Sie arbeitet am bisher wohl größten Projekt ihrer Karriere: Als Chefin des Münchner Start-ups Unio will Katrin Bacic ein Satellitensystem für Breitband-Internet aufbauen: rund 500 Satelliten, die bis 2027 um die Erde kreisen sollen. Ein Vorhaben, das immer noch wie Science-Fiction anmutet. Doch die Gründerin kann auch von Dingen erzählen, die eher nach 19. Jahrhundert klingen. Eigentlich sollten die Zeiten vorbei sein, in denen es für Erstaunen sorgt, dass eine Frau ein Hightech-Unternehmen führt. Doch Momente männlich herablassender Gönnerhaftigkeit zeigen, wie sehr Frauen in bisherigen Männerdomänen immer noch zu kämpfen haben.
Die hat auch Bacic erlebt. "In einem meiner früheren Jobs hat mich ein männlicher Investor mal gefragt, wie ich das denn mache", erzählt sie: "Ich müsste doch meine Tochter schrecklich vermissen, wenn ich auf Geschäftsreise bin." Eine Frage, die ein Mann wohl eher nicht zu hören bekommen würde. "Die klassische Raumfahrtindustrie ist noch wenig divers", sagt Bacic. Dabei sei es für den Erfolg der Branche wichtig, möglichst viele verschiedene Perspektiven und Talente einzubinden. Studien zufolge seien diverse Teams im Durchschnitt 25 Prozent profitabler. "Diversität ist ein Schlüssel für Innovation, dafür stehe ich", sagt Bacic. Schon als Chefin bei Wayra Germany, dem Innovations-Hub des Telekomkonzerns Telefónica, habe sie den Anteil der von Frauen geführten Firmen auf ein Drittel gesteigert.
Nun also Raumfahrt. "Wenn es hilft, bin ich auch gerne ein Role Model", sagt Bacic. "Als Vorbild für junge Frauen, die Führungspositionen in bisher männerdominierten Bereichen anstreben, ob in der Raumfahrt, Naturwissenschaft oder anderswo." Dass sie Betriebswirtschaft studiert hat, sei ein Vorteil. "Als Seiteneinsteigerin ergänze ich den klassischen Ingenieurs- und Raumfahrt-Hintergrund um neue Perspektiven."
Bacic sagt, dass Raumfahrtanwendungen in ihrer Zeit bei Telefónica weniger relevant gewesen seien. "Aber seit etwa fünf Jahren beschäftigt die Satellitenkonnektivität die Kommunikationsbranche immer stärker." Auch die Autoindustrie interessiert sich nun für schnelles Internet aus dem All. Nicht nur für das autonome Fahren, denn das Auto wird zunehmend zum mobilen Büro mit Videokonferenz, auch Unterhaltungsprogramme sind gefragt.
Unio möchte dafür mit seinen Joint-Venture-Partnern ein fliegendes Breitbandnetz im All aufbauen, dazu gehören vor allem die Münchner Firmen Isar Aerospace (Kleinraketen), Reflex (Satelliten) und Mynaric (Laser-Plattformen). Der Satellitenbetreiber SES soll die Frequenzen beisteuern. Dabei sei es nicht ausgeschlossen, auch andere Anbieter zu nutzen. Isar Aerospace könne zwar 2025 zwei Demosatelliten starten. Zum Aufbau der Konstellation sind aber größere Raketen nötig. "Umso wichtiger ist es, im Bereich der Trägerraketen in Europa eigene Kapazitäten aufzubauen, um künftig nicht komplett von anderen Regionen abhängig zu sein", sagt Bacic. Dass das Münchner Start-up Rivada, das ein ähnliches System aufbauen will, Satelliten beim US-Hersteller Terran Orbital bestellt, sieht sie nicht als Wettbewerbsnachteil für Unio.
Die Firma rechnet damit, die 450 Kilogramm schweren Satelliten alle sieben Jahre austauschen zu müssen, weil sich die Technik so schnell weiterentwickelt. Deshalb ist es Bacic auch wichtig, den Erdorbit nicht damit zu vermüllen. "Dafür sprechen wir unter anderem mit der Münchner Firma HPS. Abgebremst durch ein Segelsystem von HPS könnten unsere Satelliten beim Wiedereintritt in die Atmosphäre vollständig verglühen."
Die Konstellation kostet etwa zwei Milliarden Euro
Bis zur Demomission braucht Unio rund 20 Millionen Euro, bis Ende 2024 sind zwei Finanzierungsrunden geplant. "Der Aufbau der gesamten Konstellation über die nächsten Jahre wird voraussichtlich rund zwei Milliarden Euro kosten", sagt Bacic. Neben Wagniskapitalgebern hofft sie auch auf strategische Investoren. Für die Automobilbranche könnte dies interessant sein, auch eine Kooperation mit klassischen Raumfahrtfirmen sei denkbar. "Beide Welten zusammenzubringen, das ist für mich das Erfolgsrezept für die Raumfahrtbranche der Zukunft." Als Kunden will Unio aber, anders als Starlink von Space-X, nicht Endnutzer ansprechen, sondern Unternehmen, Institutionen, Regierungen.
Unio bewirbt sich parallel dazu auch für das Breitbandsatellitennetz Iris² der EU. Ein souveränes Europa müsse eine eigene Konstellation aufbauen, davon ist Bacic überzeugt. Allerdings kritisiert sie, dass die Teilnahme an recht hohe Anforderungen geknüpft sei, etwa bei Erfahrungen und Umfang früherer Projekte. "Das steht ja im Widerspruch zum dem, was Start-ups eigentlich ausmacht." Sie sollen zwar Tempo, Flexibilität und Effizienz in ein Projekt bringen, doch derzeit seien Start-ups eher als Zulieferer für die Konzerne vorgesehen. Damit "nutzen wir ihr Innovationspotential nicht". Gerade hat sich ein Bewerbungskonsortium gegründet, unter anderem von Airbus und Thales Alenia Space geführt. Start-ups und mittelständische Firmen sollen sich dem aber anschließen können, "was zu einem innovativeren und wettbewerbsfähigeren europäischen Raumfahrtsektor führen wird", verspricht das Konsortium. Es sei aber noch vieles offen, sagt Bacic. "Wenn die Regeln zu starr oder zu kompliziert sind, sehe ich durchaus das Risiko, dass wir in zehn Jahren noch keine europäische Konstellation haben."
Mit Unio hat Bacic aber die Chance, zu beweisen, dass Start-ups so ein Projekt auch alleine aufbauen und betreiben können. Letztlich habe ihre elfjährige Tochter sie dazu bewegt, zu Unio zu gehen. "Mama, das musst du machen", habe sie ihr gesagt. "Sie ist ein großer Spacefan, liest Apollo-Bücher, liebt Mathematik und naturwissenschaftliche Fächer", erzählt Bacic. "Die Faszination Raumfahrt spielt also auch bei uns zu Hause eine große Rolle." Da versteht es sich, dass sie auch selbst gerne ins All fliegen würde. "Wer diese Chance hat, sollte sie nutzen", sagt sie. "Es ist ein Traum von mir, die Erdkugel aus dem All zu sehen."