig vom Kreml und die größten Firmen seien stolz auf ihre Unabhängigkeit", sagt er. Jetzt, wo die Regierung die Kosten für das neue System übernehmen will, gebe es kaum Widerstand.

Etwa 410 Millionen Euro sind dafür eingeplant, Experten schätzen, dass es noch teurer werden könnte. Wird das Gesetz in zweiter Lesung angenommen, gilt die dritte als Formsache. Dann muss der Präsident unterschreiben. Die Proteste in Inguschetien halten derweil an. Das Internet funktioniert dort zwar wieder, aber unzuverlässig. Kürzlich fiel es drei Tage aus.

© SZ vom 11.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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