Werkstatt Demokratie:Wie der Kapitalismus dem Klima helfen kann

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Nebelschwaden ziehen im Licht der aufgehenden Sonne über Felder mit einem Windrad - im Hintergrund das Steinkohlekraftwerk Mehrum in Niedersachsen. (Foto: dpa)
  • Immer wieder heißt es, Kapitalismus und Klimaschutz passten nicht zusammen.
  • Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Mit dem richtigen Rahmen kann er dem Klima sogar nutzen - wie das Beispiel erneuerbare Energien zeigt.
  • Durch die fallenden Preise wird in Deutschland 2022 bereits die Hälfte des Stroms aus erneubaren Quellen kommen.

Von Christian Endt

Wer sich mit dem Klimawandel beschäftigt, wird mit guten Nachrichten nicht reich beschenkt. Schlechte Neuigkeiten gibt es dagegen zuhauf: Das Klimapaket der Bundesregierung bleibt hinter den Erwartungen zurück, der Flugverkehr wächst rasant, der Permafrost in der Arktis schmilzt schneller als befürchtet.

Umso erstaunlicher, dass eine wichtige, globale und überaus positive Entwicklung kaum Aufmerksamkeit findet: Fast überall auf der Welt erobern erneuerbare Energiequellen Marktanteile, brechen Ausbaurekorde und speisen mehr grünen Strom in die Netze ein als je zuvor. Das geschieht vornehmlich nicht durch politischen Druck oder staatliche Subventionen. Sondern durch die Kraft des freien Marktes: In vielen Ländern sind Wind und Sonne zur billigsten Energiequelle geworden.

Aus dieser Erfolgsgeschichte lässt sich viel lernen. Darüber, wie der Weg in eine nachhaltige Welt gelingen kann; dass der Kapitalismus dabei nicht immer im Weg steht, sondern unter klug gesetzten Rahmenbedingungen sogar hilft - aber auch über die Beharrungskräfte fossiler Industrien.

Sonne und Wind sind nach Ansicht der meisten Wissenschaftler die Energiequellen der Zukunft. Die Erzeugung von Strom und Wärme macht etwa die Hälfte der weltweiten Treibhausgas-Emissionen aus. Sie gehen im Stromsektor vor allem auf Kohle- und Gaskraftwerke zurück, sie decken zwei Drittel des Stromverbrauchs. Das übrige Drittel entfällt zum größten Teil auf Kern- und Wasserkraft. Kernkraft ist teuer und gefährlich; Wasserkraft ist nur mit starken Eingriffen in die Natur verbunden.

Bleiben Sonne und Wind. Mit etwa sechs Prozent tragen sie zwar bisher wenig zur Stromerzeugung bei; doch der Anteil steigt − vor allem dank fallender Preise. "Am Anfang waren staatliche Förderprogramme wie das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz extrem wichtig, um einen Markt zu schaffen", sagt Martin Klein, der an der Uni Stuttgart zu Energieszenarien forscht. Die Subventionen haben der Erneuerbaren-Branche Starthilfe gegeben. Inzwischen kommen sie alleine klar. "Forscher und Industrie sind jedes Jahr aufs Neue überrascht, dass die Preise noch schneller fallen als erwartet", sagt Klein.

Die Kohlebranche wird weltweit weiterhin Jahr für Jahr mit Milliardenbeträgen subventioniert

Wenn man die Kosten für Bau und Betrieb auf die über die Lebenszeit erzeugte Energiemenge umlegt, sind Sonne und Wind inzwischen die billigsten Energieträger. Das zeigt eine Analyse der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien (Irena). Demnach sind die Kosten für Photovoltaik und Windenergie im Jahr 2018 um 13 Prozent gesunken. Der Ökonom Michael Taylor analysiert im Bonner Irena-Büro die Preisentwicklung für Erneuerbare Energien. "Die Kosten fallen bei Fotovoltaik überall entlang der Lieferkette", sagt Taylor. Die Kapazität der Solarmodule habe sich erhöht, sie erzeugen mehr Energie pro Fläche, die Materialkosten sinken. Zugleich seien die Maschinen schneller geworden, welche die Solarpaneele herstellen. Der Arbeitsaufwand sei durch Automatisierung gesunken. Den wichtigsten Treiber des Preisverfalls nennt der Ökonom Taylor "Economies of Scale": Die gestiegene Nachfrage nach Erneuerbaren hat einen großen Markt geschaffen, auf dem sich effizienter produzieren lässt. Es kommen mehr Unternehmen auf den Markt, Wettbewerb und Innovation nehmen zu.

Neben den technischen Fortschritten gibt es eine überraschende Ursache für den Preisverfall der Erneuerbaren: die Finanzkrise. "Die Niedrigzinsphase seit 2008 hat eine große Rolle gespielt", sagt Tobias Schmidt, der an der ETH Zürich zu Energiepolitik forscht. Denn bei Sonne und Wind fallen nahezu alle Kosten im Voraus an, für Herstellung und Montage der Anlagen. Weil sich diese Kosten erst nach Jahrzehnten amortisieren, müssen die Betreiber Kredite aufnehmen. Fossile Kraftwerke haben dieses Problem weniger: Dort machen die Brennstoffe wie Kohle oder Gas den größten Kostenfaktor aus. Die müssen erst gekauft werden, wenn das Kraftwerk schon läuft und Einnahmen bringt. Auch die Kosten für Batterien sind zuletzt stark gesunken. Sie helfen, wetter- und tageszeitbedingte Schwankungen auszugleichen.

Wozu braucht es dann eigentlich die ganzen Klimagipfel, Regierungspakete, Freitagsproteste? Die Marktkräfte lösen das Problem doch von selbst? Nicht ganz. Zum einen ist die Stromerzeugung eben nur für einen Teil der CO₂-Emissionen verantwortlich. Zum anderen beziehen sich die Preisvergleiche auf den Bau neuer Anlagen. Schon errichtete, abgeschriebene Kohlekraftwerke sind günstiger. Davon sind weltweit Tausende am Netz, mit einer Kapazität von mehr als 2000 Gigawatt. Diese Kraftwerke bis ans Ende ihrer Lebenszeit laufen zu lassen reicht schon aus, um die Pariser Klimaziele zu verfehlen, zeigt eine Studie in Nature. "Am Ende geht es darum, fossile Brennstoffe aus dem System zu treiben", sagt Michael Taylor von Irena. Das lässt sich etwa durch einen wirkungsvollen Preis auf CO₂ erreichen, oder durch einen gesetzlich vorgeschriebenen Kohleausstieg. Stattdessen fließen weltweit viele Milliarden Euro an Subventionen in fossile Kraftwerke. Das Kohlezeitalter geht trotzdem zu Ende. Im Jahr 2041 wird die Hälfte des indischen Stroms aus Erneuerbaren kommen, schätzt das Forschungsunternehmen Bloomberg NEF. In Deutschland und Italien soll es schon 2022 so weit sein, In Großbritannien und der Türkei 2025, weltweit im Jahr 2037.

© SZ vom 17.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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