Europäische Union:EU-Konzerne sollen für Kinderarbeit haften

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Ein Kind arbeitet in einer Aluminiumfabrik in Bangladesch: Ein neues EU-Gesetz zwingt Konzerne dazu, Menschenrechtsverstöße bei Zulieferern zu beseitigen. (Foto: Zakir Hossain Chowdhury/imago)

Die Kommission schlägt ein Lieferkettengesetz vor, das die deutsche Regelung deutlich verschärfen würde. Kritiker warnen bereits, dass Unternehmen sich aus riskanten Regionen zurückziehen könnten.

Von Björn Finke, Brüssel

Das deutsche Lieferkettengesetz war heiß umkämpft - und bald könnte Berlin es deutlich verschärfen müssen: Vor ziemlich genau einem Jahr einigte sich die Bundesregierung auf den Rechtsakt, der Unternehmen dazu zwingt, bei Zulieferern weltweit auf die Einhaltung von Menschenrechten zu achten. Dies soll zum Beispiel sicherstellen, dass bei der Produktion eines T-Shirts oder Schokoriegels keine Zwangs- oder Kinderarbeiter beteiligt sind. Das Gesetz tritt im Januar 2023 in Kraft. Doch die EU-Kommission wird an diesem Mittwoch den Entwurf einer Richtlinie vorlegen, die weit über die deutschen Regeln hinausgeht.

Der EU-Rechtsakt zur Prüfung nachhaltiger Unternehmensführung würde alle Mitgliedstaaten dazu zwingen, viel härtere Lieferkettengesetze zu erlassen, als es Deutschland getan hat. Zunächst müssen sich aber noch Europaparlament und Ministerrat als Gremium der EU-Regierungen mit der Richtlinie befassen ; sie könnten den Vorschlag der Kommission abändern, bevor er - vermutlich nicht vor 2024 - in Kraft tritt. Mitgliedstaaten hätten dann weitere zwei Jahre zur Umsetzung. Der Süddeutschen Zeitung liegt ein 61-seitiger Entwurf vor. Im Vergleich zum deutschen Gesetz würde er mehr Unternehmen erfassen und diesen mehr Pflichten und heftigere Strafen auferlegen.

Das deutsche Gesetz gilt zunächst für Firmen mit mehr als 3000 Beschäftigten, 2024 sinkt die Grenze auf 1000 Beschäftigte. EU-Justizkommissar Didier Reynders hat nun in seinen Entwurf eine Grenze von nur 500 Mitarbeitern und 150 Millionen Euro Jahresumsatz reingeschrieben. Stammt mindestens die Hälfte des Umsatzes aus Risikobranchen wie Textil, Lebensmittel, Rohstoffe und Metallverarbeitung, halbiert sich die Mitarbeitergrenze sogar. Konzerne von außerhalb der EU sollen auch unter die Richtlinie fallen, wenn sie in der Union einen bestimmten Umsatz überschreiten. Der CDU-Europaabgeordnete Markus Pieper ist sauer: "Der Vorschlag übertrifft die Befürchtungen", sagt der Mittelstandspolitiker. Das deutsche Gesetz decke 3000 Betriebe ab; der Kommissionsentwurf "macht es alleine für knapp 14000 deutsche Mittelständler notwendig, ihre Betroffenheit zu prüfen".

Die Grünen-Europaabgeordnete Anna Cavazzini hätte sich hingegen gewünscht, dass die Richtlinie für noch kleinere Firmen gilt, insbesondere in den Risikobranchen: "Das Risiko von Menschenrechtsverstößen hängt nicht immer mit der Unternehmensgröße zusammen, sondern oft mit dem jeweiligen Wirtschaftszweig", sagt die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses. Der Kommissionsvorschlag sei jetzt "nach Monaten des intensiven Lobbydrucks an einer entscheidenden Stelle verwässert" worden.

Nutzt das Gesetz chinesischen Rivalen?

Ein anderer wichtiger Unterschied zum deutschen Gesetz betrifft die Frage, wie weit die Unternehmen ihre Lieferketten kontrollieren müssen. In Deutschland reicht es, wenn sich Betriebe auf direkte Zulieferer konzentrieren. Die Brüsseler Richtlinie verlangt, dass Firmen bei der kompletten Lieferkette auf Verstöße gegen Menschenrechte und Umweltverschmutzung achten. Die Zulieferer in Asien, Südamerika oder Afrika sollen sich in den Abnahmeverträgen auf die Einhaltung von Standards verpflichten. Die EU-Konzerne sollen ihren Partnern helfen, diese zu erreichen, und Aktionspläne aufstellen, wie die Lage verbessert werden kann.

Verstoßen EU-Konzerne gegen die Vorgaben, drohen ihnen Geldstrafen. Zudem können sie in diesem Fall vor Zivilgerichten auf Schadenersatz verklagt werden; sie haften also gegebenenfalls für Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzungen ihrer Zulieferer auf anderen Kontinenten - zumindest, wenn man nachweisen kann, dass die Schäden Ergebnis der Versäumnisse des EU-Unternehmens sind. Das deutsche Gesetz sieht solch eine Möglichkeit nicht vor, das französische Lieferkettengesetz sehr wohl.

Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber hält diese Regelung für gefährlich: "Die Bestimmungen zur zivilrechtlichen Haftung schaffen ein Damokles-Schwert für europäische Unternehmen", sagt der wirtschaftspolitische Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion. "Es wäre nicht verwunderlich, wenn sich europäische Unternehmen infolge dieses Vorschlags aus einigen Regionen dieser Welt zurückziehen. Wenn dann die chinesische Konkurrenz in die Lücke stößt, ist den Menschen in Entwicklungsländern wenig geholfen", moniert Ferber.

Die Kommission hat die Vorlage des Richtlinienentwurfs mehrmals verschoben. Zwischenzeitlich wurde in der Behörde auch diskutiert, ein Einfuhrverbot für Produkte mitaufzunehmen, die mit Zwangsarbeit hergestellt wurden, etwa von Uiguren in China. Doch jetzt will die Kommission sich damit getrennt vom Lieferkettengesetz beschäftigen, in einer eigenen Initiative.

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