Viele Angestellte kennen das: Das Betriebssystem, in sehr vielen Fällen Windows, ist auf dem Firmenrechner deutlich älter als auf dem privaten Computer. Und manchmal ist eine Windows-Version so alt, dass Microsoft schon den Support dafür eingestellt hat.
In dieser Situation befindet sich offenbar auch Wladimir Putin. Wie das russische Nachrichtenportal Open Media berichtet, nutzt Russlands Präsident auf seinen Arbeitsrechnern immer noch die stark veraltete Version XP, für die Microsoft den Support vor knapp sechs Jahren eingestellt hat. XP kam erstmals 2001 auf den Markt. Windows XP gilt heute als extrem anfällig für Hacker-Angriffe, weil es schon lange nicht mehr auf dem neuesten Stand ist.
Auch im Westen wird XP noch von vielen Institutionen verwendet. Wie anfällig das System ist, zeigte sich bei der weltweiten Hacker-Attacke mit der Erpressersoftware "Wannacry" 2017. Damals wurden unter anderem britische Krankenhäuser, die noch auf XP liefen, und Computer der Deutschen Bahn lahmgelegt.
Seine Erkenntnis leitet Open Media aus Fotos ab, die der Pressedienst des Kremls vor einigen Wochen auf seine Website gestellt hat. Sie zeigen Putin bei einer Telefonkonferenz im Büro seines Amtssitzes in Nowo-Ogarjowo bei Moskau, und die Direktorin der russischen Zentralbank Elwira Nabiullina bei einer Besprechung mit Putin im Kreml. Auf beiden Aufnahmen ist ein Computerbildschirm zu sehen, der nahelegt, dass der dazugehörige PC mit Windows XP läuft. Auf beiden Rechnern ist derselbe Bildschirmschoner installiert, der den Kreml zeigt.
Michail Klimarjow, Geschäftsführer der russischen NGO Internet Protection Society, die sich für ein Internet ohne Zensur einsetzt, habe bestätigt, dass es sich bei den Betriebssystemen auf Putins Rechnern um Windows XP handele, schreibt Open Media weiter.
Windows XP nur noch auf 1,3 Prozent aller PCs installiert
Microsoft hat die Unterstützung von XP und die Installation von Sicherheits-Updates für das Betriebssystem im April 2014 offiziell eingestellt. Um die schlimmsten Ausfälle und gefährlichsten Hackerangriffe zu vermeiden, stellt der Software-Hersteller nur gelegentlich noch Sicherheits-Updates für das Betriebssystem zur Verfügung, allerdings deutlich seltener als für aktuelle Versionen. Zuletzt war dies im Mai 2019 der Fall.
Nach der Einführung von Windows XP folgte über die vergangenen 18 Jahre eine ganze Reihe weiterer Versionen, darunter Windows Vista, Windows 7, Windows 8 und zuletzt Windows 10 im Juli 2015. Aktuell soll XP weltweit nur noch auf 1,3 Prozent aller laufenden PCs installiert sein.
In IT-Foren ist nun ein Streit entbrannt: Stimmt die Analyse von Open Media? Ist es wirklich Windows XP? Oder handelt es sich um Windows 7 mit einer "nostalgischen" Benutzeroberfläche, die wie XP aussieht? Eine spezielle Anpassung von Astra Linux? Oder hat der Kreml die Bilder bewusst gestreut, um seine Feinde zu verwirren und seine IT altmodischer wirken zu lassen, als sie ist?
Diese Möglichkeit bringt Philip Ingram, IT-Experte und ehemaliger britischer Geheimdienstler, im Magazin Forbes ins Spiel: "Die Frage ist, warum die Russen deutlich machen wollen, dass ihre Computer angeblich ein Betriebssystem verwenden, das schlecht geschützt ist. Am Ende wissen wir nicht, ob es tatsächlich so ist."
Nach Einschätzung Klimarjows wird Putin der Gebrauch neuerer Windows-Versionen als XP verwehrt, weil die nicht vom Bundesdienst für Technik- und Exportkontrolle (FSTEC) zertifiziert wurden, der dem Verteidigungsministerium untersteht. Ohne die Bescheinigung der Behörde können Betriebssysteme in Russland nicht auf den Rechnern von Staatsdienern installiert werden, die mit sicherheitsrelevanten Vorgängen befasst sind. Windows XP war das letzte Microsoft-Betriebssystem, dem dieses Zertifikat vom FSTEC ausgestellt wurde, wie Dokumente zur Exportkontrolle des Verteidigungsministeriums belegen, die im Internet frei abrufbar sind.
Russisches Betriebssystem "Astra Linux" soll kommen
Hintergrund ist der Plan des russischen Staates, jegliche Software von Microsoft und Apple bis spätestens 2030 aus allen staatlichen Behörden und strategisch wichtigen Unternehmen zu verbannen. Stattdessen sollen sie das eigene russische Betriebssystem Astra Linux verwenden, eine spezielle Anpassung des Open-Source-Betriebssystems Linux.
Doch die Rechner der Präsidialverwaltung wurden noch nicht mit dem heimischen Betriebssystem bestückt. Und das, obwohl die Linux-Pläne schon seit 2015 bekannt sind. Astra Linux hat im vergangenen Mai vom FSTEC sowie vom Sicherheitsrat der Russischen Föderation und dem Verteidigungsministerium die Freigabe zur Arbeit mit Dokumenten bis zur höchsten Geheimhaltungsstufe erhalten.
Kein Sicherheitsproblem
35 Jahre Microsoft Windows:Erfolg hat viele Fenster
Am 20. November 1985 fing alles an. Die damals noch weitgehend unbekannte Softwarefirma Microsoft veröffentlichte mit Windows 1.0 die erste grafische Benutzeroberfläche für MS-DOS. Ein Rückblick.
Das hat einen einfachen Grund: Wie schon 2018 durch einen Bericht der Tageszeitung Kommersant bekannt wurde, wurde Astra Linux den Anforderungen des Kremls noch nicht gerecht. Deswegen sei die Einführung des Systems auf 2020 verschoben worden.
Ob Astra Linux die Dinosaurier-Software Windows XP auf den PCs des Kremls im nächsten Jahr tatsächlich ersetzen wird, bezweifelt Open Media allerdings. Auf der Webseite des öffentlichen Beschaffungswesens in Russland habe das Nachrichtenportal bislang noch keine entsprechende Ausschreibung der zuständigen Präsidialbehörde finden können.
Doch auch wenn Russlands Präsident noch lange mit Windows XP weiterarbeiten sollte, stellt das womöglich kein großes Sicherheitsproblem dar. Denn Putin betont immer wieder, dass er das Internet praktisch nicht nutze. Wer nicht mit dem Internet verbunden ist, kann nur mit exorbitantem Aufwand gehackt werden, etwa indem Hacker sich physischen Zugang zu seinem Computer verschaffen. Im Februar 2018 deutete Putin außerdem an, dass er kein Smartphone besitze, und sein Sprecher Dmitrij Peskow teilte sogar mit, dass Putin noch nicht einmal Gebrauch von einem normalen Handy mache. "Der Präsident eines Landes wie Russland", sagte Peskow, "sollte nicht alle seine Angelegenheiten öffentlich zur Schau stellen."
Russland hat seine Bemühungen, sich in der Informationstechnik und im Internet vom Ausland unabhängig zu machen, zuletzt noch intensiviert: Im November verabschiedete die Duma ein Gesetz, wonach von Juli 2020 an Smartphones und PCs in Russland nur noch verkauft werden dürfen, wenn russische Software-Alternativen vorinstalliert sind. Am 1. November erfolgte außerdem der Startschuss für ein "souveränes Internet" des Landes, das "Runet". Es soll im Zweifelsfall vom Internet im Rest der Welt abgekoppelt werden können. Ob dies technisch überhaupt möglich ist, bezweifeln Experten allerdings.