Kein Design geht unter, ohne Nostalgiker zu hinterlassen. Irgendwann werden altmodische Menschen eine weiße Webseite bauen, in deren Mitte sie Wörter eintippen. Dann spuckt die Seite eine Liste mit Ergebnissen aus. Das Google-Gefühl. So, wie die Suchmaschine immer war, wie sie aber bald nicht mehr sein wird.
Google wird in Zukunft - zunächst in seiner mobilen Such-App - statt einer starren Ergebnisliste einen Strom von Informationen zeigen, sortiert anhand der Daten, die das Unternehmen über Nutzer gesammelt hat. Wer einen Flug nach Rom buchen will, sieht dann schon einmal Artikel über Beinfreiheit in Flugzeugen und die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Es ist der alte Traum seiner Chefs: Google weiß, was du suchst, bevor du es selbst weißt (mehr dazu hier).
Ziel ist aber nicht der Komfort der Nutzer, wie Google behauptet, sondern in Wahrheit ein Territorialkampf, der die Struktur des Internets verändert. Denn was der Nutzer in diesem sieht, wird zunehmend von Auseinandersetzungen bestimmt, die innerhalb des Oligopols der Tech-Konzerne stattfinden. Und von den Vorstellungen einzelner Staaten, wie das Internet zu sein hat.
Googel facebookisiert sich selbst
Der zentrale Anlaufpunkt des Internets ändert sich also grundlegend. Die minimalistische Google-Seite war ein Sprungbrett in die Weiten des Netzes. Hier sollten Nutzer nur kurz abfedern, um auf Abermillionen fremde Pfade zu hüpfen. Bald bietet Google dem Nutzer eine bunte, nie endende Scroll-Welt, damit er bleibt. Und irgendwann wird Google dort wohl Werbung schalten - was all jene Webseitenbetreiber in den Wahnsinn treiben dürfte, die momentan von Google abhängig sind.
Google facebookisiert sich also selbst, das Modell des Beitrags-Stroms hat der Konkurrent Facebook schon perfektioniert. Auch Google will seine Nutzer nun so lange wie möglich innerhalb seiner Mauern halten, statt sie nur schnell mit den gewünschten Informationen weiterzuschicken. Das Bild dafür ist jenes der "ummauerten Gärten": Facebook für Bekanntschaften, Amazon um Produkte zu finden - und Google eben für alle anderen Infos. Statt eines freien Netzes bewegen sich die Nutzer in immer enger geschlossenen Ökosystemen, in kommerzialisierten Sub-Netzen.
Die Konzerne sind so reich geworden, dass sie eigene Netz-Infrastrukturen bauen. In ärmeren Ländern wie Indien halten viele Menschen Facebook längst für "das Internet", es ist dort die Schleuse zu allen Informationen - also das, was Google gerne wäre. Mit dieser Stellung geht enorme Kontrollmacht der Unternehmen einher, die sich in Streits über Verleumdungen, Nacktheit und "Hassrede" schon andeutete. Gefühlt willkürlich löschten die Unternehmen Inhalte von Nutzern oder ließen Inhalte nach Beschwerden stehen - ohne jeweils transparent zu machen, warum.
Die ganze Welt "offen und vernetzt" zu machen, dieser Gedanke existiert nur noch als Mantra von Mark Zuckerberg und Facebook, wo er doch eigentlich bedeutet: geschlossene Gesellschaft, unter unserer Kontrolle. Und jetzt dein ganzes Leben in Daten, bitte.
Das freie Netz, das Netz der Menschen zerfasert. Seit Jahren nutzen Kritiker für diese Vorstellung den Begriff splinternet - das Splitternetz. Jetzt beginnt es, Realität zu werden.
Auch die Staaten sichern sich digitales Territorium
Braucht es also den Staat, um das Netz zusammenzuhalten? Diese Strategie gegen die genannten kommerziellen Zentrifugalkräfte bringt ein neues Problem mit sich. Denn auch die Staaten treiben mit ihrer oft überhasteten Regulierung oder gar mit Zensur die Zersplitterung des Netzes voran.
Der ehemalige Google-Chef Eric Schmidt sagte vor Kurzem, das Internet könne auseinanderfallen, in ein "westliches", offenes, und ein chinesisches. Die New York Times ergänzte: Es drohe gar eine Balkanisierung in drei Teile, denn auch die EU nimmt mit ihren immer strengeren Regulierungen Einfluss darauf, was in "ihrem" Teil des Netzes veröffentlich werden darf und was nicht. Dieses Sub-Netz trägt vor allem die Handschrift deutscher Ängste, durchleuchtet zu werden. Übrigens: An der "großen Firewall" Chinas, das vergaß Schmidt wohl zu sagen, baut Google selbst mit. Der Konzern plant eine zensierte Suchmaschine, die sofort schluckt, was den Mächtigen in Peking nicht gefällt.
Die Krise des offenen Netzes zwischen Kommerz und Staatskontrolle ist so tiefgreifend, dass der Erfinder des Web verzweifelt. So sehr, dass er seine Schöpfung noch einmal wiederholen will. Tim Berners-Lee baut an einer neuen Kommunikations-Infrastruktur - nur dieses Mal sollen Konzerne und Geheimdienste draußen bleiben. Es ist offensichtlich Zeit, noch einmal von vorne anzufangen.